Neue GATT–Runde startet mit einmonatiger Verspätung

■ Welthandelskonferenz im Zeichen starker Spannungen zwischen EG und USA / Nach Niederlage im Agrarstreit will EG nicht erneut vor Washington kapitulieren

Aus Genf Alfred Krüger

Gestern hat die achte Verhandlungsrunde am Sitz des Welthandel– und Zollabkommens GATT in Genf formell ihre Arbeiten aufgenommen. Die neue multilaterale Runde über die Liberalisierung des Welthandels, auch „Uruguay Runde“ genannt, in die erstmals in der Geschichte des GATT auch der grenzüberschreitende Handel mit Dienstleistungen einbezogen wird, startet mit einem einmonatigen Verzug. Die Vorausarbeiten für die neue Runde, d.h. die Festlegung der Verhandlungsstrukturen und der Arbeitspläne hätten eigentlich schon am 19. Dezember letzten Jahres beendet sein sollen. Eine Einigung hierüber kam jedoch erst Ende Januar zustande. Sie verzögerte sich insbesondere, weil es sich viel schwieriger als zunächst erwartet erwies, die Interessen der hauptsächlichen Agrarexportländer unter einen Hut zu bringen. Die Konkurrenten der EG auf dem Weltagrarmarkt, angeführt von den Vereinigten Staaten, wollten den einzelnen Arbeitsgruppen der GNG (siehe Kasten) eine relativ große Eigenständigkeit zugestehen, gerade was die Geschwindigkeit und den Zeitplan der Verhandlungen über die 14 Einzelthemen anbelangt. Die mehr oder weniger isolierte EG hielt nichts von einem derartigen Vorschlag. Sie vertrat die Meinung, alle Arbeitsgruppen müßten in ungefähr demselben Rhythmus verhandeln und auch in demselben Rhythmus Fortschritte erzielen. Nur so könne man zu einem ausgeglichenen Gesamtpaket im Bereich des internationalen Warenverkehrs kommen. Die Interessen der EG und ihrer Hauptrivalen liegen im Agrarsektor weit auseinander. Länder wie die USA, Kanada, Australien und weitere Agrarexporteure aus der Dritten Welt drängen auf eine rasche Liberalisierung des internationalen Agrarhandels. Dabei denken sie in erster Linie an den Abbau der massiven Exportbeihilfen der Zwölfergemeinschaft, die sie, je schneller, desto lieber, abschaffen wollen. Absicht dieser Ländergruppe ist es, sich prioritär dieses Themas anzunehmen und hier schneller zu Ergebnissen zu kommen als bei den 13 übrigen Themen der GNG. In der Tat, für die republikanische Reagan–Administration drängt die Zeit. Sie will noch rechtzeitig zu Beginn der Kampagne für die nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 1988 mit ersten Verhandlungserfolgen an der Agrarfront bei ihrer zum Teil stark gebeutelten Wählerschaft unter den Farmern aufwarten, die immer mehr ins oppositionelle demokratische Lager abwandern. Aber auch in Frankreich, dem größten Agrarausfuhrland der Gemeinschaft, stehen im Mai 1988 Präsidentschaftswahlen an. Premierminister Chirac kann es sich deshalb kaum leisten, durch vorzeitige Konzessionen auf dem Genfer Verhandlungstisch bei den Exportsubventionen ländliche Wähler zu verunsichern. Die Zwölfergemeinschaft als ganzes war nicht nur aus Solidarität mit Frankreich, sondern auch aus einem anderen Grund gegen den von Washington gewünschten „fast track“–Ansatz bezüglich der Agrarverhandlungen. Zu frühzeitige Konzessionen in diesem Sektor hätten die EG eines gewichtigen Trumpfes bei den anderen Verhandlungen beraubt. Denn ihre Zugeständnisse zum Abbau der Exportsubventionen versucht sie nach Möglichkeit durch Gegenkonzessionen ihrer Handelskonkurrenten in anderen Bereichen zu kompensieren. Mit dem schließlich nach mühsamen Verhandlungen gefundenen Kompromiß konnten sich alle Parteien zufrieden geben, da er praktisch alle Möglichkeiten offenläßt. Die Endphase der Diskussionen hierüber war ohnehin vom amerikanisch–europäischen Handelsstreit über Kompensationsforderungen Washingtons für verlorengegangene Absatzmärkte in Spanien und Portugal im Zuge der Süderweiterung der Gemeinschaft überschattet und psychologisch erheblich belastet. Es wäre auch zuviel verlangt gewesen, hieß es in europäischen GATT– Kreisen, in ein– und derselben Woche gleich zweimal vor den Amerikanern zu kapitulieren. Was den Zeitplan der Uruguay– Runde anbelangt, ist ein dreiphasiges Vorgehen vereinbart worden. Die erste Phase, die bis Ende dieses Jahres gehen soll, dient der „Identifikation der Probleme“, also der Zusammenstellung der Verhandlungsgrundlagen. In der zweiten Phase soll die Verhandlungsposition der einzelnen GATT–Mitgliedsländer fertiggestellt,und in der dritten soll dann auch tatsächlich verhandelt werden. Wenn alles ordnungsgemäß verläuft, wird die Uruguay– Runde im Jahre 1990 abgeschlossen sein. Verzögerungen sind indessen nicht auszuschließen, zumal die Streitereien unter den Hauptakteuren der soeben begonnenen Uruguay–Runde noch nie so intensiv waren wie heute. Das Verhandlungsklima zum Auftakt ist denn auch alles andere als rosig. Im GATT–Rat, der letzten Mittwoch tagte, kam es, kaum daß der Handelskonflikt mit den Amerikanern ausgestanden war, zu neuen Klagen. Die EG wetterte gegen Einfuhrbehinderungen von Seiten Japans bei Spirituosen und Weinen und auch gegen amerikanische Diskriminierungen bei Erdöleinfuhren. Die USA ihrerseits attackierten die Japaner wegen ihrer sehr restriktiven Agrarimportpolitik. Weitere Konflikte sind schon vorprogrammiert: Demnächst dürfte sich das GATT mit amerikanischem Wehgeschrei gegen den subventionierten Airbus, EG–Protesten gegen die angekündigte Drosselung deutscher und schweizerischer Maschinenbauexporte in die USA und der amerikanischen Forderung nach Öffnung des europäischen Telekommunikationsmarktes und der Rücknahme des EG–Einfuhrverbots für hormonhaltiges Fleisch zu befassen haben.