Grüne ohne Beschluß zu Hessen

■ Am Wochenende tagte der BHA der Grünen bei Bonn / Jutta Ditfurth erhebt Anspruch auf sichere Listenplätze für Linke und Fundis bei der Hessenwahl / Kampagne zum Boykott der Volkszählung wird fortgesetzt

Aus Roisdorf Oliver Tolmein

Als Samstagabend 18.30 Uhr der Bundeshauptausschuß (BHA) der Grünen im Haus Wittgenstein immer noch nicht zum Tagesordnungspunkt „Hessen“ gekommen war, entschloß sich der ZDF–Reporter Gerrhardt, in seiner Berichterstattung der Wirklichkeit vorauszueilen. In den 19–Uhr–Nachrichten berichtete er über die „seit dem späten Nachmittag dauernde Diskussion über die Situation in Hessen“ und präsentierte den Fernsehzuschauern auch schon das zu erwartende Ergebnis der angeblich stattgefundenen Debatte: eine Koalitionsaussage zugunsten der SPD sei zu erwarten. Als die Grünen zwei Stunden später tatsächlich über Perspektiven in Hessen diskutierten, war davon kaum die Rede. Bedauert wurde vielmehr, daß zur Sitzung des BHA, des „höchsten Gremiums zwischen den Par teitagen“, von den relevanten Hessen–Realpolitikern keiner erschienen war. Im Verlauf der Diskussion über die Situation in Hessen, die ohne Beschluß beendet wurde, kritisierten mehrere Rednerinnen, daß die Erfahrungen aus dem „Experiment Hessen“ nicht ausgewertet werden könnten. Jutta Ditfurth meinte,daß der Koalitionsbruch an der Frage Nukem/Alkem den Blick auf die Erfahrungen insgesamt verstelle. Wenn die Grünen in Hessen heute hervorhöben, es gebe durch die Koalition mit der SPD eine neue Abfall– und Chemiepolitik, dann behaupteten sie Erfolge, die es nicht gebe. Andere Punkte, die jetzt als Plus für die Koalition verbucht würden, wie das Hessische Frauenaktionsprogramm, die Ausländer– oder die neue Landwirtschaftspolitik seien Ergebnis von Tolerierungs–, nicht aber der Koalitionsverhandlungen. Außerdem dürfe nicht vergessen werden, daß der grüne Umweltminister an etlichen Punkten kaum anders gehandelt habe als seine sozialdemokratischen Vorgänger. Bei der Diskussion über künftige grüne Politik in Hessen müsse, so Ditfurth weiter, auch die Lage des außerparlamentarischen Widerstands eine Rolle spielen. Jutta Ditfurth meldete für die kommende Hessenwahl den Anspruch des linken und fundamentalistischen Flügels auf eine ihrer Stärke entsprechende Zahl von sicheren Plätzen auf der Landesliste an. Helmut Wiesenthal bewertete in der Diskussion die „hessische Koalition als Erfolg grüner Politik“. Dementsprechend müsse es jetzt gelingen, den Hessen–Wahlkampf zu einem Wahlkampf gegen den Plutoniumkreislauf zu machen. Eine Resolution, in der der BHA seine Erwartung ausdrückt, daß „alle Grünen Strömungen auf der hessischen Landesliste beteiligt werden“, wurde nicht verabschiedet. Außer „Hessen“ wurde vor allem der Einstand der grünen Bundestagsfraktion und die verschiebung der Bundesdelegiertenkonferenz, die für den 3./4.April angesetzt worden war, diskutiert. Der BHA kritisierte das Vorgehen von Otto Schily, die Bundespressekonferenz der Realo–Strömung und die Unterrepräsentierung der Frauen in wichtigen Ausschüßen wie dem Innenausschuß. Weiter beschloß der Bundeshauptausschuß, die Kampagne zum Boykott der Volkszählung am 25. Mai fortzusetzen. Auch bei diesem zweiten Versuch der „Volkserfassung“ seien die Bürgerdaten nicht vor Mißbrauch geschützt, heißt es in einer Resolution. Daten der Volkszählung könnten trotz der sogenannten Anonymisierung für den „Ausbau des Überwachungsstaates“, für Zivilschutz– und NATO–Manöverplanspiele sowie für die Erfassung bestimmter Ausländergruppen genutzt werden. Die Bundesdelegiertenkonferenz ist auf das erste oder zweite Maiwochenende verschoben worden. Der Ort steht noch nicht fest.