Im Lagerkrieg ist keine Lösung in Sicht

■ Die Palänstinenserlager im Libanon und der Konflikt zwischen Syrien und PLO–Chef Arafat

„Aufgeben hat nicht ein Palästinenserlager vor Massakern bewahrt“, erklärte ein kanadischer Arzt in dem belagerten Chatila der taz. Doch nach mehrmonatiger Belagerung wird die Situation in den Camps kritisch. In Borj al Brajneh droht der Hungertod, wie aus einem Augenzeugenbericht hervorgeht. Joseph Kaz beschreibt das politische Kalkül, das hinter dem „Lagerkrieg“ steht.

Beirut (taz) -Der erbitterte Lagerkrieg zwischen schiitischen Amal–Milizen und palästinensischen Kämpfern um die Flüchtlingslager in Beirut und dem Südlibanon ist gegenwärtiger Schauplatz eines Machtpokers zwischen dem syrischen Präsidenten Hafiz al Assad und PLO–Chef Yasser Arafat. Der Konflikt zwischen den beiden Politikern währt bereits seit dem Abzug der PLO– Kämpfer im Jahre 1982. Während Assad endlich seinen Traum einer von Syrien abhängigen PLO realisiert sehen möchte, verteidigt Arafat entschieden seine politische Unabhängigkeit. Eine Annäherung der Positionen oder auch nur ein modus vivendi zwischen Assad und Arafat sind nicht in Sicht. Damit ist die Gefahr weiterer militärischer Eskalation gege ben, und das in einer Situation, in der die palästinensische Bevölkerung der seit fast fünf Monaten abgeriegelten Lager vom Hungertod bedroht ist. Syrien, das Vermittlungen des Iran, Libyens und der Arabischen Liga toleriert hat, räumte diesen Initiativen zur Beendigung des Lagerkriegs von vorne herein keine Chance ein und verteidigte seinen Anspruch, allein für die inner–libanesischen Angelegenheiten zuständig zu sein. Assad legte eine äußerste Entschiedenheit an den Tag, die Rückkehr der Anhänger seines Erzfeindes Arafat in den Libanon zu verhindern. Während dieser Zeit profitierte Amal von einer unbegrenzten politischen und militärischen Unterstützung Syriens, ohne jedoch die erwünschten Erfolge zu erzielen. Die PLO verfolgte mit ihrer Rückkehr in den Libanon zwei Ziele: Auf dem politischen Schachbrett des Nahen Ostens wieder Fuß zu fassen und Syrien sowie die in Damaskus ansässigen PLO–Organisationen daran zu hindern, sich der „palästinensischen Karte“ zu bemächtigen. Außerdem sollte dem Plan von Amal, die Lager in Beirut und im Süden zu entwaffnen, ja sogar deren Einwohner in den Norden und Osten des Landes zu vertreiben, ein dicker Strich durch die Rechnung gemacht werden. Die Ziele der PLO In der dritten Welle des Lagerkriegs, die am 30. September 1986 begonnen hat, hat Syrien jedoch im Libanon an Terrain verloren. In den ersten beiden Runden hatte Assads Instrument, die Amal–Miliz, noch Punkte sammeln können. Das Lager Sabra im Süden Beiruts wurde dem Erdboden gleichgemacht und auch das angrenzende Chatila zum großen Teil zerstört. Zwar hält Assad noch mehrere Karten in der Hinterhand, beispielsweise, mittelfristig Truppen in die südlibanesische Verwaltungshauptstadt Saida, eine Hochburg der Palästinenser, zu schicken. Aber Syriens Rolle im Libanon ist geschwächt, seit ein in Damaskus zwischen den drei wichtigsten Milizen (Amal, Drusen, Christen) ausgehandeltes Friedensabkommen am hartnäckigen Widerstand des christlichen Präsidenten gescheitert ist. Eine militärische Niederlage seines Hauptverbündeten Amal in Magdouscheh bei Saida, der Zerfall der Schiitenbewegung in mehrere Fraktionen sowie der erzwungene Aufenthalt von Amal–Chef Berri in Damaskus haben ihren Teil dazu beigetragen, daß der Stern Assads im Libanon verblaßte. Während das christliche Lager den Arafat–Anhängern den Weg zur Rückkehr ebnete, um Syrien weiter zu schwächen, ist es den Machthabern in Damaskus nicht gelungen, seine anderen „libanesischen Verbündeten“ auf Seiten Amals in die Schlacht gegen die Palästinenser zu schicken. Drusenchef Walid Junblatt hat sich nicht nur diesem syrischen Druck widersetzt, sondern sogar palästinensischen Gegnern wie Unterstütztern des PLO–Chefs tatkräftige politische und militärische Hilfe geleistet. So kann die palästinensische Artillerie von drusischen Positionen in den Schouf– Bergen gegen Amal, offiziell Verbündeter der Drusen, in Aktion treten. Verbündete ließen Amal im Stich Junblatt