Der Superrechner und die Bewahrung des Geistes

■ Wie sich der baden–württembergische Ministerpräsident Lothar Späth die Geisteswissenschaften im Dienste der technologischen Zukunft vorstellt „Die Geisteswissenschaften sollen helfen, diese komplexe Welt zu verstehen“ / Bayern hört gut zu / Eine Tagung in der Evangelischen Akademie Bad Tutzing

Von Joachim Zepelin

Am Dienstag dieser Woche nahm der baden–württembergische Ministerpräsident Lothar Späth den amerikanischen Super–Rechner „Cray 2“ in Betrieb, der sechste, der von diesem Fabrikat überhaupt gebaut wurde. So kennt man ihn, immer am Ruder der Zeitgeschichte, um die Wende ein paar Grad weiter in Richtung Zukunft zu vollziehen. Gleichgültig worum es sich handelt, ob es die Einweihung eines gentechnischen Labors, eines neuen Forschungszentrums oder eben einer der schnellsten und leistungsfähigsten Computer ist, nie läßt Lothar Späth einen Zweifel am Kurs seiner Technologie–Politik aufkommen. Notfalls, wie im Fall des „Cray2“, verzichtet er auch einmal auf rund zehn Millio nen Mark Bundeszuschuß, damit es etwas schneller geht. Arbeitslosenzahlen, die manche Wirtschaftswissenschaftler im Zeichen der Krise als Vollbeschäftigung deuten, vergleichsweise hohe Wachstumsraten und eine Reihe von Firmen, die bundesweit in Sachen High–Tech den Ton angeben, müssen da immer wieder als Argumente herhalten. Solche Erfolge möchte manch anderer Landesfürst auch vorweisen können. Franz Josef Strauß kündigte beispielsweise an, er wolle aus Bayern den modernsten Staat Europas machen. Der gerade erst vom Präsidenten der Technischen Universität München zum bayrischen Wissenschaftsminister beförderte Wolfgang Wild hatte verstanden und kündigte nun seinerseits an, in Bayern solle die Forschung in der Spitzentechnologie zukünftig nach dem Vorbild Baden–Württembergs besonders gefördert werden. Gerade zehn Tage war diese Meldung alt, als Wild am vergangenen Wochenende in der Evangelischen Akademie Tutzing am Starnberger See mit Lothar Späth zusammentraf. Und wie es sich gehört hielt Letzterer das Referat, während Wild mit seinen Hochschulpräsidenten die Ohren spitzte. Es ging allerdings nicht um Späths und Wild Lieblingsthema der neuen Technologien, da ist man sich ja bereits einig. Es ging, so das Thema der Tagung, um den „Ruf nach den Geisteswissenschaften: woher - wohin?“ Spätestens seit Späth 1983 seine erste Expertenkommission zusammenrief, die ihm den Bericht „Zu kunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklung“ ablieferte, ist der Technologie–Förderer auch an dieser Fragestellung interessiert. Die praktische Notwendigkeit der Aufgabe der Geisteswissenschaften unterstrich Lothar Späth noch einmal in seinem Einleitungsreferat der Tutzinger Tagung. Für ihn steht zwar die Entwicklung der in die Informationsgesellschaft führenden Technologien im Vordergrund, doch haben da die Geisteswissenschaften auch ihren Teil zu leisten: Sie sollen „dem Menschen helfen, diese komplexe Welt zu verstehen“. Allerdings können sie im diagnostizierten „bedeutenden kulturellen Umbruch“ nur dann etwas leisten, wenn „die Geisteswissenschaften bereit sind, die ethische Relevanz technischer Entwicklungen anders als nur klagend oder abwertend, sondern konstruktiv wahrzunehmen“. Auf diese Weise sollen sie dann den „Sozialkitt des Vertrauens in die moderne Welt“ produzieren. Da mußte selbst der nun allem Zukünftigen gegenüber aufgeschlossene Wild noch einmal die Marschroute klären: „Sollen mit den Geisteswissenschaften tatsächlich nur die Modernisierungsschäden kompensiert werden?