Der Terror kommt auf leisen Sohlen

■ Im nordphilippinischen Cagayan–Tal in der Provinz des Ex–Verteidigungsministers Enrile schikanieren Streitkräfte und Paramilitärs trotz Waffenstillstandes weiter die Bevölkerung / Der Psychoterror ersetzt die Flächenbombardements / Die Opposition hat in dem wichtigen Reisanbaugebiet einen schweren Stand

Von Nina Boschmann

Tuguegarao (taz) - Aus der Ferne betrachtet ist das Tal der Cagayan–Provinz ein gelobtes Land. Über Stunden hinweg fährt der Reisebus durch weite fruchtbare Ebenen, golden schimmern die Reisfelder in der Abendsonne, zahlreiche Flüsse durchschneiden die ebenmäßige Landschaft. Träge traben wohlgenährte Wasserbüffel in die Dörfer zurück. Es ist Erntezeit und Männer, Frauen und Kinder arbeiten jetzt bis Sonnenuntergang auf den Äckern, die so reich an Nährstoffen sind, daß sie keinen Dünger brauchen. Die Märkte der kleinen Provinzstädte quellen über, zahlreiche Reismühlen und Geschäfte für landwirtschaftliches Zubehör weisen auf bescheidenen Wohlstand hin. In den kleinen Handwerksbetrieben am Wegesrand werden die tropischen Hölzer aus den Bergwäldern der nahen Sierra Madre und Cordillera zu Stilmöbeln „Made in the Philippines“ verarbeitet. Doch das Bild des Friedens und des Überflusses ist trügerisch. Wie in keiner anderen philippinischen Provinz, so sagen unisono die linke Guerillafrontorganisation NDF und unabhängige Menschenrechtsorganisationen, ist die Bevölkerung im Cagayan–Tal, einem wichtigen Reisanbaugebiet der Philippinen, auch nach Aquinos Amtsübernahme dem Terror von Streitkräften und paramilitärischen Einheiten ausgesetzt, nirgendwo sonst hat die sogenannte Februarrevolution politisch so wenig Wurzeln geschlagen. Der Waffenstillstand zwischen dem philippinischen Militär und der linken NPA–Guerilla, der andernorts einen beispiellosen, wenn auch kurzen politischen Frühling einläutete, ist hier ein Befehl aus der fernen Hauptstadt geblieben, der, wenn überhaupt, dann nur widerwillig befolgt wird. Schwerer Stand für die Opposition Angst beherrscht die Provinz; und sie überträgt sich auch auf die wenigen ausländischen Besucher, die die Heimat des ehemaligen philippinischen Verteidigungsministers und Marcosschen Kriegsverwalters Juan Ponce Enrile im Norden der Insel Luzon aufsuchen. Ungeniert tragen die Bewohner der Provinzhauptstadt Tuguegarao noch ihre Marcos–T– Shirts, da, anders als in den übrigen philippinischen Provinzen Bürgermeister und Lokalverwaltung nach dem Machtwechsel im Februar nicht ausgetauscht wurden. Sie tanzen jetzt auf beiden Hochzeiten. Kommt der gefeuerte Enrile zu Besuch, werden ihm Festbanketts angerichtet und zu seinen Ehren Demonstrationen gegen den Waffenstillstand veranstaltet - so geschehen am 13. Dezember letzten Jahres. Kommt die Regierung - wie jüngst in Gestalt des Agrarministers - wird ihr ebenfalls ewige Loyalität versichert. Der „National Democratic Front“ ist es bis heute nicht gelungen, in Cagayan ein Büro zu finden oder ein Komitee zur Überwachung des Waffenstillstandes zu bilden, sagt Jefferson Tugawin, Sprecher der NDF für Nordluzon: „Es gibt einfach keinen Ort, an dem wir sicher sind. Selbst das soziale Aktionszentrum der Kirche wird in Tuguegarao bedroht.“ Seit Juni weigern sich Militär und paramilitärische Polizei abwechselnd und allen richterlichen Entscheidungen zum Trotz, seine im Juni verhaftete Ehefrau Miriam Ougay freizulassen. Als die staatliche Menschenrechtskommission die Stadt Ende letzten Jahres besuchen wollte, um den zahlreichen Berichten über Folterfälle, Bombenangriffe und Zwangsevakuierungen nachzugehen, empfing der Oberbefehlshaber der paramilitärischen Polizei, Colonel Aguinaldo, sie am Flughafen Gewehr bei Fuß und beschimpfte sie als Kommunisten. Ohne die Absetzung von Aguinaldo, sagt die NDF, sind alle Verhandlungen in Cagayan sinnlos. Doch General Brauner, Oberbefehlshaber der Militärregion, hält dies