Fischer: Noch ist Hessen nicht verloren

■ Ex–Minister Fischer und Fraktionsmitglieder Schily, Schoppe und Kleinert bekräftigen rot–grüne Perspektive / Bundestagsfraktion rügt Alleingang

Aus Bonn Oliver Tolmein

Zu heftigen Angriffen auf die Fraktionsvorstandsmitglieder Waltraud Schoppe und Hubert Kleinert kam es gestern bei der Fraktionssitzung der Grünen im Bundestag. Kleinert und Schoppe waren an einer Bundespressekonferenz beteiligt, an der außerdem noch Joschka Fischer, Lukas Beckmann und Otto Schily teilnahmen. Auf der Pressekonferenz, die ohne Mitwissen der Fraktion und der Bundesgeschäftsstelle organisiert worden war, wurden Perspektiven für grüne Politik nach dem Bruch der Koalition in Hessen vorgestellt. Waltraud Schoppe kündigte an, den dortigen Wahlkampf zu unterstützen, um den „historischen Versuch, eine Mehrheit links von der CDU zu bekommen“ weiterzutreiben. Beckmann, der die Landtagswahl in Hessen am 5. April als „weitreichende Schicksalswahl bezeichnete“, wies darauf hin, daß die für den 5.4. geplante Bundesdelegiertenversammlung verschoben werden müsse. In der rot–grünen Koalition sei einiges erreicht worden, z. B. die Unterstützung mittelständischer und kleiner bäuerlicher Betriebe. Auch Otto Schily bewertete das hessische Experiment positiv. Es müsse darum gehen, zu zeigen, daß die das Bündnis zerstört hätte. Fortsetzung auf Seite 2 Kommentar auf Seite 4 Schily trat vor allem der Auffassung entgegen, die Genehmigung der Hanauer Atombetriebe liege in Bundeskompetenz. Kleinert sah im Scheitern der Koalition keinen Rückschlag für grüne Reformpolitik. Er kündigte an, daß Vertreter seiner Strömung sich in der äußerst wichtigen Landtagswahl massiv engagieren wollen, um wieder eine rot–grüne Mehrheit zustande zu bringen. Eindeutig sprach sich auch Fischer für eine neue rot–grüne Koalition aus: „Wir waren auf einem sehr guten Weg. Und wenn die Richtung stimmt, bin ich unbedingt dafür, sich weiter einzumischen und weiter schmutzig zu machen.“ Allerdings sei mit den Grünen der Einstieg in die Plutoniumwirtschaft nicht zu machen. Wichtig sei es, daß Hessen weiter „wallmannfrei“ bleibe: „Noch ist Hessen nicht verloren.“ Fischer sagte weiter, er freue sich, daß ihm Mitglieder des Bundes– und Fraktionsvorstandes sowie alte Freunde in dieser „schweren Stunde“ Beistand leisteten. Über die Rolle der Fraktionsvorstandsmitglieder auf der Pressekonferenz diskutierte die Fraktion über eine Stunde lang. Die meisten Redner/innen, darunter auch Koalitionsbefürworter, fühlten sich brüskiert, weil die Bundespressekonferenz während der Aktion der Fraktion vor der syrischen Botschaft (siehe S. 5) stattgefunden hatte und niemand außer den Teilnehmern informiert wurde. Alfred Mechtersheimer konstatierte, daß es zusätzlich zu den Realos und Fundis jetzt wohl eine dritte Strömung gebe: die Brutalos, die rücksichtslos ihre eigenen Interessen durchsetzten. Regula Bott aus Hamburg wies auf den Aufschrei hin, den es gegeben hätte, wenn Linke eine vergleichbare Aktion durchgeführt hätten. Kleinert und Schoppe wandten ein, daß sie „vergessen“ hätten, über die Bundespressekonferenz Bescheid zu geben. Außerdem sähen sie den Unterschied zu den zahlreichen Interviews nicht, die sowieso jeder von ihnen ohne Absprache gebe. Kleinert und Schily erinnerten außerdem an ihre enge persönliche Freundschaft mit Fischer. Auch Willi Hoss fühlte sich durch die Heimlichkeit, mit der die Pressekonferenz vorbereitet worden sei, hintergangen, obwohl er inhaltlich die dort erklärten Positionen zu Hessen teile. Mit 12 gegen 10 Stimmen bei 11 Enthaltungen wurde zum Abschluß der Diskussion eine Resolution des Ökosozialisten Stratmann angenommen, in der das Verhalten von Schoppe und Kleinert als „falsch“ bezeichnet und die Erwartung geäußert wird, „daß der Vorstand mehr zur Integration der Fraktion beiträgt als die Strömungsauseinandersetzungen zu vertiefen“.