„Das fürchterliche Schlagwort von der sanften Chemie“

■ Interview mit dem Leiter der Abteilung Pflanzenschutz des Schering–Konzerns, Dr. Heinz Schulz / „Ich könnte nicht ruhig schlafen, wenn ich unser Produkt nicht verantworten könnte“ / Vom kollektiven Tod der Heliothis–Eier und der Unverzichtbarkeit des Pestizids „Fundal“ / Chemie–Katastrophen als einkalkuliertes Korrektiv für die Entwicklung der Konzerne? / 20.000 Tote jährlich durch Pestizid–Einsatz in der 3. Welt / Die Schering–Philosophie und der Stolz eines Chemie–Riesen

taz: Schering produziert das Pflanzenschutzmittel „Fundal“ und exportiert es nach Nicaragua, Kolumbien und in die USA. Dieses Mittel und sein Wirkstoff Chlordimeform ist krebserzeugend. Der US–Wissenschaftler Karim Ahmed, der Einsicht in die Unterlagen des Mit–Herstellers Ciba– Geigy nehmen durfte, kommt in einer neuen Studie zu dem Ergebnis, daß „die Bedingungen für den Beweis der Kanzerogenität (Krebserzeugung) vollständig erfüllt sind“. Chlordimeform hat im Tierversuch extrem bösartige Blutgefäßtumore erzeugt. Warum ziehen Sie Fundal nicht vom Markt zurück und nehmen stattdessen eine Rufschädigung Ihres Unternehmens in Kauf? Dr. Schulz: Krebserzeugung im Tierversuch ist zunächst nichts Außergewöhnliches. Das gibt es bei vielen Stoffen. Deswegen ist es ja auch interessant, daß Sie sich eine Zigarette anzünden. Das Rauchen ist sicherlich ungleich gefährlicher als die Anwendung von Chlordimeform. Was Herr Ahmed gemacht hat, ist absolut nichts Neues. Er hat das Material, das auch den Behörden seit zehn Jahren bekannt ist, zusammengestellt. Umso schlimmer, wenn diese Erkenntnisse seit zehn Jahren vorliegen. Tumore im Tierversuch gibt es auch bei vielen Natur–Stoffen. Es gibt Aussagen von Wissenschaftlern, daß die Zahl der Naturstoffe, die mutagen sind, etwa um den Faktor 10.000 mal größer ist als bei den Chemikalien. Es ist also überhaupt nichts Ungewöhnliches. Es gibt keine „neue Studie“ wie das behauptet wird und deshalb gibt es für uns auch keinen Grund, jetzt einzugreifen. Wenn Fundal so ungefährlich ist, warum wurde es dann 1976 vom Inlandsmarkt gestrichen? Das Mittel wurde Mitte der sechziger Jahre eingeführt nach Untersuchungen bei Hunden und Ratten, die keinen Hinweis auf krebserzeugende Wirkung gaben. Dann gab es Anfang der siebziger Jahre Untersuchungen an Mäusestämmen, die Tumore aufwiesen. Daraufhin haben wir eigene Untersuchungen gemacht, bei denen dann Blutgefäßtumore aufgetreten sind und zwar dosisabhängig bei Mäusen. Das war für uns und Ciba–Geigy der Anlaß, das Mittel sofort vom Markt zu nehmen. Das geschah fast über Nacht. Wir haben das Mittel freiwillig als Vorsichtsmaßnahme zurückgezogen, und wir haben dann nochmals nach den denkbaren Risiken für den Menschen gefragt. Denkbare Risiken liegen in der Produktion, beim Anwender, der mit dem Mittel spritzt und beim Verbraucher, wenn das Mittel als Rückstand auf Erntegütern vorhanden ist. Fundal war ja auch im Gemüse–, Obst–, Reis– und Weinanbau im Einsatz. Wir haben dann die gesamte Chlordimeform–Produktion umgebaut zu einem geschlossenen System. Und wir haben das Rückstandsrisiko dadurch ausgeschlossen, daß wir alle Anwendungen mit Ausnahme der Baumwolle zurückgenommen und für diese Anwendung besondere Sicherheitsmaßnahmen getroffen haben. Wie können Sie da so sicher sein, daß Ihre Anwendungseinschränkungen befolgt werden und Fundal nicht auch im Lebensmittelbereich eingesetzt wird? Das wird kontrolliert. Es wird nur noch vom Flugzeug aus gesprüht, das war ja auch eine unserer Auflagen. In Kolumbien z.B. haben wir drei Dutzend Pisten von denen aus landwirtschaftliche Sprühflugzeuge operieren. Wir haben auf jeder dieser Pisten einen eigenen Mann. Dieser Mitarbeiter hat die einzige Aufgabe, sicherzustellen, daß die Beladung ordnungsgemäß erfolgt, ohne direkten Kontakt mit dem Mittel. Und er muß