Leben unter der großen Dunstglocke

■ Nach der zweiten Smog–Periode in diesem Jahr rückt der hausgemachte Dreck stärker ins Blickfeld

Langsam, aber sicher etabliert sich im Bewußtsein der Bundesbürger die fünfte Jahreszeit - neben Frühjahr, Sommer, Herbst und Winter -, der Smog. Einem Naturereignis gleich, legt sich in mehr oder minder regelmäßigen Abständen die große Dunstglocke über die Ballungszentren und löst die jeweils geltenden Smog–Verordnungen aus. Solange es nur im Hals kratzt, wird dies weithin mit Gleichmut registriert - erst wenn die Blechkiste stehenbleiben muß, kommt Freude auf.

Berlin/Hannover (taz) - „Der Smog kommt aus dem Osten“. Die Welt wußte mit ihrer Schlagzeile beim letzten bundesweiten Smog ganz genau, woher der Wind weht. Und auch in diesen Tagen wird die zweite Smog–Periode der BRD vornehmlich auf den „Schadstoffeintrag aus der DDR“ zurückgeführt. Daß sich die Smogwolken aus dem Raum Cottbus/Halle/Leipzig verabredet haben und Mitte Januar gezielt auf die kleinen niedersächsischen Städte Harlingerode und Oker heruntergegangen sind, während sie die umliegenden Gebiete verschonten, mochte allerdings nicht einmal die Tagesschau glauben, deren Kamera dezent über das Firmenschild der Preussag schwenkte. Und auch der Berliner Umweltsenator Starnick räumte am Montag abend vor der Fernsehkamera ein, daß der Berliner Smog zur Hälfte „selbstgemacht“ ist. Sonst wäre die Sinnhaftigkeit von Fahrverboten, Drosseln der Heizungen und Auflagen für die Kraftwerke auch kaum zu vermitteln. Über die tatsächliche Schadstoff–Bilanz der Bundesrepublik, das heißt über den „Import“ und „Export“ von Luftschadstoffen, macht sich kaum jemand Gedanken. Nach den neuesten Zahlen, die das Umweltbundesamt aus UNO–Angaben hochgerechnet hat und die für das Jahr 1983 vorliegen, sieht diese Bilanz für die Bundesrepublik eher düster aus. Die Schadstoff–Bilanz weist nämlich nach, daß die Bundesrepublik deutlich mehr Dreck an ihre Nachbarländer exportiert als sie selbst importiert. Konkret: 1983 betrug die Gesamtemission an Schwefel 1,375 Mio. Tonnen (das entspricht 2,75 Mio. Tonnen Schwefeldioxid). Davon gingen nur 0,42 Mio. Tonnen auf BRD–Gebiet nieder, der Rest von fast einer Million Tonnen wurde über großräumige Luftverfrachtungen an die Nachbarländer „abgegeben“. Der Import von Schadstoffen aus dem Ausland betrug demgegenüber aber nur 0,429 Milo. Tonnen. Damit ergibt sich unter dem Strich, daß die Bundesrepublik deutlich mehr Dreck produziert als sich im Lande niederschlägt. Daß der Smog durch die DDR mitverursacht wird, ist dennoch unbestreitbar. Über Windberechnungen lassen sich die Emissionsfahnen bis zu ihren Ursprüngen nachvollziehen, und die liegen vor allem in der südlichen DDR, wo sich 82 Prozent der Stromerzeugung aus Braunkohle konzentrieren. Im „eisernen Dreieck zwischen der DDR, der CSSR und Polen setzt man geradezu manisch auf Kohleverstromung“, schreibt der DDR–Kenner Martin Jaenicke. „Und das bedeutet, daß die Kohlekraftwerke rund um das Erzgebirge die höchste großräumige Schwefeldioxidemission in Europa verursachen - Tendenz steigend.