Chrysanthemen im Akkord

■ Nelken,Rosen und Chrysanthemen bei uns im Sonderangebot / Dafür arbeiten kolumbianische Blumenarbeiterinnen zu Niedrigstlöhnen / Massiver Pestizideinsatz gefährdet ihre Gesundheit und das Ökosystem

Manchmal gibt es sie am Eingang des Supermarkts oder neben der Kasse: Chrysanthemen– und Nelkensträuße, mit einer durchsichtigen Plastikfolie umhüllt. 4,95 oder 6,50 DM kostet so ein Bund; kein Strauß für besondere Gelegenheiten, eher wird er so nebenbei mit der Schachtel Zigaretten und den Süßigkeiten in den Einkaufswagen gepackt. Ein Billigangebot aus den Niederlanden? Vielleicht, doch kann es ebenso aus Kolumbien kommen. Und der weite Weg lohnt sich für die Exporteure? Er lohnt sich deshalb, weil in der kolumbianischen Blumenindustrie fast alles per Hand gemacht wird - das Pflanzen, Schneiden, Verpacken. Die flinken Hände gehören größtenteils Frauen und die sind als Arbeitskräfte billig, spottbillig. Damit die Rosen, Nelken, Chrysanthemen schön hoch und ebenmäßig wachsen und nicht das kleinste Insekt eine Chance hat, werden sie beständig mit Pflanzen– „Schutz“–Mitteln besprüht. Mit hochgiftigen Pestiziden, die bei den Blumenarbeiterinnen schwere gesundheitliche Schäden hervorrufen. Über die Arbeits– und Lebenssituation der Mujeres en floras (den „Frauen in den Blumen“, wie sie in Kolumbien poetisch genannt werden) informiert die österreichische Gruppe „Frauensolidarität“. Die „Frauensolidarität“ gibt es seit fünf Jahren und anders als die meisten entwicklungspolitischen Gruppen hier versucht sie direkt Einfluß auf die offizielle österreichische Entwicklungspolitik zu nehmen, um Projekte für und mit Frauen der „Dritten Welt“ zu unterstützen. Zehn bis fünfzehn Frauen aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen und verschiedenen Alters (die jüngste ist 20, die Älteste 60 Jahre alt) arbeiten zusammen; drei von ihnen können seit kurzem aus ABM–Mitteln für ihre Arbeit bezahlt werden. Bei einem Besuch in Kolumbien 1982 bekamen sie Kontakt zu einer Gruppe von fünf Sozialwissenschaftlerinnen und einem Anthropologen, die ein Beratungszentrum und einen Kindergarten für die Blumenarbeiterinnen von Chia, einer 30.000–Einwohnerstadt in der Nähe der Landeshauptstadt Bogota, aufbauen wollten. Für das inzwischen verwirklichte Projekt gelang es der „Frauensolidarität“, etwa 300.000 DM bei der zuständigen Abteilung des österreichischen Außenministeriums locker zu machen. Blumen für 100 Mio. Dollar „Wenn man mit dem Flugzeug in der Nacht über der Hochebene von Bogota ankommt, ist es fast ein gespenstischer Eindruck“, erzählt Ulli Lukachek von der „Frauensolidarität“. „Erst konnte ich die länglichen, schimmernden, von innen beleuchteten Gebilde gar nicht erkennen, die sich unter mir ausbreiteten, bis ich sie endlich als Gewächshäuser identifizierte.“ Die Ebene um Bogota: 2.500 Meter hoch am Rand der Anden gelegen, bietet nahezu ideale klimatische Bedingungen für den Blumenanbau. Anfang der sechziger Jahre noch gab es hier Viehzucht, bis die Großgrundbesitzer auf Anraten US–amerikanischer Agronomen ihre Weideflächen mit einem Gewächshaus nach dem nächsten bebauten. Mittlerweile gibt es 200 Betriebe auf 1.700 Hektar Land und Kolumbien zählt zu den größten Blumenexporteuren der Welt. Bereits 1980 wurden Blumen im Wert von 100 Millionen Dollar produziert; 85 Prozent des Exports gehen in die USA, zehn bis 15 Prozent nach Europa, das als Puffermarkt bei Absatzstockungen in den Staaten dient. Dabei wurden allein nach Österreich 1985 zwei Milliarden (!) Blumen aus Kolumbien direkt importiert, wie die „Frauensolidarität“ errechnete. Für die Bundesrepublik kann das Acht– bis Neunfache angenommen