Fischer kann seine Papiere abholen

■ Nach dem Ultimatum der Grünen feuert Ministerpräsident Börner seinen Minister Fischer

Nicht einmal einen Tag währte die Galgenfrist, die die hessischen Grünen der SPD einräumten. Sollte sie auf der ALKEM–Genehmigung bestehen, so würde die Koalition platzen. Gestern schrieb Börner erbost an seinen Umw gescheitert. Die Grünen haben den Antrag zur Auflösung des Parlaments bereits formuliert.

Einen glänzenden Sieg haben sie nicht errungen, die hessischen Realpolitiker um Joschka Fischer. Als das Parteitagspräsidium in Langgöns am Sonntag gegen 19 Uhr - nach stundenlangem, hitzigem Schlagabtausch - das mit Spannung erwartete Ergebnis der schriftlichen Abstimmung bekanntgab, lagen sich die Realos nicht wie sonst üblich in den Armen. Eher still rafften die „Zimmermänner und -frauen“ der rot– grünen Koalition ihre Papiere zusammen. Es war in der Tat ein bitterer Sieg, der über die unvermeidlich scheinende Zerschlagung der ersten rot–grünen Koalition dieser Republik nicht hinwegtrösten konnte. Denn die minimale Chance auf Umkehr, die den hessischen Sozialdemokraten mit dem in Langgöns verabschiedeten Antrag noch geboten wurde, wird von Holger Börner nicht genutzt werden. Noch am Sonntag abend verkündete der Geschäftsführer der SPD–Fraktion im hessischen Landtag, Wolfgang Kiehne, daß die Sozialdemokraten nicht bereit seien, ihre Haltung in der ALKEM–Frage zu revidieren: „Drohungen, Ultimaten und zusätzliche Forderungen sind keine geeigneten Mittel in der Politik.“ Das „Ende der Fahnenstange“(Fischer) ist erreicht. Nach dieser Entscheidung der Landesversammlung der hessischen Grünen kann die Führungsspitze der SPD nicht mehr auf die „grüne Linie“ umschwenken, will sie sich nicht - landauf, landab - von Christ– und „freien“ Demokraten des Kniefalls vor den Grünen bezichtigen lassen. Entsprechend stand auf dem Parteitag in Langgöns die Frage nach einer Fortsetzung dieser Koalition nicht mehr zur Debatte. Mit dem Brief des Steger– Staatssekretärs Kummer an Bundesumweltminister Wallmann vom 5. Februar, in dem das hessische Wirtschaftsministerium erneut die Genehmigung des ALKEM–Antrags auf der modifizierten Basis (460 Kg) ankündigte, waren die Würfel gefallen. Selbst die glühendsten Koalitionsbefürworter im Lager der Grünen setzten auf „Bruch“, denn die Identität der Partei stand auf dem Spiel. In den zwei Tagen nach der Veröffentlichung dieses „Kummer– Briefes“ ging es denn bei den Grünen auch nur noch darum, die Schuld der SPD an diesem Koalitionsbruch herauszustreichen. Auf nichts anderes zielte der in Langgöns verabschiedete Antrag der Landtagsgruppe und der grünen Regierungsmitglieder Fischer, Kerschgens und Marita Haibach ab. Mit dem Offenhalten der Tür bis zur kommenden Plenarsitzung (17.–20.2.) haben die Grünen gezeigt, daß sie weiterhin ein elementares Interesse an der Fortsetzung dieser Koalition haben, daß sie aber nicht gewillt sind, grüne Grundsätze auf dem Regierungsaltar zu opfern. Insofern war der Antrag der Realpolitiker weitaus radikaler als der „Fundi–Antrag“ auf umgehende Aufkündigung des Bündnisses. Ein sofortiger Bruch via Parteitagsbeschluß der Grünen hätte den Sozialdemokraten die Chance gegeben, mit dem „Finger“ auf die „bösen Grünen“ deuten zu können, weil sie für das Ende der Koalition die Verantwortung hätten tragen müssen. In Langgöns saß die Basis der Grünen denn auch eher kopfschüttelnd an den langen Tischen. Daß die rot–grüne Koalition, die doch gerade „so schön am Laufen“ war, ausgerechnet an der Plutoniumfrage auseinanderbrechen wird, wollte nur den wenigsten Mitgliedern einleuchten. Die Parteitagsbeschlüsse nicht nur der hessischen SPD waren doch eindeutig: kein Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, keine Genehmigung von ALKEM. „Warum hat der Holger das gemacht?“ Mit dieser Frage quälten sich am Sonntag nicht nur die „einfachen“ Parteimitglieder herum. Während die einen vermuten, daß die SPD - im Vorfeld der Bundestagswahlen - mit der am 8. Januar angekündigten ALKEM–Genehmigung ein Signal in Richtung Arbeitnehmer in Hanau habe absenden wollen, tippen andere schlicht auf die „mangelnde politische Sensibilität“ der SPD, eine „Eigenschaft“, die diese Partei schon immer „ausgezeichnet“ habe. Wahr ist, daß Steger für diesen „coup“ in Sachen ALKEM nicht die Alleinverantwortung zu tragen hat. Am ALKEM–Entwurf hat die hessische Staatskanzlei unter „Chefdenker“ Paul Leo Giani kräftig mitgebastelt. Anfang Januar hatte man sich im Regierungssitz Holger Börners eine zweigleisige Strategie ausgedacht: Befriedigung der aufgebrachten Arbeitnehmer aus den Reihen der IG Chemie in Hanau in Verbindung mit einer „Ruhigstellung“ der Grünen über die Erteilung einer befristeten Genehmigung für ALKEM. Daß Ministerpräsident Holger Börner mit seiner Richtlinienkompetenz die Verantwortung für das Scheitern dieser Strategie mitzutragen hat, steht außer Zweifel. Entsprechend hart zog Börner gestern vom Leder. Mit der Ent lassung von Joschka Fischer hat der Regierungschef alle Brücken zu den Grünen abgebrochen. Holger Börners Tage als Regierungschef scheinen gezählt. Mit dem Verstoß gegen die Beschlüsse der eigenen Partei hat Börner auch innerhalb der Sozialdemokratie eine Protestlawine losgetreten, die den ehemals „starken Holger“ unter sich begraben könnte. Es ist mehr als fraglich, ob Holger Börner - sollte es zu Neuwahlen kommen - die hessische SPD noch einmal als Spitzenkandidat in den Wahl kampf führen wird. Nach seinem Schwächeanfall im Landtag kränkelt Börner ohnehin. Doch wer - außer Börner - soll die hessische SPD in den Landtagswahlkampf führen? Finanzminister Krollmann ist zwar der Kronprinz, aber nicht der Mann der Linken in Hessen–Süd. Und Heidemarie Wieczorek– Zeul, die bereits ins Spiel gebracht wurde, würde im konservativen hessischen Norden auf Granit beißen. Ob ein „einzufliegender“ Volker Hauff, der den Linken seit dem Startbahn–Konflikt suspekt ist, in der hessischen Sozialdemokratie mehrheitsfähig ist, muß auch bezweifelt werden. Die Grünen werden jetzt, nach der Entlassung ihres Ministers auf „Mafiosiart“ (Pressesprecher Weist), im Landtag einen Antrag auf Auflösung desselben einbringen. Stimme die noch–Oppositionsparteien CDU und FDP diesem Antrag in der nächsten Woche zu, kann in Hessen im April gewählt werden. Klaus–Peter Klingelschmitt