Stammwähler–Partei

■ Infas–Wahlanalyse über Arbeitnehmer–Wahlverhalten

Die SPD ist bei der Wahl am 25. Januar auf ihre Ursprünge zurückgefallen. Sie ist - zumindest was ihr Wählerreservoir angeht - wieder geworden, was sie einst war: eine reine Arbeiterpartei. Während sie die Arbeiterschaft und die Gewerkschaftsmitglieder in ganz hohem Maße für sich mobilisieren konnte, sind ihr alle anderen Wählergruppen in Scharen davongelaufen - vorzugsweise zu den Grünen. Die Sozialdemokraten sind also weniger denn je in den letzten Jahren in der Lage gewesen, über ihre engste Stammklientel hinaus ein Bündnis zwischen verschiedenen Arbeitnehmerschichten herzustellen. Gerade die „modernen“ Arbeitnehmergruppen, die wachsende Zahl der qualifizierten Angestellten mit gehobenen Lebensansprüchen, kann die SPD mit ihren Themen nicht mehr an sich binden - ebenso wie die Gewerkschaften sich an diesen „Kollegen“ mit wachsender Ratlosigkeit die Zähne ausbeißen. Dabei ist diese Schicht nicht unbedingt, wie die Infas– Analyse ausweist, in ihrem Stimmverhalten aufstiegsorientiert zu den Freien Demokraten oder der CDU gewandert. Zu einem Gutteil sind die Grünen inzwischen das geworden, was die FDP in den siebziger Jahren während der sozialliberalen Koalition war: die Partei des progressiven Mittelstandes. Wenn die Sozialdemokraten nicht auf ihrer schrumpfenden Stammwählerschaft sitzenbleiben wollen, wenn sie überhaupt jemals wieder Teil einer gesellschaftlichen Reformmehrheit werden wollen, müssen sie sich den politischen Anliegen dieser neuen Mittelschichten öffnen. Und das ist keineswegs gleichbedeutend mit dem „Kampf um die Mitte“, wie ihn die Rechtssozialdemokratie fordert. Martin Kempe