werden. „Die Farben machen dich verrückt 45.000 Arbeitskräfte beschäftigt die Blumenindustrie Kolumbiens, davon sind 85 Prozent Frauen. Sie machen die monotonsten und anstrengendsten Arbeiten: Sie setzen die Setzlinge in den Boden (bezeichnenderweise kommt das Saatgut aus hochspezialisierten biotechnischen Labors der Niederlande), beschneiden die heranwachsenden Pflanzen, schneiden, sortieren und verpacken sie. Und alles muß ganz schnell gehen: Vormittags wird gepflückt, nachmittags bereits müssen die Blumen am Flughafen von Miami eintreffen. In den Verpackungsräumen für Rosen herrscht eine Temperatur von acht Grad Celsius, in den Gewächshäusern 35 Grad und mehr - und eine Arbeiterin wechselt mehrmals am Tag hin und her. Für Akkordarbeit mit Leistungskontrollen (arbeiten die Frauen fehlerhaft, knicken sie beispielsweise Knospen ab, gibt es Lohnabzüge) erhalten sie etwa 20 DM pro Woche. Werkverträge über zwei oder drei Monate sind die Regel, die meisten Frauen sind also nicht sozialversichert. „Dabei sind die gesetzlichen Bestimmungen in Kolumbien gar nicht so schlecht“, erläutert Ulli Lukachek, „doch in der Blumenindustrie kümmert sich niemand darum“. Die Gewerkschaften, auch in Kolumbien eine Männerorganisation, beginnen erst allmählich, sich für die Blumenarbeiterinnen zu interessieren. Was es heißt, 1.000 Blumen pro Stunde nach Farbe, Größe und Qualität zu klassifizieren, davon erzählten die Blumenarbeiterinnen den österreichischen Frauen eindringlich: Nach zwei bis drei Stunden beginnen ihre Augen zu tränen, der Kopf schmerzt, die Blumen verschwimmen vor den Augen, ihnen wird schlecht und schwindlig. „Du kannst keine Farbe mehr sehen, die Farben machen dich verrückt“, erzählte Elena, „und wenn du schwanger bist, ist die Verzweiflung am größten“. Giftige Pestizide Von dem massiven Einsatz an Pestiziden ist die Gesundheit der meisten Frauen stark angegriffen. Hautallergien und Entzündungen sind dabei noch die harmlosesten Auswirkungen. „Zwar kündigen die Vorarbeiter an, bevor die Blumen gespritzt werden, doch viele Frauen verlassen die Gewächshäuser nicht, z.B. weil sie ein Beet noch nicht zu Ende geerntet haben“, berichtet Ulli, „oder weil alles so schnell gehen muß, gehen sie auch zur Mittagspause nicht raus und essen direkt neben den Pflanzen.“ Bis vor kurzem waren die Sicherheitsvorkehrungen völlig unzureichend, nicht einmal Gummihandschuhe durften die Frauen tragen. „Die zarten weiblichen Hände tun den Pflanzen wohl“, so ein Vorarbeiter. Nachdem das Projekt in Chia seine Arbeit aufnahm, wurden auch Gewerkschaften, Sozialversicherungen und das kolumbianische Wohlfahrtsamt aufmerksam. Seit etwa einem Jahr gibt es in den Betrieben Sicherheitskommissionen, die zumindest durchsetzen konnten, daß die Frauen Handschuhe tragen, sich die Hände waschen können, genügend Zeit für ihre Mittagspause im Freien bekommen. Doch grundsätzlich ändert sich nichts am Einsatz der Pestizide, die selbstverständlich alle aus den Industrienationen importiert werden. 1980 wurden 118 Tonnen auf 1.700 Hektar verbraucht, um die Pflanzen von Insekten und Pilzen freizuhalten. Jedes Beet wird alle zwei bis drei Tage besprüht, am Anfang des Wachstums mehr, zum Schluß weniger. Verwendet werden 95 verschiedene Produkte, davon sind allein in Österreich 25 verboten, wie die „Frauensolidarität“ recherchierte. Darunter befinden sich so hochgiftige Stoffe wie Aldrin oder Lindan. Letzteres ist zwar in der Bundesrepublik nicht verboten, wird aber in Kolumbien in unverantwortlich hoher Konzentration eingesetzt. Beide Pestizide rufen Leber– und Nierenschädigungen hervor; Lindan schädigt auch das Nervensystem. Aldrin ist krebserregend