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Zivildienstleistender muß ins Manöver

■ Bei der Nato–Herbstübung „Wintex/Cimex“ soll ein Zivildienstleistender „als Bote innerhalb des Dienstgebäudes“ mitmachen / „Ich kann ja gleich meine Anerkennung als Verweigerer zurückgeben“ / Die Einberufung kam vom Katastrophenschutzbeauftragten in Lindau

Aus Lindau Bernd Müllender

„Ich kann ja gleich meine Anerkennung als Verweigerer zurückgeben“, kommentierte der Zivildienstleistende Ralph Schlegel seine Einberufung zum Nato–Manöver Wintex/Cimex. Einen entsprechenden Brief erhielt der anerkannte Kriegsdienstverweigerer vom Katastrophenschutzbeauftragten der Bodenseegemeinde Lindau. In dem Schreiben hieß es, Schlegel habe am 4. März an der diesjährigen Nato–Übung „als Bote innerhalb des Dienstgebäudes“ mitzumachen. Seine Aufgaben bei dieser größten militärischen Planübung des Landes „erstrecken sich auf die Übermittlung von schriftlich fixierten Mitteilungen von/zu den Abteilungen, Sachgebieten, Einsatzleitungen und Leistungsdienst“. Zwei weitere Zivis erhielten ähnliche Ankündigungen. Zivildienstleistende als Handlanger für das makabre Schreibtischszenario der Totalverteidigung. Ralph Schlegel ist erschüttert. Er will sich weigern, als Überbringer von Meldungen, wie es gerade um den Atomkrieg steht, wann endlich die Nachschubtruppen der USA eingreifen oder wie die zivile Verlustlage im Bodenseegebiet ist, zu dienen. Was er bei Wintex/Cimex 1987 zu melden haben werde, so wurde ihm gleich mit beschieden, ginge ihn nichts an, die Kriegslage werde geheim sein, und über solche Verschlußsachen würden Boten wie er ohnehin nicht informiert. Wintex/Cimex findet alle zwei Jahre statt. Dazu rückt eine Bundestagsabordnung als Notparlament in den gigantischen Regierungsbunker im Eifelstädtchen Dernau, um von dort die Zusammenarbeit zwischen Nato–Truppen und Zivilverwaltung in einem fiktiven Kriegsfall zu erproben. Hunderte von Gemeinden müssen dann dabei mitspielen, was Zivilverteidigung genannt wird. Auch 1985 wurden Kriegsdienstverweigerer, die mittlerweile normale Angestellte und Beamte im Staatsdienst waren, in Starnberg, Villingen und auch schon Lindau zwangsverpflichtet. Ihre damaligen Proteste nützten wenig. Vom Parlamentarischen Staatsekretär im Bundesinneministerium, Horst Waffenschmidt, waren sie zurechtgewiesen worden: Zur Erhaltung eines intakten Beamtentums sei gerade beim Wintex–Manöver die „uneingeschränkte Erfüllung dienstlicher Aufgaben“ unerläßlich. Doch jetzt geht man einen Schritt weiter. Sogar der besonders geschützte Status des Zivildienstleistenden wird angegangen. Ralph Schlegel beruft sich auf Artikel 12 des Grundgesetzes. Hier steht unmißverständlich, daß der Zivildienst die „Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen darf“, und, vor allem, daß er „in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte“ stehen darf. Schlegels Vorgesetzte kümmert das wenig. Der Personalchef im Lindauer Landratsamt, Herrscher, sieht die Berufung der Zivis zu Kriegsorten als „verfassungsmäßig absolut abgesichert“ an. Herrscher, der zuvor zwölf Jahre Zeitsoldat war, ist daher überzeugt, er könne besonders gut „zivile und militärische Übungen auseinanderhalten“. Das Aufgabengebiet seiner Zivis sei allein „humanitärer Art“, zum Schutz der Zivilbevölkerung. Am Mittwoch hat Schlegel beantragt, von der gut hundertköpfigen Teilnehmerliste in Lindau gestrichen zu werden. Die Entscheidung, so ein Sprecher zur taz, soll in der kommenden Woche fallen. Schlegel sagt jedoch, er werden an diesen W/C–Übungen auf keinen Fall teilnehmen. Auch Disziplinarstafen und eine Versetzung würde er dafür in Kauf nehmen. Darüberhinaus wird es, wie aus anderen Quellen zu erfahren war, sowohl von den beiden anderen Kriegs– Zivis als auch von weiteren Kriegsverpflichteten Weigerungen und „weiter phantasievolle Behinderungsaktionen“ geben.

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