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Schubsen zwischen Schafen und Ziegen

■ Die „Grüne Woche“ in Berlin dauert noch bis zum 8. Februar / Schwämme aus Tunesien und Weihrauch aus Oman / Die Berliner konsumieren besonders gern die flüssigen Produkte / Streichelei zwischen Pappe und Sperrholz

Aus Berlin Heidi Platen

„Grüne Woche“ in über 20 Messehallen rund um den Fukturm - und Smog in Berlin. Am Sonntag abend gegen 19 Uhr drängen sich Aussteller und Besucher an den Taxiständen. Eine Hallendurchsage hat sie verschreckt: „Wir weisen die Aussteller darauf hin, daß Sie ihre Privatwagen nicht benutzen dürften!“. Der Taxifahrer, von findigen Gästen aus Hessen fast gehighjackt, hat seine eigene Meinung: „Ick finde, det die Luft noch janz jut is, wa, janz persönlich jesprochen!“ So sind sie, die Berliner, die seit Tagen in Scharen auf das Messegelände strömen und dies wohl auch noch bis zum 8. Februar tun werden. Die Freude an der „Grünen Woche“ kann ihnen so schnell keiner nehmen. Sie schieben sich unverdrossen von der Halle der Amerikaner zu den Schafherden, zum irischen Guiness, zum norwegischen Lachsbrötchen usw. usf.. Und zücken dabei unentwegt die Geldbörsen, denn umsonst gibts fast gar nichts. Der „ideelle Gesamt–Berliner“, stellt sich dabei heraus, liebt offensichtlich nichts so sehr, wie das Getümmel großer Menschenansammlungen: der ideale Testmarkt. Dabei wird herzhaft und kräftig geschubst, daß es eine Art hat. Verkniffen registrieren westliche Besucher, daß ihnen zum zigsten Male ein wackerer Berliner auf die Füße tritt, während er seiner Familie den Weg bahnt. Ausrichter der Mammut– Messe für Aussteller aus aller Welt ist die „Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“. Sie tauchte die Haupthalle, in der alle Bundesländer repräsentiert sind, in grelles Papp– und Spanplatten–Grün. Oben an den Wänden plakative Wiesen und Wälder, über dem Eingang der weiße Schriftzug „Essen in Deutschland“. Zwischen den Vermarktern landwirtschaftlicher Produkte aller Art - von Scheibenkäse bis Tütensuppen - erfährt der Verbraucher vor einem Feuchtbiotop auf Plastikplanen, daß er künftig mehr Holz verfeuern soll. Die Berliner werfen Münzen ins Wasser, was wohl heißen soll, daß sie auch nächstes Jahr wiederkommen werden. Ein Newcomer der Messe ist das Emirat Gman. An dem mehrere Meter langen blauweißen Stand riecht es ebenso intensiv wie muffig. In einer Schale glimmen kleine grünlichweiße Krümel; Weihrauch im Angebot. Frisches Obst bieten afrikanische und Lateinamerikanische Stände an. Die bunten Exoten türmen sich, werden zu Eis und Saft verarbeitet. Chile bietet Obst an, Tunesien Schwämme, Südkorea eingelegte Ginseng–Wurzeln, Argentinien Rindfleisch, Orchideen und Rosen. Eine Halle steckt bis unter die Decke voll mit Primeln - ein Alptraum für Allergiker, eine Wonne für Rabatten–Fans. Schafe, Ziegen, Rinder, ein künstlicher Bach mit Forellen und Karpfen im Zentrum der Ausstellung. Hier werden, sagen Standnachbarn, nachts vom Personal die Fische aus dem Wasser geklaut. Nebenan lärmen in engen Koben Dutzende von Schweinen, Bullen zerren an Eisenketten, Iltisse rennen auf Drahtrosten hin und her, Karnickel dösen und die Berliner Gören sind selig. Immer und überall bohren sie ihre Finger durch die Drahtgitter, um nach Fell zu lan gen. Ziegen und Schafe haben sich - so sie können - in ihren Gattern so in der Mitte zusammengeschart, daß sie gerade noch außer Reichweite bleiben. Etliche Firmen werben mit der Natur. Nicht so die US–Amerikaner. In ungebrochener Fülle verkaufen sie rosa und weiße Schaumprodukte, grelle Kuchen, Hamburger ect., Whisky und das „einzige amerikanische Bier auf dem deutschen Markt“. Na prost! Überhaupt, je später der Abend, um so mehr sind die landwirtschaftlichen Produkte aller Nationalitäten vor allem flüssig von Interesse. Himbeergeist aus Frankreich, Guiness, das dunkle Bier aus Irland, Champagner aus Schweden (!), die Berliner trinkens weg. Der Testmarkt meint aber nicht nur die Förderung des Absatzes von Agrarprodukten, er bietet alles auf, um die Konsumentin anzusprechen: Patentraspeln und -reiben, elektrische Waffeleisen, Massagegeräte, den Zaun fürs Eigenheim ebenso wie den Springbrunnen aus Plastik–Naturstein, Blumenzwiebeln, Bonsai– Bäume, Tischdecken und Strickmaschinen. Alle Firmen sind nur noch hier und jetzt auf der Messe zum einmaligen Sonderangebot bereit, „wenn Sie jetzt sofort bestellen“. Ökologisch vorn auf der Berliner „Grünen–Woche“ ist das rot– grüne Hessen. Der grüne Landtagsabgeordnete Jürgen Engel spart nicht mit Lob für das Ministerium für Landwirtschaft und Forsten. Der Ausstellungsstand zeigt den Zusammenhang von Umweltzerstörung und Landwirtschaft, zeigt Umnweltschäden und Situation in der Dritten Welt. Dorferneuerungssprogramm und Förderung ursprünglicher Produktionsweisen stellen sich vor mit einer Apfelweinkelterei und einem Zusammenschluß selbstschlachtender, verarbeitender und die Wurst auch vertreibender Betriebe. Auch Schleswig–Holstein stellt eine Alternative vor: eine kleine Firma sammelt Plastikabfälle und preßt sie zu Gartenzäunen und anderem. Das Material ist fest, läßt sich leicht bearbeiten und ist, nach Auskunft der Hersteller, sogar „für Bundesbahnschienen“ geeignet.

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