Ein lila Auto ist sehr verdächtig

■ Woran die Justiz erkennt, wer Aktionen gegen einen unbescholtenen Rechtsanwalt macht

„Man kann den beiden Angeklagten die Tat zutrauen“ - diese Erkenntnis reichte dem Dortmunder Amtsgericht aus, um zwei Frauen wegen „Sachbeschädigung und übler Nachrede“ zu Geldstrafen von je 1.050 DM zu verurteilen. In der Nacht vom zweiten auf den dritten Juni 86 hatten anonyme Täterinnen dem Dortmunder Rechtsanwalt Wittmann deutlich gemacht, was sie von seiner Verteidigung von Vergewaltigern und Frauenmördern halten. An seinem Haus, auf seinem Garagentor und auf verschiedenen Wänden in der Nachbarschaft war zu lesen: „Frauenkampf gegen Männerjustiz“, „der wahre Vergewaltiger ist der Staat“, oder auch nur „Wittmann paß auf!“. In Briefkästen und an den Windschutzscheiben geparkter Autos steckten Flugblätter, die Wittmanns Einsatz für seine Mandanten auf den Punkt brachten: Nicht der Täter ist schuldig, sondern das Opfer. Während Wittmanns Familie, Nachbarn und die Polizei am Mittag des 3. Juni mit Säuberungsaktionen und Spurensicherung beschäftigt waren, fielen dem Kriminalhauptwachtmeister Priebe „zwei junge Damen“ auf, die sich „irgendwie von der Norm abweichend verhielten. Sie zeigten kein Interesse an den Sprüchen, obwohl sie so aussahen, als ob sie sich dafür interessieren müßten“, sagte er vor Gericht aus. Der Kripobeamte forderte die neunjährige Tochter des Rechtsanwalts auf, die beiden Frauen zu beschatten. Kurz darauf kam das aufgeweckte Kind zurück mit der Meldung: „Die steigen in ein lila Auto.“ Da brauchte Priebe nicht mehr viel zu kombinieren. Das Auto und die Wohnungen der beiden Frauen wurden durchsucht. 39 Exemplare der in der Nachbarschaft aufgetauchten Flugblätter wurden gefunden, ein Zettel, den die Kripo für einen Teil des Originalflugblatts hielt, und eine Schreibmaschine wurden beschlagnahmt. Deren Type sei der Schrift auf dem Flugblatt ähnlich, hieß es in der Beweisführung. Das reichte dem Amtsgericht in diesem Fall zur Verurteilung. Rechtsanwältin Dorothee Frings verwies auf das Gutachten des Landeskriminalamts, das lediglich eine Maschine dieses (weitverbreiteten) Typs als Tatwerkzeug definierte. Sie monierte weiterhin, daß „Eigentum als hochstehendes Gut stets verteidigt wird, die sexuelle Selbstbestimmung der Frau diese Bewertung vor Gericht nie erfahren hat.“ Doch für Richter Hans Ulrich Eskens waren die beiden Angeklagten mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ überführt. Die 120 Prozeßbesucherinnen gaben ihrem Unmut über diese Art der Beweisführung lautstark Ausdruck, so daß die Verhandlung mehrmals unterbrochen wurde. Schließlich räumte Polizei den Saal. Während der Urteilsbegründung verließen die beiden Angeklagten den Saal und schlossen sich den draußen wartenden Frauen an. Richter Eskens väterliche Hoffnung auf „Einsicht bei den Angeklagten und Zuhörerinnen“ wurde so schnell enttäuscht. Inzwischen ist Rechtsanwältin Dorothee Frings gegen das Urteil in Berufung gegangen. Corinna Kawaters