Zehn Tage Galgenfrist für hessische Koalition

■ Landesversammlung der hessischen Grünen für Koalitionsbruch Mitte Februar / Satte Mehrheit für die Realos / Joschka Fischer: „Mein letzter Bericht als Minister“

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Langgöns (taz) - Nach einer hitzig geführten Antragsdebatte konnten sich die hessischen Realpolitiker um Joschka Fischer und die Landtagsgruppe gestern abend auf der Landesversammlung der Grünen erneut einen „bitteren Sieg“ an die Fahnen heften. Die gut 800 in Langgöns anwesenden Grünen votierten in der Schlußabstimmung mehrheitlich für einen modifizierten Antrag, in dem die SPD aufgefordert wird, bis zum 17.2. - Beginn der Plenarwoche in Wiesbaden - ihre Haltung in Sachen ALKEM zu revidieren. Andernfalls werde die Landtagsgruppe in der kommenden Sitzungswoche die „notwendigen Initiativen“ ergreifen: „Zustimmung zu einem Mißtrauensantrag, Ablehnung der Vertrauensfrage, Antrag auf Auflösung des hessischen Landtags, Abberufung des Wirtschaftsministers und Rücktritt von Minister Fischer. Das Ergebnis fiel mit 477 zu 277 Stimmen eindeutig zugunsten der Realos aus. In einer mit scharfen Seitenhieben auf die Fundamentalisten gespickten Schlußrede appellierte Hubert Kleinert (MdB) an die Versammelten, eine „politische Ent scheidung“ zu treffen. Holger Börner müsse im Parlament zum Rücktritt gezwungen werden, damit der Weg zu Neuwahlen freiwerde. Sollten die Grünen dagegen ihren Minister zurückziehen und von sich aus die Koalition aufkündigen, erhalte die Regierung Börner die Möglichkeit, geschäftsführend im Amt zu bleiben. Der von Kuhnert, Jutta Ditfurth, Manfred Zieran und anderen gezeichnete „Fundi“–Antrag schlug einen Bogen vom Pohlheimer–Beschluß der hessischen Grünen (konkrete Maßnahmen zum Ausstieg aus der Atomenergie noch 1986) bis zur von Wirtschaftsminister Steger angekündigten Genehmigung für die Plutoniumfabrik ALKEM. Kuhnert beschuldigte in seiner Grundsatzrede den Minister Fischer, mit den Parteimitgliedern „taktische Spielchen“ betreiben zu wollen. Als dann „Staatsminister Fischer“ das Wort ergriff, entrollte eine Marburger Anti–Atom–Initiative - unter dem Jubel der Versammelten - ein Transparent: „Biblis und ALKEM sofort abschalten.“ In seiner Antwort warnte Joschka Fischer vor einer „fundamentalistischen Besoffenheit“ im Saale. Er jedenfalls könne angesichts des bevorstehenden Koalitionsbruchs nicht in Jubel ausbrechen. Denn Börner sei dabei, eine „historische Chance kaputtzuschlagen“: „Die Koalition scheitert an der sozialdemokratischen Loyalität zur Atomwirtschaft. Deshalb wird das heute wohl mein letzter Rechenschaftsbericht als Minister sein.“ Fortsetzung auf Seite 2 Fischer und die „Realos“ der Landtagsgruppe wollen die Entscheidung über den Bruch allerdings in den Landtag hineintragen. Fischer: „Die Koalition ist im Landtag besiegelt worden, die Koalition muß auch im Landtag beendet werden.“ Sollte die SPD ihren Brief an den Bundesumweltminister, in dem Wallmann am 5.2. eine ALKEM–Genehmigung auf der Basis von 460 kg Plutonium angekündigt wurde, nicht bis zur nächsten Plenarwoche (17.–20.2.) zurückgezogen haben, „dann hat diese Koalition keine Mehrheit mehr“. Das sei dann der „direkte Weg in die Neuwahlen“. Ein sofortiger Bruch - von den Grünen auf ihrer Landesversammlung vollzogen - würde es der SPD erleichtern, in dem mit Sicherheit kommenden Landtagswahlkampf die „auseinanderstrebenden Reihen“ mit einer Schuldzuweisung an die Grünen wieder schließen zu können. Die „koalitionsunfähige Führungsspitze der SPD“ (Priska Hinz), die gegen Beschlüsse der eigenen Partei verstoßen habe, dürfe nicht von den Grünen aus dieser Klemme entlassen werden. Der sozialdemokratischen Basis müsse klar werden, daß die Grünen diese hessische Koalition zwar „für bitter notwendig halten“ (Fischer), daß sie aber nicht bereit sind, sich von der SPD–Führung zur Atompartei machen zu lassen. Die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen hatte zuvor bereits der Abgeordnete Boppel angesprochen. „Wir werfen die Koalition in die Waagschale, aber wenn die SPD ihre Position nicht ändert, sind wir bereit zur Beendigung der Koalition. Dann geht der Zug in Richting Neuwahlen, und zwar bald.“ Auch „Realo“ Roland Kern bat die Versammelten um ein Votum für die Verschiebung der Entscheidung bis Mitte Februar, damit der „Handlungsspielraum“ noch voll ausgeschöpft werden könne: „Heute kann doch keiner sagen, was die SPD - oder die ALKEM - morgen machen wird.“