„Auch ich war vor Wochen noch skeptischer“

■ Der polnische Schriftsteller Lothar Herbst spricht in einem taz–Interview über Reformen von oben und darüber, ob Veränderungen in der Sowjetunion die Suche nach einem „polnischen Kompromiß“ stärken würden / Solidarnosc „würde mitspielen“, aber die Skepsis gegenüber der heutigen Führung der KP ist groß

Lothar Herbst gründete seit Mitte der fünfziger Jahre immer wieder unabhängige literarische Zirkel und mußte ab Mitte der siebziger Jahre sein politisches Engagement mit Schreibverbot und Haft büßen. Mit dem Auftauchen von Solidarnosc wurde er zum Vorsitzenden der Breslauer Abteilung des polnischen Schriftstellerverbandes gewählt. Seit einigen Wochen hält sich der durch die Haft gesundheitlich Geschädigte zur Behandlung eines Augenleidens in der Bundesrepublik auf. taz: Wie siehst du denn die Wandlungen in der Sowjetunion. Welche Konsequenzen haben sie für Polen? Lothar Herbst: Hier im Westen, glaube ich, wird vieles zu euphorisch aufgenommen. Doch auch ich war vor Wochen noch skeptischer, und ich beginne doch, etwas Hoffnung zu schöpfen. Gerade wir in Polen waren im mer mit dem Argument konfrontiert: Solange sich in Rußland nichts ändert, haben wir selbst keine Chancen, etwas zu verändern. Und diese Meinung ist nicht nur die des Regimes, sondern auch die vieler Solidarnosc–Leute. Es ist über die letzten Jahre ein eigenes polnisches Modell entstanden, das durch den Druck von unten doch etwas auch erreicht hat. Ist es denn überhaupt möglich, eine Reform von oben in einer realsozialistischen Gesellschaft durchzuführen? Bis jetzt ist das nie so passiert. Probieren muß man es immer, da liegt auch Hoffnung drin. Gorbatschow scheint die große Macht zu haben in der Sowjetunion, aber wir vergessen dabei, daß es auf ihn als Person nicht nur ankommt, denn er vertritt ja auch eine Machtelite, die, wenn es zu weit geht, ihn auch stürzen kann. Wie reagiert die polnische Führung auf Gorbatschow? Wenn es in der UdSSR tatsächlich zu einer Reform kommt, dann ist die Situation in Polen die beste, weil hier schon Fortschritte ge macht sind. Die Strukturen für Verhandlungen sind da, Solidarnosc müßte dann mitmachen. Die taz hat im November einen langen Artikel „Auf der Suche nach einem polnischen Kompromiß“ zusammen mit einem Interview mit Jacek Kuron veröffentlicht. Er vertrat darin die These, daß es bestimmte Zwänge gibt, die für einen solchen Kompromiß sprechen. Wenn es eine Reform in der Sowjetunion gibt, würde das die Kompromißfindung in Polen stärken, und würde Solidarnosc da mitspielen? Natürlich, dann könnte man nicht mehr damit argumentieren, daß es unmöglich wäre. Nach der Amnestie hat Walesa auch gesagt, wir wollen mit Jaruzelski reden. Die Regierung hat Solidarnosc die kalte Schulter gezeigt, bei einem größeren Spielraum durch die Ereignisse in der Sowjetunion aber könnte sich etwas bewegen. Wie ist es mit den unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der polnischen Opposition. Michnik und Kuron haben doch eine andere Meinung als Walesa. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten, vor allem zwischen den Arbeitern, dem gewerkschaftlichen Flügel, den Intellektuellen und den der Kirche nahestehenden Leuten. Aber wir alle kämpfen darum, die Gesellschaft zu reformieren. Gibt es eine Bereitschaft, mit Leuten, die in der kommunistischen Partei Polens die Reform machen möchten, zusammenzuarbeiten? Ich möchte nur für Solidarnosc sprechen. 1980 hätte ich gesagt, ja, laß es uns probieren. Aber die jetzt noch in der Partei sind, sind ja gerade die Leute, die alles gebremst haben. Die meisten Reformer sind ja aus der Partei rausgegangen. Die Partei selbst ist nicht mehr mit 1956, 70/71 oder auch 1980 zu vergleichen. Damals gab es dort Leute, die auch tatsächlich was durchgesetzt haben. Aber heute ist mit ihnen nicht zu rechnen. Vielleicht kommen ein paar junge Hochschulabsolventen wieder in die Partei, aber im Ganzen sind diese Leute so diskreditiert im Volk, daß niemand ihnen ernsthaft Reformwillen zutrauen würde. Das heißt, es gibt eine Grenze in Polen, die nicht so leicht überschritten werden kann. Da muß man wirklich mehr machen, dann kommt vielleicht nicht das Vertrauen, aber eine Art Kompromiß. Mal sehen, vielleicht kann man doch noch mit den Leuten zusammenarbeiten, aber man muß dann Reformen mit Hand und Fuß machen und nicht etwas versprechen und dann wieder alles zurücknehmen. Interview: Erich Rathfelder