Neue grüne Fraktionsstruktur

■ Die Büros der Abgeordneten werden personell verstärkt und gegenüber den Fraktionsarbeitskreisen aufgewertet werden / Realo–Vorschlag wurde verwirklicht / Nur noch 23 Stellen für Arbeitskreise, aber 88 für Abgeordnetenbüros / Ist das neue Modell eine Durchsetzung des Individuums gegen das Kollektiv?

Aus Bonn Matthias Geis

„Das muß hier und heute entschieden werden“ hieß die Parole, mit der in der abgelaufenen Sitzungswoche der Grünen Fraktion Beschlüsse herbeigeführt und Flügelkämpfe weitgehend verhindert wurden. Nachdem in der vergangenen Woche die Entscheidungen bei Vorstandswahlen und Ausschußbesetzungen die Stimmung auf den Siedepunkt gebracht hatten, entspannte sich die Atmosphäre merklich. So spielten bei den restlichen Wahlen zur Besetzung der den Grünen zustehenden Ausschußsitze strömungspolitische Erwägungen kaum eine Rolle; kontrovers hingegen blieb die Neuordnung der Fraktionsstruktur. Die Linken plädierten für die Beibehaltung „starker Arbeitskreise“, in denen Abgeordnete mit verwandten Themenschwerpunkten kooperieren. Nach diesem Modell sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter den einzelnen Arbeitskreisen zugeordnet, grüne Fraktionspolitik soll im kollektiven Diskussionsprozess entwickelt werden. Die Realpolitiker propagierten demgegenüber das „funktionsfähige“ Abgeordnetenbüro als eigentliche Keimzelle grüner Parlamentspolitik: „Was politisch bearbeitet werden muß, das muß in erster Linie von den Abgeordnetenbüros bearbeitet werden“, unterstrich Gerald Häfner diese Konzeption, die in der Schlußabstimmung die Mehrheit fand: Unter dem Motto „Stärkung der Abgeordnetenbüros“ wird künftig jede Mandatierte über einen Sachbearbeiter und eine persönliche wissenschaftliche Mitarbeiterin verfügen können. Die Arbeitskreise werden zwar beibehalten; da jedoch die gestärkten Abgordnetenbüros den Großteil der Personalmittel verschlingen (88 Stellen), bleiben für die Zuarbeit zu den Arbeitskreisen sowie für die Betreung von Schwerpunktthemen nur 23 Stellen. „Zu wenig“, meinen die Kritiker der neuen Struktur, um alle Bereiche Grüner Politik sinnvoll abdecken zu können. Neben der finanziellen Austrocknung der Arbeitskreise befürchten sie in einigen Themenfeldern den Rückfall hinter den bisherigen Stand der Fraktionspolitik: „Wenn jeder nach seinem Gusto seine Mitarbeiter wählt, dann werden einige Bereiche gut abgedeckt - da knüppeln sich die Kapazitäten - andere Felder werden Not leiden“, meint Christa Nickels. Die Befürworter der jetzigen Lösung hingegen bewerten die enge Anbindung der Mitarbeiter/ innen an die Abgeordneten als Voraussetzung einer vertrauensvollen und sachlichen Zusammenarbeit; Reibungsverluste des bisherigen Modells würden abgebaut. Zudem gilt die gleiche „Grundausstattung“ aller Abgeordneten/innen mit persönlichen Helfern als „Notbremse für die, die im kollektiven Modell am Rand stehen“ (Schily). Udo Knapp, Mitautor des neuen Strukturkonzeptes, wertet gar die Stärkung der Abgeordneten als „Durchsetzung des Individuums gegenüber dem Kollektiv“. Ludger Volmer beklagt dagegen die „Abschaffung kooperativer Strukturen“; künftig werde die Fraktion „nach Köpfen, nicht nach politischen Inhalten organisiert“. Zündstoff birgt das neue Modell auch in anderer Hinsicht. Nachdem jetzt erst mal das große „catch as catch can“ auf die bisher weitgehend unabhängigen Mitarbeiter losgeht, wird die beschlossene persönliche Anbindung nicht nur Vertrauen, sondern auch Reibereien und Konflikte befördern. Die Mitarbeiter/innen jedenfalls sind alles andere als glücklich über die neue Abhängigkeit. „Denn ein Abgeordnetenbüro“, meint Antje Vollmer, „kann auch ein Ort der Tyrannei sein“. Auch bei der künftigen Struktur der Regionalbüros, über die grüne Fraktionspolitik in die Regionen transportiert werden soll, stimmten die grünen Parlamentarier für die persönliche Zuordnung. Jede/r Abgeortnete wird künftig ein Regionalbüro betreuen. Ob hiermit allerdings die Repräsentation der gesamten Fraktionspolitik oder lediglich der Arbeitsschwerpunkte des jeweiligen Abgeordneten gewärleistet ist, bleibt abzuwarten. Ein Beauftragter der Regionalbüros wertete die Entscheidung skeptisch: „Gesamtgrün gerät aus dem Blickfeld; die persönlichen Abgeordneteninteressen dominieren“.