für eine „unvernünftige“ Forderung. Nach kritischen Journalisten oder unabhängigen Initiativen sucht man in Tuguegarao unter diesen Umständen vergebens. Und Bong Bautista ist weit und breit der einzige, den man zitieren darf. Sein Vater sitzt seit zwanzig Jahren an einflußreicher Stelle in der Regierung und holt den engagierten Sohn - Familiensolidarität geht vor - im Zweifelsfall aus der Patsche, wie zum Beispiel im vergangenen November, als der stadtbekannte Aktivist der „Concerned Citizens for Justice and Peace“ verhaftet wurde und einige unliebsame Priester als Sympathisanten der NPA denunzieren sollte. Er tat es nicht, aber „diese Priester“, sagt Bang, „sind hier bei weitem die interessantesten Gesprächspartner“. Wir folgen dem Ratschlag. Unliebsame Priester Pater Flores ist einer jener Priester, die Colonel Aguinaldo nicht leiden kann. Der katholische Geistliche ist seit zehn Jahren in verschiedenen Landpfarreien um Baggao, 50 Kilometer nordwestlich von Tuguegarao tätig und er weiß zuviel. Mit allen Mitteln hat das Militär versucht, seine Versetzung zu erreichen und weil das nicht klappt, wird Bauern verboten, zu ihm zu gehen. Was hat Pater Flores zu sagen? „Ich versuche, den Beschwerden der Leute nachzugehen und es kann sein, daß die NPA mir die Leute schickt, weil ich das tue“, sagt er. Nein, Flächenbombardements habe es hier nicht gegeben und auch keine Nahrungsmittelblockaden und Verhaftungen in letzter Zeit. Vor zehn Jahren war die Gegend hier gut organisiert, dann kam das Militär und versuchte, die Infrastruktur des Widerstandes zu zerschlagen, heute haben die paramilitärischen Gruppen die Kontrolle übernommen. Mindestens drei Gruppen sind hier zu finden: die berühmten Cagayan 100, eine von Aguinaldo aufgebaute Truppe aus Scout Rangers und NPA–Überläufern, eine Antiguerillaeinheit namens ANPAGU und die unter Marcos entstandenen so genannten Zivilschutzeinheiten CHDF. „Vor denen habe ich im Moment mehr Angst als vor dem Militär“, sagt Pater Flores. Gestern habe ihm eine Frau drei Patronenhülsen ge bracht, nachts sei die Familie von fünf CHDFlern besucht worden, die sie über die NPA befragten. Sie gaben keine Auskunft und wurden mit dem Tod bedroht. Mehrere Schüsse verfehlten nur knapp den Kopf des Vaters. Keine Verletzung des Waffenstillstandes? „Nun“, sagt Pater Flores, „früher wären sie umgebracht oder verschleppt worden.“ „Effizient“ nennt Colonel Aguinaldo von der paramilitärischen „Phillipine Constabulary Police“ dieses System. Der Bür germeister von Baggao zum Beispiel mag die neue Verfassung nicht, über die die Filipinos am 2. Februar abstimmen sollen. Wenn die Gemeinde trotzdem dafür stimmt, haben die CHDF den Leuten unauffällig klargemacht, wird es ihnen nicht gut bekommen. Fünf Tage nach der Abstimmung läuft der Waffenstillstand zwischen Armee und NPA aus. Zwar sehen sowohl die Waffenstillstandsrichtlinien als auch die neue Verfassung die Auflösung aller paramilitärischen Einheiten vor, doch davon hat Baggao nichts gemerkt. „Fast alle hier haben schon paramilitärisches Training absolviert“, sagt Pater Flores. „Wer sich weigert, muß die Gegend verlassen.“ Erst am Vortag seien drei junge Männer zu ihm gekommen, die aus diesem Grund zu Verwandten nach Manila fliehen wollten. Auf der Flucht Wer sich im Cagayan Valley niederläßt, muß überhaupt sehr flexibel sein. Mehrere hundert Dörfer wurden nach Angaben der NDF im verganenen Jahr evakuiert, weil das Militär oder die PC die entsprechenden Gebiete zu „Freien Feuerzonen“ erklärte. Und wer nicht weit genug flieht, muß sich schon bald auf den nächsten unfreiwilligen Umzug gefaßt machen. Dieses wissen anschaulich die Bauern des Dorfes Tay– Tay in der Nähe von San Jose zu erzählen, wo sich ein weiterer „unliebsamer“ Priester niedergelassen hat. Eigentlich, so berichtet unsere Gesprächspartnerin, eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern, stamme die Familie aus einem kleinen Dorf an der Pazifikküste namens Capanissuan. Doch eines Tages wurden sie von der Armee gewarnt, „etwas“ würde geschehen, panikartig floh das ganze Dorf mit 80 Familien und zerstreute sich in der Gegend von Baggao, wo Verwandte von ihnen lebten. 