darauf achten, daß die gesamte Anwendung so geschieht, wie wir es aus dem Vorsorge–Aspekt heraus für notwendig halten. Wir liefern ausschließlich an diese Pisten. Sie kennen aber auch die Bilder des Schweizer Fernsehens, die zeigen, daß Baumwoll–Arbeiter in den Plantagen stehen, während die Sprüh–Flugzeuge über ihre Köpfe hinwegfliegen. Und Sie kennen sicher auch die Kritik an diesen Bildern, die für das Fernsehen gestellt wurden. Bleiben wir mal bei den Kontroll–Experten vor Ort. Haben Sie solche Leute auch in Nicaragua? Nicaragua ist ein Land, dessen Regierung sehr stark auf Autonomie pocht und sagt, wir nehmen das selbst in die Hand. Ich will deshalb nicht behaupten, daß wir in Nicaragua die gleiche Kontrolldichte haben wie in Kolumbien, aber wir beobachten das auch dort. Was hat eigentlich Ihren Konkurrenten Ciba–Geigy veranlaßt, im Gegensatz zu Schering ganz andere Konsequenzen in Sachen Chlordimeform zu ziehen? Ciba– Geigy hat die Exportländer über die Gesundheitsrisiken informiert und sie aufgefordert, dem Chlordimeform–Präparat „Galecron“ die Zulassung zu entziehen. Begründet wird dies laut Firmenmitteilung damit, daß „die sichere Anwendung nicht gewährleistet ist“. Gute Frage. Ich weiß nicht, warum Ciba–Geigy hier zu anderen Konsequenzen kommt. Offenbar meint man die Situation anders beurteilen zu müssen. Ich will nicht ausschließen, daß wir unser Urteil vielleicht auch noch ändern. Aber wir haben gegenwärtig keine Daten von Behörden und auch keine eigenen, die unser heutiges Konzept in Frage stellen. Es hat sich nichts verändert. Geändert hat sich das Umweltbewußtsein. Und es gibt den handfesten Verdacht, daß dieses Mittel Krebs erzeugt. Warum müssen Sie so hartnäckig daran festhalten? Haben Sie kein Ersatzpräparat? Es gibt auf der ganzen Welt kein Ersatzpräparat mit diesen speziellen Eigenschaften. Wenn PAN (Pestizid–Aktions–Netzwerk) behauptet, man könne Bacillus Thurengiensis nehmen, dann ist das falsch. Fundal tötet die Heliothis– Eier, und das können andere Präparate nicht. Außerdem hat Fundal die hervorragende Eigenschaft, daß es die Nützlinge in der Baumwolle schont. Hier hat man endlich ein Mittel, das selektiv und gezielt wirkt. Was machen denn all die anderen Länder, in denen Chlordimeform in der Anwendung verboten ist? Die setzen doch auch nicht ihre Ernte aufs Spiel. Fundal ist sicherlich nicht das einzige Insektizid, es gibt Dutzende, aber es gibt nun mal keines, das so gut und spezifisch gegen Heliothis–Eier (Baumwollkapselwurm) wirkt. Man kann auch andere Insektizide verwenden und diese dann öfter anwenden. Das Problem wird dann bestimmt nicht zum Vorteil der Natur mit weniger Chemie gelöst, sondern mit mehr. Wie hoch sind eigentlich Ihre Produktions– und Vertriebsmengen von Fundal? Fundal ist für uns keine wirtschaftliche Überlebensfrage. Wir haben bisher keine Zahlen genannt, und ich möchte das hier auch nicht tun. Das Wall–Street Journal nannte die Zahl von jähr lich 150 Millionen Dollar, das ist fast um eine Zehnerpotenz zu hoch. Ich kann Ihnen aber eine andere Zahl nennen zu unserem Gesamtumsatz an Pflanzenschutzmitteln in Ländern der Dritten Welt: Der beträgt weniger als fünf Prozent Nochmal zu Ciba–Geigy: Durch deren angekündigten Rückzug in Sachen Chlordimeform sind Sie ja in eine sehr mißliche Lage geraten... ..das kann man sehr wohl sagen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie sich nicht sofort ans Telefon gehängt und Ciba–Geigy kontaktiert haben, um ein gemeinsames Vorgehen zu verabreden. Da liegen Sie richtig. Natürlich haben wir telefoniert und natürlich haben wir uns in eine schwierige Situation gebracht, weil wir nicht dem Weg Ciba–Geigys gefolgt sind. Wir müssen uns jetzt - verzeihen Sie - lästige Fragen gefallen lassen. Wir haben aber unsere eigene Überzeugung und unsere eigenen Grundsätze. Wir wissen, was wir verantworten