Schlachten wie im ersten Weltkrieg

■ Während der „Städtekrieg“ am Persischen Golf Tausende von Opfern fordert, versuchen irakische Truppen, in Mann–zu–Mann–Kämpfen iranische Stellungen nahe der Stadt Basrah zurückzuerobern

Aus Bahrain William Hart

Im Kampf Mann gegen Mann erobern die irakischen Streitkräfte seit dem letzten Wochenende Meter um Meter das in den vergangenen vier Wochen von iranischen Truppen besetzte Gebiet östlich der irakischen Hafenstadt Basrah zurück. Mindestens 400.000 Iraner und Iraker sind an dieser bisher erbittertsten Schlacht des gesamten sechseinhalb Jahre alten Golfkriegs beteiligt. Die Zahl der Toten und Verwundeten seit Jahresbeginn dürfte mindestens 100.000 betragen. Die täglichen Beschießungen und Bombardierungen von städtischen Wohngebieten haben weitere Tausende von Opfern unter der Zivilbevölkerung gefordert. Diese Luftangriffe sind auch ein Zeichen dafür, mit welcher Erbitterung am Boden gekämpft wird. Denn durch den Städtekrieg will jede Seite den Gegner auch zur Beendigung der Bodenkämpfe zwingen. Die irakische Gegenoffensive hat vor allem das Ziel, innen– und außenpolitisch zu beweisen, daß iranische Angriffe scheitern müssen. Dabei hat Bagdad aus dem Kampf um Fao gelernt. Vor genau einem Jahr hatten die Iraner den Shatt al Arab überquert und den bereits zu Beginn des Krieges zerstörten irakischen Ölhafen mit fast 100 Quadratkilometern Ufergelände besetzt. Die Iraker hatten die Besatzungstruppen zwar monatelang mit schweren Waffen angegriffen, aber den Sturmangriff auf die Iraner aus Angst vor zu hohen eigenen Velusten zu lange hinausgezögert. Seither ist Fao das Symbol für die militärische Schwäche Iraks. Um die Wiederholung des Fao–Effekts zu vermeiden, hat Irak jetzt diese fürchterliche Gegenoffensive gestartet. Wie im ersten Weltkrieg wird seit Tagen ein iranischer Schützengraben nach dem anderen erobert. Bereits am Wo chenanfang war es den irakischen Truppen gelungen, die Soldaten Khomeinis hinter den sogenannten Fischsee zurückzudrängen. Nach wie vor halten die Iraner jedoch knapp zehn Quadratkilometer besetzt. Die langfristigen militärischen Auswirkungen dieser Schlacht bei Basrah sind nur schwer abzuschätzen, da nicht klar ist, wie sehr die Kämpfe an der militärischen Substanz der Streitkräfte beider Länder zehren. Irak schickt offensichtlich nur in Ausnahmefällen Eliteverbände an die Front, da man mit weiteren iranischen Angriffen rechnet. Gleichzeitig wird aber versucht, Teheran zu zwingen, immer neue Verbände in Basrah einzusetzen, um den Gegner mittelfristig zu schwächen und die nach wie vor gute Moral der Invasionstruppen zu brechen. Mit den brutalen Angriffen auf die iranischen Städte soll zudem die allgemeine Kriegsbereitschaft des Teils der Bevölkerung, der Khomeini noch unterstützt, unterminiert werden. Aus diesem Grunde dürften die Bombardierungen auch fortgesetzt werden. Auch in Bagdad ist bekannt, daß solche Angriffe in der Vergangenheit in ihrer ersten Phase die iranische Kampfbereitschaft gestärkt haben, später jedoch eher in Kriegsmüdigkeit umschlugen. Gleichzeitig sollen die innenpolitischen Kräfte in Teheran, die sich für Friedensverhandlungen ausgesprochen haben, gestärkt werden. Im Gegenzug will Teheran mit der Beschießung der Grenzstädte und den Raketenangriffen auf Bagdad den innenpolitischen Druck auf das Baathregime erhöhen. Diese Konstellation bietet derzeit keine Ansätze für einen Waffenstillstand oder gar Friedensverhandlungen. Dennoch könnten die Kämpfe der vergangenen Wochen dazu führen, daß die Führung in Teheran im Frühjahr eine von Algerien unterstützte Friedensinitiative zumindest erst einmal toleriert und mit dem indonesischen Außenminister, der am Wochenende in Teheran ist, ernsthafte Gespräche führt. Der Erfolg solcher Bemühungen hängt jedoch auch davon ab, ob die Supermächte und die europäischen Staaten alles in ihrer Macht stehende tun, den Krieg zu beenden. Aber da nicht einmal mehr das seit Wochen andauernde Blutvergießen richtig registriert wird, die Zahl der Toten in erschreckender Weise heruntergespielt wird und da die Industriestaaten nach wie vor Waffen und Munition sowie Rohstoffe für deren Produktion an Iran und Irak liefern, deutet alles daraufhin, daß sie auf die Fortsetzung der Kämpfe setzen. Das zynische Kalkül sieht vermutlich so aus: Die irakischen Erfolge der vergangenen Tage haben gezeigt, daß trotz Hunderttausender von Toten und Verwundeten der Status quo in der Region erhalten bleibt und die Kämpfe sogar genutzt werden können, um den eigenen Einfluß in dieser Region zu erhöhen.