stand - mit libyscher Hilfe - auch Pate bei dem Zusammenschluß von zwei sunnitischen Milizen. Der Chef der einen, Mustafa Saad, ist bekannt für seine Sympathien für die Palästinenser. Auf der anderen Seite hatte der Drusenführer bei der Spaltung einer pro–syrischen Partei, der PSNS, seine Finger im Spiel. Wie auch die sunnitischen Führer ist Junblatt ein Gegner der syrischen Vormachtstellung und der schiitischen Hegemonie im Libanon. So nimmt es nicht Wunder, daß Arafat unter Ausnutzung taktischer Konflikte zwischen lokalen und regionalen Kräften politische Pluspunkte sammeln konnte. Es ist ihm gelungen, die palästinensischen Organisationen, auch die, die ihre Büros in Damaskus haben, angesichts des Angriffs von Amal in den Lagern wieder unter seinen Fittichen zu sammeln. Die politische Wiedervereinigung der PLO, betrieben mit der Hilfe Algeriens und der Sowjetunion, ist jetzt der nächste Schritt. Gleichzeitig konnte der PLO–Chef Projekte des Iran und Libyens, beides Verbündete Syriens, die ebenfalls begehrliche Blicke auf den Libanon richten, zu seinen Gunsten wenden. Arafat profitierte von der Sympathie einiger iranischer Clans innerhalb der radikalen Hizbollah–Bewegung und trieb damit einen Keil in die schiitische Bewegung, ohne sich deswegen mit Haut und Haaren der iranischen Libanon–Politik zu verschreiben. Dennoch kam die Zurschaustellung der politischen und militärischen Stärke der PLO im Liba non im Grunde zum falschen Zeitpunkt, wenngleich sie auch eine Antwort auf die seit Sommer 1985 geführten Angriffe von Amal war. Die libanesischen und arabischen Parteien, die eine Schwächung Syriens und der Schiiten befürworten, werden sich hüten, Arafat offen zu unterstützen, da sie mit „Roten Linien“ und Repressalien seitens Israel, Syriens und den USA rechnen müssen. Die langen Finger auswärtiger Mächte Die Bedingungen der USA sind mit deutlichen Worten in dem Abkommen festgehalten, mit dem der Emissär Phillip Habib 1982 den Abzug der PLO ausgehandelt hatte. Dieser Vertrag sieht vor, daß die PLO nicht in den Libanon zurückkehrt. Das wird auch von den libanesischen Fraktionen keineswegs ignoriert. Wenn es Syrien auch gelungen war, dafür zu sorgen, daß das israelisch–libanesische Friedensabkommen vom 17. Mai 1983 aufgekündigt wurde, so konnte umgekehrt Israel erfolgreich das libanesisch– syrische Gegenstück, das Abkommen der drei Milizen, torpedieren. Ein offener Bruch des Habib– Abkommens würde selbst Arafats Kräfte übersteigen - beziehungsweise die PLO dem gemeinsamen Unwillen dieser Kräfte (Israel, Syrien, USA) aussetzen. Die israelische Regierung hatte zunächst die Rückkehr der PLO stillschweigend geduldet, in der Hoffnung, die palästinensisch– schiitischen Kämpfe für eigene Interessen zu nutzen. Mittlerweile jedoch unterstützt sie mit Luftangriffen auf palästinensische Stellungen de facto Amal. Außerdem hat die israelische Marine eine Blockade über libanesische Häfen verhängt. Israel, das sich von Amal erhofft, seine Nordgrenze vor palästinensischen Angriffen zu schützen, hat nun die Option gewählt, die Widersprüche zwischen den verschiedenen libanesischen Fraktionen zu schüren, nachdem Berri ganz ins syrische Lager übergewechselt und der radikale Schiismus fundamentalistischer Prägung im Aufsteigen begriffen ist. Unterdessen ist es die Bevölkerung der Lager Chatila, Bourj al Brajneh und Raschediyeh, die angesichts dieser Faktoren den Preis für eine Wiederbelebung der palästinensischen Rolle im Libanon mit Hunger und Tod zahlen muß. Es sind die Menschen in den Lagern, die als Einsatz für den Konflikt zwischen Arafat und Assad herhalten. Die beiden Protagonisten geben derzeit auch nicht einen Millimeter nach: Assad ist fest entschlossen, einen palästinensischen Sieg zu verhindern. Dies würde bedeuten, daß die Palästinenser die Lager halten und damit ihre politisch–militärische Präsenz im Libanon erfolgreich demonstriert haben. Genauso entschieden widersetzt sich Arafat den syrischen Bevormundungsversuchen und hält an dem Prinzip der Unabhängigkeit der palästinensischen Führung fest. So ist ein Ende des Lagerkriegs ebensowenig in Sicht wie man Aussagen über seinen Ausgang machen kann. Joseph Kaz