können. Da steckt auch ein eigenes Selbstbewußtsein, fast hätte ich gesagt „Stolz“ dahinter. Wir müssen hier unseren eigenen Weg gehen. Aber nehmen Sie mir mal ab, daß ich nicht schlafen könnte, wenn ich diesen nicht verantworten könnte. Wir können uns nicht von einem Produkt trennen, bloß weil uns jemand attackiert oder weil wir eine schlechte Presse haben. Es geht nicht nur darum, daß Sie jemand attackiert. Es geht hier um die Bedeutung der öffentlichen Meinung. Deren Kritik an der Chemischen Industrie nimmt ja zu. Denken Sie nur mal ans rotgrüne Hessen, denken Sie an die wachsende ökologische Sensibilität. Da kommen stark veränderte Bedingungen auf die Chemieindustrie zu... .. das ist sicher richtig... ..das heißt doch für Sie, daß Sie Ihre Produktpalette viel stärker auf die Zumutbarkeit für das „öffentliche ökologische Gewissen“ hin ausrichten müssen. Jedes Unternehmen wäre tö richt, wenn es die veränderte öffentliche Diskussion ignorieren würde. Das wäre dumm und langfristig auch wirtschaftlich ein verheerender Weg. Die Meinung der Öffentlichkeit ist ein wichtiger Faktor, der große Bedeutung hat und in die Gesetzgebung, in die politischen Rahmenbedingungen hineinreicht. Aber wir kommen mit Schlagworten und simplen Modellen nicht weiter. Ein fürchterliches Schlagwort ist die „sanfte Chemie“. Kein Mensch weiß, was das eigentlich ist. Die Natur ist gut und sanft, und die Chemie ist böse, gefährlich, giftig - dieses Raster stimmt einfach nicht. Wir müssen mehr miteinander reden, Verständnis füreinander wecken und auch aufklären: Die Pflanzenschutzmittel 1987 sind nun mal völlig anders als die vor 20 Jahren. Da hat sich sehr viel verändert. Diese Veränderungen sind wiederum ein Reflex auf die Umweltdiskussion Ja natürlich auch... Die öffentliche Meinung also als Korrektiv für die Chemieindustrie? Ja und nicht mal zähneknirschend von unserer Seite. Ich kann mich doch gewissen Erkenntnissen nicht verschließen. Es ist für uns ein echtes Ziel, abbaubare Mittel, weniger Chemie und geringere Aufwandmengen zu haben. Es ist ja begrüßenswert, daß Sie der kritischen Diskussion über die Chemieindustrie so eine positive und vorantreibende Rolle zuschreiben. Aber meist ist es leider so, daß eine öffentliche Debatte erst dann in Gang kommt, wenn es zu sichtbaren Schäden oder zur Katastrophe wie in Seveso, Bhopal oder am Rhein gekommen ist. Überspitzt gesagt: Sie planen die kleinen und großen Katastrophen ein als Meilensteine auf dem Weg zu einer vernünftigen Chemieentwicklung, anstatt dafür zu sorgen, daß die Chemie gar nicht erst in die öffentliche Diskussion kommt. Das ist jetzt sehr provokativ. Chemie und neue Technologien werden natürlich immer in der öffentlichen Diskussion sein. Natürlich haben auch Katastrophen zu Fortschritten beigetragen. Es gab die Störfallverordnung nach Seveso, die Lager–Diskussion jetzt nach Sandoz, aber wir warten doch nicht auf solche Genickschläge. Wir machen z.B. Rückstandsuntersuchungen und forschen seit 20 Jahren über Abbaubarkeit unserer Wirkstoffe, lange bevor die öffentliche Diskussion darüber begonnen hat. Angeheizt wurde die Chemie–Diskussion ja vor allem durch die moderne Analytik. Wir können heute alles nachweisen bis zu parts per Trillion. Damit wuchs die plötzliche Erkenntnis: Da ist ja überall etwas, Mini–Spuren von Substanzen, ein paar Moleküle, die den Menschen nervös machen. Aber nochmal: Wir warten nicht auf die Katastrophe, wir sorgen vor. Wenn wir jetzt über Zukunftsperspektiven reden, dann gehört auch der biologische Pflanzenschutz dazu. Wenn Sie eine Gottesanbeterin oder einen Marienkäfer gegen Schädlinge einsetzen, dann ist natürlich für Sie als Chemieunternehmen dabei nichts zu verdienen. Schafft das Profitinteresse Ihres Unternehmens, das Sie ja haben müssen, nicht Zwänge, die letztlich zu einer Stabilisierung der chemischen Misere führen und