Auftakt für eine neue Kraftprobe

■ Industriegewerkschaft Metall mobilisiert für die 35–Stunden–Woche / Steinkühler:“politischer Widerstand“ gegen Aussperrung / Paragraph 116 hat Kampfbedingungen verändert

Dortmund (taz)–Der Mann in der abgetragenen braunen Jacke hält das Megaphon fest unter den Arm geklemmt. Schon eine Viertelstunde streicht er an der ersten Stuhlreihe vorbei, dort wo die Spitzenfunktionäre ihre Köpfe zusammenstecken. Plötzlich macht der Alte sich gerade und steuert direkt auf IHN zu. „Tach Franz, ich bin Paul aus Leer, Dir wollte ich schon immer mal die Hand geben“, begrüßt der Ostfriese seinen Vorsitzenden, Chef der größten Einzelgewerkschaft der Welt. Der schaut verdutzt, steht auf, schnappt unmerklich nach Luft, zögert - und lächelt, wobei die ohnehin schmalen Augen sich zu Schlitzen verengen. Die Unterhaltung der beiden geht in dem Stimmengewirr von 3.500 Metallern unter. Aus der ganzen Bundesrepublik hat die IG Metall ihre Funktionäre nach Dortmund geladen. Ziel der zweitägigen Veranstaltung in der Westfalenhalle: Mobilisierung für den Tarifkampf um die 35–Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich. Eine Welle von Warnstreiks und außerbetrieblichen Aktionen soll die Kampffähigkeit demonstrieren und gleichzeitig den großen Streik möglichst überflüssig machen. „Bewegt Euch!“ Während Steinkühler sich warm redet, macht der Ostfriese Paul Ostchecha es sich in der ersten Reihe bequem, ohne das Megaphon loszulassen. Er ist einer von 27,6 Prozent registrierten Arbeitslosen im Bezirk Leer–Papenburg. Weil er auf einen Arbeitsplatz infolge von Arbeitszeitverkürzung hofft, fühlt Ostchecha sich persönlich vom Tarifkampf betroffen und ist seit Jahren in der IGM–Ortsverwaltung aktiv. Er will „den Franz“ aus der Nähe beobachten. Solarien– oder sonstwie gebräunt, mit gewaschenem, exaktem Kurzhaarschnitt, die linke Augenbraue zielstrebig nach oben gerichtet - so legt Steinkühler los mit einer Grundsatzrede, ohne Jackett, aber mit festgezurrtem Schlips. Er spricht schnell, schätzt das Wahlergebnis ein, rechnet mit der „Koalition zwischen Kabinett und Kapital“ ab, kritisiert die SPD: „Es war falsch, daß die einen unbeirrt von Versöhnung gesprochen haben und die anderen ungestört Spaltung betreiben konnten. Wer Ökonomie und Ökologie mit einander aussöhnen will, darf dem Konflikt mit dem Kapital nicht ausweichen.“ Mut machen Beifall läßt der IGM–Chef nicht ausklingen. 17 Seiten Manuskript unterstützt Steinkühler mit dynamischer Körpersprache, ohne jedoch ein einziges Mal seine Lachmuskeln anzustrengen. Mit erhobenem Zeigefinger warnt der Agitator vor dem „Ende des sozialen Kompromisses auf Dauer“. Gestützt auf den rechten Arm, die Hand zur Faust geballt, ruft er in den Saal: „Bewegt Euch!“ Blitzschnelle Körperdrehung nach rechts, nun die linke Hand zur Faust geschlossen, „es wird sich nichts in dieser Republik bewegen, wenn wir nicht selbst anfangen uns, zu bewegen“. Die Kulisse jubelt. In den folgenden Beiträgen machen sich die Funktionäre gegenseitig Mut, rechnen genau die nach 1984 neuen oder gesicherten Arbeitsplätze vor. Aktionen für 1987 sind beschlossen, in Leer zum Beispiel eine „Feldschmiede“ in der Fußgängerzone. „Wenn wir die 35 auf dem Amboß hämmern, hört man das meilenweit“, lacht Klaus Bollen. Gegen Männer–Angst vor einem Streik redet der Ausländer Rocco von VDO–Frankfurt: „Wenn Frauen auf die Barrikaden gehen, sind wir Männer kleine Kinder. Von türkischen Kolleginnen soll ich ausrichten, daß sie bereit sind, zu streiken, ob mit oder ohne Geld.“ Unruhig rutschen die Gewerkschafter auf ihren Stühlen, als die Betriebsrätin eines Frauenbetriebes das besondere Engagement von Frauen begründet: „Wir müssen die Hausarbeit ja doch fast allein machen, deshalb spüren wir jede freie Minute.“ Den einheitlichen 7–Stundentag für alle fordern viele Redner. Doch hier zögert die IG Metall. Horst Klaus, geschäftsführendes IGM–Vorstandsmitglied, zur taz: „Wir haben dazu keine Festlegung. Das muß von Betrieb zu Betrieb geregelt werden. Aber wir werden Modelle vorgeben, zum Beispiel fünf Tage a sieben Stunden oder vier Tage a acht Stunden.“ „Dat löpp sick trech“ Der Tarifkampf ist keine Angelegenheit von Funktionären. 16.OOO Menschen strömen am Samstag in die mit Transparenten, Fahnen und Luftballons geschmückte Westfalenhalle, unter ihnen der 73jährige Bernhard Deniok, seit über einem halben Jahrhundert organisiert. Er hat schon gegen die 48–Stundenwoche gekämpft. Seine fünfjährige Enkelin rüttelt an Opas Krückstock, „ich will n Luftballon und n Eis“. Kriegt sie beides. Die Diskussion am Vortag und jetzt das bunte Treiben haben Jürgen Kramer aus Neumünster „stark motiviert“. Er beugt sich auf dem harten Stuhl vor, bemüht, die Musik der türkischen Tanzgruppe zu übertönen. Die Lage sei zwar ernst, an der Westküste drücke die Werftenkrise auf die Stimmung. Dennoch wettet der stämmige Norddeutsche 100 Mark - auf Sieg: „glöv man, mien Deern, dat löpp sick trech. Wi künn dat schaffen“. Petra Bornhöft