“ Zwar erlaubte Späth darauf noch das „Querdenken“, wichtiger sei es aber, dieser kalten Gesellschaft wieder Farbe zu geben“. Eine Aufgabe, an der sich verstärkt die Museen beteiligen sollen. Hierher gehört die baden–württembergische Kulturpolitik. Sicher, so denken viele, „der Späth ist ein neokonservativer High– Tech–Freak, aber für die Kunst und vor allem die Künstler tut er mehr als jeder andere“. Früher re dete man so über den Sportteil der Bild–Zeitung. Tatsächlich fördert das baden–württembergische Musterländle die schönen Künste wie kein zweites Land. Im Augenblick baut man gerade ein Netz von Jugend–Kunstschulen auf, sucht das Personal für eine Stuttgarter Theater–Akademie und die Landeskunstwochen gehen schon ins achte Jahr, von der neuen Staatsgalerie und anderen aufwendigen Museumsbauten ganz zu schweigen. Wie schrieb der baden–württembergische Ministerpräsident in seinem 1985 erschienenen und durchaus programmatisch zu verstehenden Buch „Wende in die Zukunft“: „Konfliktstrategien, wenn sie Erfolg haben sollen, müssen nicht nur in den Köpfen reifen, sondern auch auf festem Boden stehen.“ Einen Konflikt sieht er sich verschärfen, nämlich den, daß die Köpfe noch nicht so wollen, wie die Hände schon müssen. Späth drückte das in Tutzing freilich vornehmer aus: Man müsse auf Dauer die Gespaltenheit in zwei Kulturen, eine technisch–naturwissenschaftliche und eine geisteswissenschaftlich–humanistische, im Sinne einer neuen „Ganzheitlichkeit“ überwinden. Eine integrative Aufnahme beider Inhalte schließt er aus, denn den „technisch–musischen Gesamtmenschen gibt es nicht“. Es geht ihm nur darum, daß „aus den Spannungen ein Gespräch entsteht“. An dieser Stelle führt der Politiker gern das Beispiel seines Hubschrauberpiloten an, der ihm bei einer Tour über den Schwarzwald einmal die schlimmsten Stellen des Waldsterbens zeigte und eigens dafür einen Umweg flog. Der Pilot hat die Technologie akzeptiert, geht selbstverständlich mit ihr um und spricht selbstverständlich über sterbende Bäume, die ihm in der Seele wehtun. Erstmal wird aber geflogen. Was das konstruktive Mitmachen der Geisteswissenschaften bedeuten soll und wie sehr der Kampf um die Köpfe der neokonservativen Technologie–Strategen bereits geführt wird, zeigten Späths Co–Referenten in Tutzing. Der Münchner Historiker Thomas Nipperdey und der Züricher Philosoph Hermann Lübbe, beide nebenberuflich wissenschaftliche Berater des Ministerpräsidenten in Stuttgart, blieben an Deutlichkeit nichts schuldig. Nipperdey, der sich an der Historiker–Diskussion über den Nationalsozialismus mit der Forderung beteiligt hatte, der deutsche Faschismus gehöre nun endlich „historisiert“, wandte sich ganz entschieden gegen fremde Sinnzuweiser und Politisierer der Geschichte. In Wahrheit sei diese nämlich „autonom und unabhängig von politischen Funktionsbestimmungen und Aussagen über die Gesellschaftsverträglichkeit“. Durch die Hintertür führt er aber die vorher verneinte Aufgabe der Sinnstiftung durch Geschichte wieder ein. Indem sie nämlich „das Erbe bewahrt und verwaltet und uns zeigt, wer wir sind, und warum wir so sind, wie wir sind und anders sind als andere“ schaffe Geschichte dringend benötigte Indentifikationen im Sinne der Kompensation. Diese „geben dem Leben auch das Element der Beruhigung und der Stabilität“. Der „Bedarf nach diesen Dingen, die nicht in dieser Welt liegen“, nimmt nach Nipperdey aufgrund der wachsenden technisch–wissenschaftlichen Probleme ständig zu. Da braucht man „die Museen, Spiele oder eben Geschichte“.