Nur mit den Grünen in der Regierung ist Ausstieg aus Atomenergie möglich

■ Der Realo der hessischen Grünen sieht die Schmerzgrenze erst dann erreicht, wenn die SPD Neu– und Erweiterungsgenehmigungen erteilt / Als Regierungspartei den Marsch in Plutoniumstaat behindern

Ginge es nach den Hanauer Grünen oder dem Atomexperten der Landtagsgruppe, Franz Jakob, dann gäbe es seit dem 8. Januar 1987 keine grün–rote Koalition mehr in Hessen. An diesem Tag nämlich stellte der hessische Wirtschaftsminister Ulrich Steger in einmaliger Tölpelhaftigkeit der Hanauer Plutoniumschmiede ALKEM eine eingeschränkte Genehmigung in Aussicht. Und ginge es nach dem Koalitionsgegner in der Grünen Fraktion, Jan Kuhnert, dann wäre die Koalition spätestens seit dem 16. Dezember letzten Jahres beendet. An diesem Tag nämlich stimmte er zusammen mit der CDU für die Entlassung des ersten und einzigen grünen Ministers, Joschka Fischer, wg. Unfähigkeit. Während letzterer lediglich seine obligatorische Pflichtübung absolvierte - hatte er das Scheitern doch schon vor Aufnahme der Koalition verkündet -, ist das Verhalten der anderen angesichts der Provokation durch den SPD–Wirtschaftsminister emotional verständlich. Politisch aber, d.h. hinsichtlich eines Erfolges gegen die Atomindustrie, begibt man sich damit in eine höchst fragwürdige und gefährliche Situation: Steger hatte nämlich in seinem Brief an Bundesumweltminister Wallmann angekündigt, wie er handeln würde, wenn er nur könnte. Wer aber soll ihn hindern? Spätestens seit der Veröffentlichung eines internen Entwurfs einer Teilerrichtungsgenehmigung für die Firma ALKEM vom November 1986 ist deutlich geworden, wie eine nicht mehr an einen Koalitionsvertrag mit den Grünen gebundene SPD wissentlich oder fahrlässig in die Plutoniumwirtschaft reingestolpert wäre. In jenem Herrn Wallmann vorgelegten Entwurf wurde von den hessischen Atombürokraten eine Plutoniummenge von 2,5 Tonnen für „betriebstechnisch notwendig“ erachtet - mit der Option auf die volle beantragte Menge von 6,7 Tonnen. Dagegen wirkt die in der „Alternativgenehmigung“ vom 8. Januar in Aussicht gestellte Umgangsmenge von 460 kg fast lächerlich. Doch auch für die hartgesottensten Koalitionsbefürworter in der Landtagsgruppe war klar: Eine wie auch immer begrenzte Genehmigung des Betriebs der Plutoniumschmiede bedeutet das Aus für die Koalition, ganz gleich, ob 2.500 oder 460 Kilogramm Plutonium. Aber genehmigt ist bis auf den heutigen Tag noch gar nichts. Im Gegenteil: Das Verhandeln, der Streit in der Koalition, in dem die Grünen deutlich machten, daß sie die Zusammenarbeit wollen, aber nicht zum Preis des Einstiegs in die Plutoniumwirtschaft, hat nun bewirkt, daß auch von Seiten der SPD klar und deutlich jeglicher Genehmigung der ALKEM in dieser Legislaturperiode eine Absage erteilt wurde. Wenn damit die SPD auch lediglich wieder auf die Grundlage der Koalitionsvereinbarung zurückgekehrt war, ist dies doch zugleich ein Erfolg der Regierungsbeteiligung. Zu diesem Weg müssen dann auch die Alternativen dargestellt werden. Was wäre denn die Situation, wenn die Grünen am 8. Januar die Koalition für beendet erklärt hätten? Welche Kraft hätte dann die SPD von diesem Schritt der eingeschränkten Genehmigung abgehalten? Die verschreckten Genossen aus Hessen–Süd sicherlich nicht, die in einem Brief an den eigenen Parteivorstand fast wörtlich die Argumente der Grünen Landtagsgruppe übernahmen. Ihre Kampfesstärke hat sich schon mehrmals negativ bewiesen: am deutlichsten wohl bei der Startbahnauseinandersetzung 1981, als sie schließlich bei der entscheidenden Abstimmung im Landtag klein beigaben. Eines hat sich anhand der aktuellen Auseinandersetzung deutlich gezeigt: in Hessen sind die Grünen als Regierungspartei der entscheidende Faktor, der den Marsch in den Plutoniumstaat behindert. Wer allerdings jetzt, nach dem Zählerfolg Alle Augen starren nach Hessen, weil hier konkrete Schritte möglich sind. Sie sind möglich, weil die Grünen mitregieren. Aber es sind zuerst einmal nur Schritte, um eine verhängnisvolle Entwicklung zu bremsen, zu stoppen. Wackersdorf wird nun einmal in Bayern gebaut, das Atomgesetz in Bonn gemacht. Groß–Hessische Allmachtsfantasien sind da angesichts der Bestätigung der schwarz–gelben Koalition wirklich nicht angebracht. Am kommenden Sonntag wird die grüne Landesmitgliederversammlung im mittel–hessischen Städtchen Langgöns darüber zu befinden haben, ob diese Koalition zwischen Grünen und SPD acht Monate vor der Landtagswahl beendet werden soll. Sie wird diskutieren müssen angesichts einer deutlichen Bestätigung bei der Bundestagswahl (zweitbestes Ergebnis und höchster Zuwachs in einem Flächenland). Sie wird sich damit auseinandersetzen müssen, daß in der SPD ein Umdenkungsprozeß begonnen hat, der andere gesellschaftliche Mehrheiten mit den Grünen nicht mehr utopisch erscheinen läßt. Sie wird sich der Tatsache stellen müssen, daß in zwei Bundesländern in diesem Jahr Grüne erstmals ins Landesparlament einziehen können und daß nur ein weiteres grün–rotes Bundesland reicht, um die Bundesratsmehrheit zu verändern. Die Grünen in Hessen haben es nicht geschafft, bis zum Ende des vergangenen Jahres das Atomkraftwerk Biblis A stillzulegen. Das damit verbundene Ultimatum (“wenn nicht 31.12., dann Ende der Koalition“) hat sich in seiner Selbstfesselung als politisch unklug erwiesen. Es gibt Schmerzgrenzen: irgendwie geartete Neu– oder Erweiterungsgenehmigungen für atomare Anlagen sind mit den Grünen nicht zu machen. Der Ausstieg aus der Atomenergie geht allerdings nicht ohne die Grünen.