Der Himmelsspion und die Pressefreiheit

■ Eine Raubkopie des verbotenen Fernsehfilms über das geheime Satelliten–Projekt wurde in London aufgeführt / Die „Kampagne für die Pressefreiheit“ rief zu diesem symbolischen Verstoß gegen die britische Geheimhaltungsakte auf

Aus London Rolf Paasch

„Ich muß Sie darauf hinweisen, daß wir hier alle gegen den official secrets act verstoßen“, erklärt die Sprecherin der „Kampagne für die Pressefreiheit“. Doch die rund 600 Zuschauer, die sich an diesem Montag abend zum symbolischen Verstoß gegen die britische Geheimhaltungsakte in der Londoner Conway Hall versammelt haben, spenden sich selbst Beifall ob ihres frevelhaften Aktes. Sie wollen sehen, was dem Fernsehzuschauer vorenthalten wurde: die BBC–Sendung über das Projekt eines bis dato geheimen britischen Spionagesatelliten. „Die Regierung hat sich in den letzten Wochen soviel Freiheiten herausgenommen, jetzt nehm ich mir mal die Freiheit, mit meinem Besuch hier gegen die Pressezensur zu demonstrieren“, erklärt mein Nachbar seine Anwesenheit. Er ist einer aus der bunten Mischung aus Journalisten , Gewerkschaftern und aufgeregten Bürgern, die ihren BBC gegen die zunehmenden Eingriffe des Staates in Schutz nehmen wollen. Und dann, während draußen noch Hunderte Einlaß begehren, wird drinnen die Raubkopie des von der Regierung Thatcher mit allen Mitteln staatlicher Macht bekämpften Videos abgefahren. „Großbritannien“, so hebt der New Statesman–Journalist und Autor der BBC–Serie, Duncan Campbell, an, „wird demnächst seinen ersten Spionagesatelliten in den Weltraum schicken, ein Projekt von höherer Geheimhaltungsstufe als das Atompro gramm.“ In den folgenden 30 Minuten, dem 5. Teil einer sechsteiligen Serie über die britische „Secret Society“, entfaltet Duncan Campbell dann die Story des als Kommunikationssatelliten getarnten Himmelsspions. Insider– Information und die irrtümlich bekanntgegebene Position des Satelliten hatten Campbell auf die heiße Spur gebracht. Denn von „53 Grad Osten“ hoch über dem Indischen Ozean lassen sich sämtliche verdächtigen Geräusche aus der Sowjetunion hervorragend abhören, bis hin zum Walkie–Talkie– Sprechverkehr ukrainischer Kolchosen–Häuptlinge. Wie er denn den militärischen Nutzen des Projektes „Zirkon“ beurteile, fragt Campbell in seinem Film einen ehemaligen Berater des Verteidigungsministeriums (MoD). Da klappt dem armen Mann vor der Kamera glatt der Unterkiefer herunter, als er sein journalistisches Gegenüber so offen über das Geheimprojekt fragen hört. Als in der Sendung schließlich auch der Vorsitzende des parlamentarischen Finanzausschusses, Robert Sheldon, seinem Unwissen über das 500–Mio.–Pfund–Projekt Ausdruck gibt und von Campbell über das informiert wird, was er hätte längst wissen - und überwachen - müssen, da wäre auch dem letzten Fernsehzuschauer klargeworden, worum es in dem Film geht: weniger um den „Spy in the Sky“ (Himmelsspion) als um die bewußte Hintergehung des Parlamentes bei einem militärischen Großprojekt. Nach der Ausstrahlung des Films hat er dann seinen Auftritt: Duncan Campbell, 32jähriger Journalist von der in Großbritannien aussterbenden Spezies der Enthüllungsjournalisten. Für den Mann, der der Regierung Thatcher in den letzten sieben Jahren mehr Ärger bereitete als der gesamte Rest seiner Zunft zusammengenommen, gibt es stehende Ovationen. Er, vom Establishment längst als „Landesverräter“ gebrandmarkt, ist für die Linke zum Helden im Kampf gegen den infamen „official secrets act“ avanciert. Paragraph 2 dieses Dokumentes, das schon so manchen zum Schweigen gebracht hat, fungiert seit 1911 als Freibrief für staatliche Zensur, sei es durch Konservative oder Labour. Und der Film über das Projekt „Zirkon“, so ergab die anschließende Diskussion, hat die Unhaltbarkeit dieses Maulkorbgesetzes nur noch einmal deutlich gemacht. Nachdem der Film im Dezember vom BBC–Intendanten abgesetzt worden war, nachdem seine Ausstrahlung im Parlamentsgebäude untersagt worden war, folgte, was Duncan Campbell als eine „Beinahe–Herrschaft des Terrors“ bezeichnet. Sein Haus und die Redaktionsräume des New Statesman wurden von Beamten der Sicherheitspolizei „besucht“. Das linke Wochenblatt hatte nämlich die Verwirrung in der Zensurbürokratie dazu benutzt, die Zirkon– Story noch schnell vor einer einstweiligen Verfügung an seine 23.000 Leser zu bringen. Eine Woche später begehrten die grauen Herren dann Einlaß in die Räume des schottischen BBC in Glasgow. „Die wollten eine Ausstrahlung des Programms mit allen Mitteln verhindern“, faßte Campbell die Absichten der staatlichen Schergen zusammen. Welche Auswirkungen solche staatlichen Einschüchterungsversuche auf die Unabhängigkeit des Senders haben, daran erinnerte Alan Sapper von der Fernsehleute–Gewerkschaft. „Dies ist ein Abnutzungkrieg gegen das öffentlich–rechtliche Fernsehen.“ Bei „Real Lives“, der umstrittenen Sendung über nordirische Terroristen habe noch der Innenminister eingreifen müssen; bei „Zirkon“ habe bereits die Schere im Kopf der BBC–Führung funktioniert und zur Absetzung geführt. Als das vorwiegend linke Publikum am Ende den Saal verließ, erinnerten sich einige wehmütig an die guten alten Zeiten, als die BBC mit ihrer einseitigen, establishment–orientierten Berichterstattung noch bevorzugte Zielscheibe linker Kritik war. „Soweit ist es schon gekommen“, so ein Gewerkschafter, „daß wir heute sogar die BBC gegen die Angriffe dieser Regierung verteidigen müssen.“ Das aussagekräftige Foto muß wahrscheinlich etwas „beschnitten“ werden. Tja, so ist das Leben.