Zwei–Staaten–Theorie

■ Zur Abschiebungspraxis der Bundesregierung in den Libanon und der Evakuierung Deutscher aus Beirut

Es gibt zwei Libanon. Nein, nicht die Herrschaftsgebiete rivalisierender politischer Gruppierungen und ausländischer Mächte, nicht den politisch und militärisch in ständig wechselnden, verwirrenden Konstellationen zerklüfteten Kleinstaat - es gibt genau zwei libanesische Staaten, zumindest von der Bundesrepublik aus gesehen. Da gibt es einmal den Staat mit zwar labiler innenpolitischer Lage, der aber dennoch über eine gefestigte Regierungsautorität verfügt, zu der man auch diplomatische Beziehungen unterhalten kann. Da gibt es ein Land, das einst zwar vom Bürgerkrieg gebeutelt wurde, aber inzwischen zu relativer politischer und sozialer Stabilität zurückgefunden hat. In diesem Staat läßt es sich ohne Gefahr leben. Dies ist der Staat, in den man bedenkenlos libanesische Flüchtlinge abschieben kann. Der andere Staat ist ein Alptraum: ständig vom Chaos und Bürgerkrieg bedroht, mit Lagerkriegen und Massakern, ein Pulverfaß, das immer wieder und kaum kalkulierbar zu explodieren und alle mit ins Verderben zu reißen droht, die dort leben und immer noch nicht entführt worden sind. In diesem Staat, das liegt auf der Hand, lauert der Tod hinter jeder Ecke, vor allem für Ausländer. Dies ist der Staat, aus dem die Deutschen - wie die Bundesregierung seit einigen Tagen fürsorglich erkannt hat - möglichst schnell in die sichere Heimat zurückgerufen werden müssen. Martin Kempe