“ Der Gesamtausstoß an Schwefeldioxid für die DDR wird auf jährlich zwischen vier und fünf Mio. Tonnen geschätzt. Doch über genaue Zahlen verfügt niemand. Sämtliche Angaben basieren auf Schätzungen, die mit Hilfe von Brennstoff–Analysen (wieviel Dreck ist in welcher Kohle) und Emissionsfaktoren errechnet werden. Neben der Diskussion über die Verursacher der dicken Luft stand gestern die unterschiedliche Handhabe von Smog– Verordnungen durch die einzelnen Länder und Städte im Mittelpunkt. Niedersachsen, zum zweiten Mal in diesem Jahr smoggebeutelt, verzichtete auf ein Fahrverbot. Grundsätzlich sieht die niedersächsische Smog–Verordnung ein Fahrverbot nur für die beiden Belastungsgebiete Braunschweig und Hannover vor. Dies tritt aber auch bei Smog–Alarm nur in Kraft, wenn mehr als 0,3 mg Stickoxid in der Luft gemessen werden. Der Stickoxid–Wert lag aber auch in Braunschweig gestern noch bei 0,1 mg. Man wende hier strikt das Verursacherprinzip an, begründete der Sprecher des Umweltministeriums gestern diese Bestimmung. Ein Fahrverbot werde nur verhängt, wenn die Luftbelastung auch tatsächlich von Fahrzeugen stamme. Auch die Betriebsstillegungen, die bei Smogstufe II vorgesehen sind, werden offenbar nicht so strikt durchgesetzt, wie man annehmen könnte. Dreckschleudern produzieren weiter Der Leiter des Gewerbeaufsichtsamtes Braunschweig konnte gestern mittag nur von einer Lackiererei in Braunschweig berichten, in der der Lackofen definitiv abgeschaltet worden sei. In allen anderen Fällen seien die Emissionen nur reduziert worden. Die Beamten des Gewerbeaufsichtsamtes seien am Dienstag morgen ausgesandt worden, um zu überprüfen, ob die einzelnen Betriebe die bei Alarmstufe II geltenden Grenzwerte auch einhielten. Das VW–Werk in Braunschweig, so der Leiter des Gewerbeaufsichtsamtes weiter, müsse beispielsweise nicht stillegen, da dort mit Gas geheizt würde. Auch die städtischen Kraftwerke könnten nur reduzieren, da sie zumindest die Fernheizung aufrechterhalten müßten. Ohnehin sei die Wirkung von Teilstillegungen und Reduzierungen im Smog–Gebiet selbst, so sagte der Leiter des Gewerbeaufsichtsamtes weiter, auf die Gesamtsituation gesehen relativ gering. Dabei ginge es immer nur um einen Schwefeldioxidausstoß von einem Kilo oder einigen -zig Kilo pro Stunde. Die Schadstoffmenge, die durch diese Maßnahmen im Smog–Gebiet weniger emittiert würde, sei sicherlich geringer als die Menge an Schwefedioxid, die aus dem Helmstedter Braunkohlerevier von den BKB– Kraftwerken Buschhaus und Offleben nach Braunschweig zuströme. Dort würde ja stündlich noch SO2 in einer Größenordnung von Tonnen emittiert. Mit der Bitte an die BKB, von sich aus den Schadstoffausstoß zu reduzieren, hat das Gewerbeaufsichtsamt Braunschweig bisher wenig Erfolg gehabt. Auf Anfrage betonte gestern die BKB, daß sie zu einer Drosselung ihrer Kraftwerke nicht gezwungen werden könne, da der Helmstedter Raum nicht im Gebiet der Smog–Verordnung liege. Man verfeuere jetzt allerdings von den verschiednen Braunkohlearten, die man fördere, diejenige mit dem niedrigsten Schwefelgehalt. Dadurch leißen sich die Emissionen um etwa 25 Kraftwerke im Winter stärker gefahren würden, liege man mit dem Schadstoffausstoß gegenwärtig immer noch in der Nähe des Jahresmittelwertes von etwa 13 Tonnen Schwefeldioxid pro Stunde. -man–/ü.o.