den Weg für den biologischen Pflanzenschutz versperren? Wir werden den chemischen Pflanzenschutz auf jeden Fall weiter brauchen. Wir werden ihn gerade in den Entwicklungsländern noch verstärkt brauchen. Biologische Schädlingsbekämpfung kann in einigen Nischen eine Rolle spielen, aber er ist im Weltmaßstab nicht relevant. Wenn Sie einen Marienkäfer nehmen, dann brauchen Sie viele Blattläuse, damit er sich ernähren kann. Wenn Sie zuviele Blattläuse haben, richten sie große Schäden an. Wenn Sie dann viele Marienkäfer haben, dann haben die nicht mehr genug zu fressen usw. Es ist also sehr schwierig, hier ein stabiles biologisches Gleichgewicht herzustellen. Statt über biologischen Pflanzenschutz wird zunehmend über gentechnologische Alternativen zum Pflanzenschutz diskutiert. Es gibt Freilandversuche mit manipulierten Bakterien in den USA. Ist das eine Perspektive für Ihr Unternehmen? Wir sind hier in unserem Hause relativ zurückhaltend. Wir konzentrieren uns bisher auf die Grundlagenforschung und zielen zunächst nicht auf die Entwicklung neuer Mittel. Die Züchtung von Pflanzen, die auf die Anwendungen der Chemie zugeschnitten sind, also z.B. herbizid–resistente Pflanzen, das ist natürlich machbar von der Gentechnologie her, das wird bald jeder beherrschen. Aber der Landwirt wird sich nicht in solche Fesseln legen lassen. Er wird nicht die Pflanze Nr 4711 kaufen, passend zu dem Mittel von der Firma soundso. Das wird sich, glaube ich, nicht durchsetzen. Wenn es gelingt, Pflanzen gegen Krankheiten resistent zu machen, dann ist das natürlich ein Durchbruch. Daran können Sie kaum ein Interesse haben. Wenn das machbar ist, dann kommt das, ob wir wollen oder nicht. Dann könnten Sie diesen Bereich ja auch besetzen, und das Saatgut dieser Pflanzen verkaufen. Wir haben keine eigene Saatgutfirma. Wir betreiben wie gesagt Grundlagenforschung und interessieren uns z.B. dafür, welches Gen bei welcher Pflanze für welche Eigenschaften verantwortlich ist. Wie beurteilen Sie den Markt für Pflanzenschutz– und Schädlingsbekämpfungsmittel? Die FAO–Studie „Landwirtschaft 2.000“ erwartet einen starken Anstieg des Chemie–Einsatzes, andere Branchenkenner rechnen mit Umsatzeinbußen bis zu einem Viertel wegen des wachsenden Umweltbewußtseins und der Finanz–Misere der Landwirtschaft. In der industrialisierten Welt haben wir eine Stagnation. Der echte Bedarf ist in den Entwicklungsländern. Diese Länder brauchen mehr Pflanzenschutz als Ausweg aus der unzureichenden Produktion von Nahrungsmitteln. Ein Export von sehr speziellen und teuren Pflanzenschutzmitteln wird allerdings finanzielle Grenzen haben. Aber es gibt auch ein breites Besteck anderer guter Mittel, die Basisansprüchen genügen und preiswerter sind. Mit der wachsenden Anwendung steigen natürlich die Risiken. Sie kennen die Zahlen von 5.000, 10.000 oder 20.000 Toten jährlich durch den Pestizid–Einsatz in der Dritten Welt. Diese Zahlen kann man nicht einfach beiseite wischen. Ich möchte nicht darüber streiten, ob es 20.000 sind oder weniger. Darüber sollte man nicht diskutieren. Wenn wir die problematischsten, die akut toxischen Mittel rausnehmen, dann kann man die Situation entscheidend verbessern. Wir brauchen leicht abbaubare, sicher anzuwendende Mittel und die gibt es ja heute. Das würde aber bedeuten, daß gerade in die Dritte Welt Mittel nach dem neuesten Stand der Technik exportiert werden müßten. Und genau das sind die Mittel, die sich diese Länder nicht leisten können. Deshalb bekommen sie die billigeren mit den größeren Gefahren. Auch bei den patentfreien Mitteln gibt es Präparate, die wesentlichen Anforderungen auch aus der Umweltsicht und Anwendungssicherheit erfüllen. Ich rede ja nicht von den Mitteln der ersten Generation aus den vierziger Jahren. Da kann man schon ein oder zwei Schritte nach vorn machen. Interview: Imma Harms und Manfred Kriener