und verändert das menschliche Erbgut. Auch Lindan steht im Verdacht, Krebs zu erzeugen (bei seiner Herstellung fällt als Begleitprodukt Dioxin an, das jedoch auch in der Anwendung noch relevant ist). Beides sind chlorierte Kohlenwasserstoffe, die sehr schwer abbaubar sind und noch Jahrzehnte später im Boden nachgewiesen werden können. Untersuchungen oder gar Statistiken zur Auswirkung der Pestizide auf die Gesundheit der „Frauen in den Blumen“ gibt es so gut wie keine. Eine in Miami entstandene Studie zum erhöhten Krebsrisiko wird nach Ansicht der „Frauensolidarität“ unter Verschluß gehalten. Doch die Frauen haben ihre eigenen Erfahrungswerte. Sie stellen fest, daß sie häufig an den gleichen Symptomen wie Erbrechen, Kopfschmerz, Haut– und Augenentzündungen leiden. Und immer mehr Kinder werden mißgebildet geboren. Aufklärungsarbeit In dem Beratungszentrum von Chia, in dem eine Ärztin und eine Juristin für mehrere Stunden am Tag fest angestellt sind, werden die Frauen über die Gefahren der Pestizide aufgeklärt. So wurde ihnen z.B. klargemacht, daß die Giftbehälter auf keinen Fall mit nach Hause genommen werden dürfen, um dort als Regentonne verwendet zu werden. Oder daß die Haustiere nicht mit Abfällen aus der Blumenindustrie gefüttert werden sollen. Bei einem Rundgang mit einem Vorarbeiter bemerkten die Österreicherinnen hinter den Gewächshäusern große, schaumige Lachen, die in einem wunderschönen Kobaltblau schimmerten. Der Vorarbeiter erklärte dann schnell, das sei Abfall vom Zusammenmischen der Spritzmittel und ausnahmsweise hätte man vergessen, ihn im Boden zu vergraben. Die Blumen müssen natürlich auch bewässert werden: ein Beet mit 4.800 Blumen benötigt 800 Liter Wasser. Die Blumenindustrie verbraucht nicht nur soviel Wasser, daß für die Bevölkerung oft der Wassernotstand eintritt, sondern die Giftstoffe werden in den Boden geschwemmt und verseuchen allmählich das Grundwasser. In der Gegend um Chia könnten z.B. keine Tomaten für den Export mehr angebaut werden - sie würden die Grenzwerte in den Industrieländern überschreiten. Unterstützung hier Ein Ziel, das die kolumbianischen Initiatorinnen sich gesteckt hatten, konnten sie nicht erreichen: die Blumenarbeiterinnen gewerkschaftlich oder anderweitig zu organisieren. Zu viele Menschen in Kolumbien sind arbeitslos, zu sehr sind die Frauen auf diese Verdienstmöglichkeiten angewiesen, zu groß ist die Angst vor Entlassungen und Repressalien. Dennoch denken die Frauen von der „Frauensolidarität“, daß ihre Unterstützung des Projekts hier richtig war. Denn individuell hat sich viel verändert: „Viele Frauen, die ins Zentrum kommen, erzählen, daß sie mehr Selbstbewußtsein haben, sich in die Öffentlichkeit trauen, sich besser ihren Männern gegenüber durchsetzen können. Und sie fühlen sich endlich als Person mit ihren Sorgen und Nöten wahrgenommen.“ Und was läßt sich hier, in der Bundesrepublik oder Österreich tun? Einen Boykottaufruf kolumbianischer Blumen hält die „Frauensolidarität“ zumindest für zwiespältig, denn „die Blumenindustrie ist einfach die wichtigste Arbeitgeberin für die Frauen“. So „beschränken“ sich die Österreicherinnen bisher auf Aufklärungs– und Informationsarbeit. Vergangenen Valentinstag z.B. bauten sie in einer zentralen Wiener U–Bahn–Station einen riesigen Strauß Plastikblumen auf und verteilten Flugblätter. Auf die Blätter ihrer Blumen hatten sie Totenköpfe gemalt. Helga Lukoschat Die Gruppe „Frauensolidarität“ gibt auch eine Zeitschrift gleichen Namens heraus, die viermal im Jahr erscheint. Sie informiert über Frauenprojekte und Frauenarbeit in der „Dritten Welt“. Anschrift: „Frauensolidarität“, Kleeblattgasse 4/II, A - 1010 Wien.