Spannung vor Sacharows und Gorbatschows Auftritt

■ Auf dem „Forum für eine atomwaffenfreie Welt“ werden in Moskau Wissenschaftler, Künstler und Politiker aus Ost und West über Wege zur Verständigung sprechen / Veranstalter über die ihnen gestellte Aufgabe verunsichtert / Petra Kelly und Gert Bastian trafen Sacharow

Aus Moskau Erich Rathfelder

„Die Diskussion wird damit enden, daß alle einig sind in dem Ziel, den Frieden zu erreichen“, erklärt der Pressesprecher der Akademie der Wissenschaften zu den großen Ereignissen, die nun in Moskau zu erwarten sind. Seit am Donnerstag bekannt wurde, daß Michail Gorbatschow eine große außenpolitische Rede halten soll, die neue Anstöße für die Abrüstung enthalten wird, kocht die Gerüchteküche in der Journalistenszene der Hauptstadt über. Denn der Generalsekretär hat seine Rede auf einen Zeitpunkt verlegt, die den Höhepunkt des erst seit Dezember geplanten „Forums für eine atomwaffenfreie Welt und für ein Überleben der Menschheit“ darstellen soll.Umrahmt wird dieses Ereignis durch den Auftritt Andrej Sacharows am Samstag und Sonntag in der Gruppe Wissenschaft, wo auch er seinen Standpunkt darlegen kann. Zuerst hieß es freilich, daß jedem einzelnen Diskussionsteilnehmer nur zwei oder drei Minuten zur Verfügung stünden. Erst heute wurde bekannt, daß die Redezeit der Hauptredner unbegrenzt sei. Die Bedeutung des Auftritts der beiden Cracks wird unterstrichen durch die über 900 ausländischen illustren Gäste, die mit berühmten sowjetischen Gelehrten und Künstlern diskutieren sollen. Daniel Ellsberg, Enthüller der Pentagon–Papiere, ist schon da, seine Landsleute Paul Newman und Peter Ustinov sind eingeladen. Die Regisseure Milos Foreman und Stanley Forman sollen auf Peter Fleischmann und Hannah Schygulla treffen. Sicher aber ist die Teilnahme von Günther Wallraff, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt. Fraglich bleibt, ob Karel Gott und Udo Lindenberg den Weg zum Frieden finden. Die DDR schickt Hermann Kant und Stefan Hermlin. Norman Mailer und James Baldwin können mit Aitmatov, dem berühmten sowjetischen Schriftsteller, sprechen. Vor allem die Grünen Petra Kelly und Gert Bastian werden einige politische Aspekte der „Öffnung“ ausloten. Nicht nur, daß sie schon am Mittwoch Andrej Sacharow und Elena Bonner in einem „liebevollen Gespräch“ die Ziele der Grünen darlegen konnten, auch in den einzelnen Foren ist man gespannt auf das, was sie zu sagen haben. „Die Grünen bedeuten eine moralische Qualität, aber wie Solidarnosc und Charta 77 sind auch sie ein kleines, zwar wichtiges, aber machtlose Körnchen“,sollen Sacharow und Bonner den beiden bundesdeutschen Abgesandten erklärt haben. „Aber immerhin war es schon durchgedrungen, daß sie weder vom KGB noch vom CIA gelenkt sind“, sprudelt es aus Petra Kelly. „Differenzen gab es noch zu unserem Vorschlag der einseitigen Abrüstung, den die beiden für naiv halten, und in bezug auf die Atomkraft. Mit unserer Molke–Problematik zeigten sie sich ratlos. Da fehlen auch die Informationen. Doch in der Menschenrechtsposition haben wir total übereingestimmt. Auch Elena Bonner und Andrej Sacharow sehen, daß die Politiker im Westen oftmals die Menschenrechte nur einseitig einklagen.“ „Wir haben die beiden offiziell in die Bundesrepublik eingeladen, aber sie werden wohl nach eigener Einschätzung nicht ins Ausland reisen dürfen.“ „Immer mehr wird klar“, zieht Gert Bastian einen Schluß aus dem Besuch, „daß die Grünen auch durch eine bessere Publikationsstrategie nur gewinnen können. Warum sollte es nicht zum Beispiel Holger Strom auf russisch und polnisch geben?“ Die Diskussionen auf dem Forum nicht ganz ausufern zu lassen oder noch unter Kontrolle zu halten, ist wohl einer der Gründe für die Organisatoren, die einzelnen Bereiche wie Wissenschaft, Kunst, Abrüstung, Ökologie, Film, Theater etc. an weit auseinanderliegende Tagungsstätten stattfinden zu lassen. Die Teilnehmer haben nur Zugang zu ihren eigenen Bereichen, die über 500 angereisten Journalisten müssen eh draußen vor der Tür bleiben.