1981 kehrten sie in ihr altes Dorf zurück, doch schon 1983 mußten sie wieder fliehen. Ein Armeeoffizier war in der Umgebung tot aufgefunden worden, woraufhin Colonel Aguinaldo ihnen drohte, die Häuser zu verbrennen. Einige Leute wurden mißhandelt und die Familie ging nach Barsad, eine andere Ortschaft bei Baggao, doch auch dort sollten sie nicht zur Ruhe kommen. Ständig wurden sie verdächtigt, die Guerilla zu unterstützen, viele aus der Gemeinde wurden schikaniert und ein Folteropfer gar geblendet. Doch sie blieben, da in anderen Gegenden keine Felder in Sicht waren. Im September letzten Jahres schließlich kam die CHDF nachts und versuchte, ihre Wasserbüffel zu stehlen. Die Zivilschutzeinheiten erhalten keinen Lohn vom Militär, sondern sind gehalten, sich mit Steuern und Spenden von der Bevölkerung über Wasser zu halten. Wo die Diät zu einseitig wird, müssen meist die Tiere dran glauben. Die Familie in Barsad jedoch bemerkte den Diebstahl und schlug Alarm, woraufhin die „Bürgerschützer“ ihre Häuser in Brand steckten und Nachbarn, die beim Löschen helfen wollten, beschossen. Am nächsten Tag wurden sie beim Bürgermeister vorstellig und verlangten Waffen zur Selbstverteidigung. Doch dieser insistierte, der Zwischenfall sei von der Guerilla begangen worden. Man werde Patrouillen einsetzen. Am folgenden Morgen fehlten weitere Tiere, und in der Nacht kamen die Übeltäter gar in Begleitung von Soldaten zurück und schlachteten das verbleibende Vieh. Die Familie floh zum zweiten Mal in wilder Panik, nur um einige Tage später zu erfahren, daß die anderen Dorfbewohner vom Bürgermeister zu einer Rallye gegen vermeintliche Übergriffe der NPA zusammengtrommelt wurden. Die Anwesenheit war Pflicht. Im Vergleich zu diesen Ereignissen erscheint der jungen Frau Tay–Tay als Hort des Friedens. Zwar muß die Familie nun täglich weite Fußwege in Kauf nehmen, um die Felder in Barsad zu bestellen und wegen des Verlustes der Büffel Geld zu Wucherzinsen leihen, doch zumindest wird nicht mehr geschossen. Jetzt kommen die CHDF nur noch und werfen nachts Steine auf die Häuser, und manchmal klopfen sie mit Stöcken an die Wand, sagt die junge Frau. Anders als in Barsad müssen sie in Tay–Tay auch weder Geld noch Reis an die CHDF geben, der Platz ist ein wenig abgelegen. „Das hier ist ein völlig normaler Fall“, sagt Bong Bautista zu den Horrorgeschichten aus Baggao und Umgebung. Wirklich zusammengebrochen ist der Waffenstillstand auf der anderen Seite des Flusses im Nordwesten. Dort unterhält der Holzkönig Alfonso Lim angeblich eine Privatarmee von 300 Mann samt eigenem Gefängnis, in dem regelmäßig gefoltert wird. Verdächtige sollen mit Drogen betäubt worden sein. Doch die Geschichten sind kaum zu verifizieren, denn kein Menschenrechtsaktivist hat sich je über die Stadt Pamplona hinausgewagt, und auch wir suchen vergebens nach einem kundigen Begleiter. „Wer von hier flieht“, sagt Jefferson Tugawin, der kann nicht mehr einfach zu Verwandten ins nächste Dorf. Entweder bleiben die Leute in den Slums oder sie flüchten dorthin, wo die NPA sie beschützen kann. Tief in den Wäldern, wo man tagelang läuft ohne ein Haus zu sehen, dort fangen sie dann ein neues Leben an.“ Doch auch dorthin werden sie manchmal verfolgt. Wie Bauernaktivisten vergangene Woche berichteten, wurden im Januar mehrmals Versammlungen der NPA in Dörfern im Nordwesten des Tals beschossen. 47 Prozent der der Siedlungen dort, so schätzt Tugawin, stehen unter dem Einfluß der Guerillas. Auch im vergangenen Jahr sind es nicht weniger geworden, obwohl Colonel Aquinaldo angibt, daß 200 Guerillas in letzter Zeit zum Militär übergelaufen sind.