Parlamentarisch ist Abschalten der AKWs nicht durchsetzbar

■ Der grüne Fundi und Landtagsabgeordnete aus Wiesbaden plädiert für das Ende der Koalition / Es dürfen keine Posten gegen Positionen ausgespielt werden / Realpolitik gescheitert / Emanzipation von oben wird es nicht geben

„Sie dachten, sie wären an der Macht, und dabei waren sie nur an der Regierung!“ (Kurt Tucholsky) Seit wenigen Tagen verkünden die Grünen Reformisten freudestrahlend: Die Koalition ist gerettet! Auch der stellvertretende Ministerpräsident Krollmann (SPD) stimmt dem zu, da ALKEM nicht vor Ablauf der Legislaturperiode genehmigt werde. Dies ist allerdings die Wiederbelebung eines politischen Leichnams: Nach der Beschlußlage des hessischen Landesverbandes der Grünen ist die Koalition seit dem 1.1.87 beendet. Diese Tatsache kann jedoch erst jetzt am Sonntag, dem 8. Februar, auf der Landesversammlung in Langgöns festgestellt werden. Der Landesvorstand der Grünen hatte sich geweigert, diese Landesversammlung am Jahresanfang (aus Rücksichtnahme vor der Bundestagswahl, durchzuführen. Nach dem Schock von Tschernobyl wurde flügelübergreifend gefordert, alle Atomanlagen sofort stillzulegen. Die Bundesversammlung in Hannover beschloß am 18. Mai: „Die Bundesverammlung begrüßt die Entscheidung der Landtagsgruppe in Hessen, den sofortigen Ausstieg aus der Atomindustrie zur Koalitionsfrage zu erheben. Die Bundesversammlung erwartet deswegen vom hessischen Landesverband, daß er die Koalition mit der SPD beendet, wenn diese nicht der Stillegung aller hessichen Atomanlagen zustimmt (...), die spätestens bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode abgewickelt sein muß, und konkrete Maßnahmen (nicht nur Beschlüsse oder Studien) zur Erreichung dieses Ziels noch vor Ende 1986 vollzieht.“ Auch Staatsminister Joschka Fi scher stimmte diesem Antrag zu und erklärte: „Wenn wir keinen grundsätzlichen Schritt hin in Richtung Ausstieg - und zwar nicht Ausstieg 93, sondern in einem nachprüfbaren Zeitraum, der jetzt beginnen muß - wenn wir das bis Endes dieses Jahres nicht hinbekommen, dann heißt das für mich auch ganz persönlich, daß ich diese Sache nicht mehr tragen kann, und da bin ich im Wort.“ Auch auf der Landesversammlung der Grünen–Hessen in Pohlheim am 7.6.86 wurde diese Position einmütig bei nur drei Gegenstimmen bekräftigt: „Die Landesversammlung stellt fest, daß die Koalition mit der SPD beendet ist, wenn diese nicht der Stillegung aller Atomanlagen in Hessen zustimmt, die bis zum Ende der Legislaturperiode abgewickelt sein muß. Vereinbarungen und konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieses Ziels müssen noch vor Ende 1986 vollzogen werden.“ „Biblis A wird schon spätestens Ende 1986 stillgelegt. NUKEM–Alt wird ebenfalls schon spätestens Ende 1986 stillgelegt.“ Bisher liegt lediglich ein Diskussionspapier des hessischen Umweltministeriums vor, aber immer noch kein konkretes Stillegungskonzept für die hessischen Atomanlagen. Auch würden von der Landtagsgruppe keinerlei parlamentarische Initiativen zur Stillegung der bestehenden Anlagen ergriffen. Selbst von seinen rechtlichen Möglichkeiten, NUKEM und ALKEM nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz stillzulegen, machte der Minister Fischer keinen Gebrauch. Den Versuch wäre es wert gewesen! Nach seiner Zusicherung auf der Bundesversammlung hätte Joschka Fischer im Januar von selbst und nicht erst auf Beschluß der kommenden Landesversammlung zurücktreten müssen. Stattdessen erleben wir nun das Schauspiel „Genehmigungsstreit statt Stillegung“. Eigentlich war von vornherein klar, daß ALKEM nicht genehmigt wird, da bereits in der Koalitionsvereinbarung (Doppelvierer–Papier) grundsätzliche Bedenken dagegen festgehalten wurden und, wie von Franz Jakob in der taz öffentlich gemacht wurde, mündliche Vereinbarungen zwischen SPD, Grünen und Staatskanzlei existieren, ALKEM nicht zu genehmigen. Der Erfolg der ach so zähen Verhandlungen ist aber nicht die in Pohlheim beschlossene Stillegung, sondern der weitere illegale Betrieb der Plutonium(bomben)fabrik. Dabei würde eine Nichtgenehmigung von ALKEM doch nur die Beschlußlage von SPD–Parteitagen umsetzen: „Die Verarbeitung von Plutonium in den Hanauer Nuklearbetrieben wird 1986 unterbunden, indem der Antrag auf Genehmigung der Brennelementefertigung bei ALKEM abgelehnt wird“ (Parteitag Hessen Süd 1986) Wenn jetzt Bundesumweltminister Wallmann doch noch eine Genehmigung durchsetzen will, wird der (höchstwahrscheinlich erfolglose) Gang zum Bundesverfassungsgericht als letztes Mittel gepriesen. Dieser Erfolg in der Atompolitik läßt sich jedoch nur vor dem Hintergrund des „Gesamtkunstwerkes rot–grüne Koalition“ ausreichend würdigen: der Giftmüll fährt weiter nach Schöneberg (da können SPD und Grüne in Lübeck klagen, wie sie wollen), die Biotonne wird wieder eingemottet, die Müllverbrennung wird integraler Bestandteil eines Grünen Entsorgungskonzeptes. Höchst leitet seine Gifte mittlerweile legalisiert in den Main ein, weitere Smog–Meßstellen werden in Frankfurt nicht eingerichtet, der Wald stirbt. Wasserwerfer werden mit Grünen– Geldern angeschafft, ein getöteter Demonstrant löst eineinhalb Jahre später ein Landtagsforum über Polizeieinsätze aus, Börners Rolle bei der Staatsbombe in Celle wird betreten verschwiegen, das Volk wird demnächst gezählt und erfaßt, es herrscht kein bißchen Frieden im Land. Auch wenn wie beim Einspeisungsgesetz (Verkabelung) mit wechselnden Mehrheiten (CDU, SPD, FDP) gearbeitet werden muß, überlebt eine solche Koalition auch dies.