Die Wunder–Molke erschüttert das Emsland

■ Gestandene Meppener Bürger konfrontieren die örtliche 60–Prozent–CDU mit Ungewohntem: Protest / Ängste um das Image der Gegend treiben die SPD um / Grüne: Nein zur Molke heißt auch Nein zur Atomenergie / Erste fliegende Händler

Aus Meppen K. Wolschner

„Das hat es in Meppen noch nicht gegeben“ - die Meppener Tagespost hatte am Samstag noch nicht wieder zu den gewohnten Vereins–Themen gefunden. In dem sauberen 20.000–Seelen–Städtchens Meppen weist keine einzige Wandparole auf die Aufregung hin. Ausgerechnet hier auf ein totes Eisenbahngleis, zu dem nur zwei Waldwege führen, hat man 150 der umstrittenen Waggons mit dem radioakiv verseuchten Molke–Pulver abgestellt: inmitten des Landschaftsschutzgebietes, wo unberührte Sümpfe der Natur freie Entfaltung lassen, weil auf 200 Quadratkilometern die Bundeswehr ihren größten Übungs– Schießplatz der Republik unterhält. Am Donnerstag nachmittag tagte der Meppener Stadtrat. Der CDU–Fraktionsvorsitzende Klemens Blömer, der mit seiner Mehrheit auf die zwölf SPDler und die zwei Grünen keine Rücksicht zu nehmen braucht, beschwört den Gemeinsinn: „Wir sollten uns alle bemühen, so schnell wie möglich das Molkepulver über die Weißwurstlinie zu transportieren.“ Der SPD– Fraktionsvorsitzende Proske will die Dimenson des Unglücks noch höher schrauben: „Das in wenigen Stunden bundesweit zerstörte Image des Emslandes wird so schnell nicht wieder hergestellt werden können“. Der Grünen–Ratsherr Rainer Fischlein, selber beschäftigt beim Militärischen Erprobungs– Gelände, versucht die Empörung aufzuklären: „Nein zur Molke heißt aber auch Nein zur Atomkraft.“ Das Image–Problem des Emslandes hat in diesen Tagen der CDU–Landrat Josef Meiners klassisch formuliert: „Aufgeschlossen gegenüber neuen Technologien“ habe man dem Emsland zu einem „ausgezeichneten Ruf als intakte Wirtschaftsregion“ verholfen, und das „ohne Zerstörung von Natur und Landschaft.“ Ein Blick auf die 15 Prozent Arbeitslosen, auf die zugefleckte Standortkarte von Militärstützpunkten, Chemie–Werken und Atomenergie–Anlagen zeigt, wie gefährdet dieses Image ist. Bisher hat es jedoch gehalten, die saftigen 60 Prozent für die lokale CDU beweisen es. Nur eine radikale Minderheit hatte hier im Emsland etwas gegen Arbeitsplätze in der Bleichemie oder gegen die saubere Energie aus den Atomkraftwerken. Daß das AKW Lingen I wegen einer Häufung von Unfällen 1977 stillgelegt werden mußte, führte nur zu neuen Anstrengungen: 10.000 Unterschriften konnte die örtliche ÖTV 1980 Niedersachsens Ministerpräsidenten Albrecht präsentieren, das emsländische „Ja“ zum AKW Lingen II. Gut 300 Menschen aus Meppen, „gestandene Meppener Bürger“ wie der CDU–Rat Pletz beobachtet hat, protestierten am Donnerstag vor der Musikschule, dem Tagungsort des Stadtrates, und trieben die Ratsherren zu ihren mutigen Feststellungen. Selbst der Lingener Bürger Dr. Remmers, Umweltminister in Hannover, muß zwei Monate vor der Hessen–Wahl in der Zeitung in den Chor gegen seinen Parteifreund einstimmen: „nicht glücklich“ sei es gewesen, was Bundesumweltminister Wallmann da gemacht habe. Offenkundig war Wallman, bedrängt von der Lust am Image des schnell handelnden Mannes, über die Sensibilitäten der Emsländer schlecht beraten. „Im Emsland, friedlich und verschlafen, war kein Protest zu erwarten“, beschreibt ein Leserbriefschreiber der Meppener Tagespost die Fehleinschätzung. Ohne den Oberkreisdirektor (“OKD“) und sonstige lokale Autoritäten rechtzeitig zu informieren, sollten die Molke–Waggons im Bundeswehr– Busch verschwinden. Da ging am Dienstag mittag ein Wort durch die Rundfunk–Nachrichten: „OKD“ Brümmer erklärte, der Landkreis sei durch den „Bordwaffenübungsplatz“ bei Nord horn, Chemieindustrien und das AKW Lingen genug belastet. „Irgendwann ist es einfach mal genug. Man kann eine Gegend auch überfrachten.“ Der OKD habe erklärt, er lasse das kreiseigene Bahngleis für den Molke–Zug sperren, hieß es im Radio. Dieses Fanal zum Aufruhr entstand aus einer Mischung von Unkenntnis der Lage und emsländischem Nationalstolz. Ein direkter Anruf des Ministerspräsidenten Albrecht in Meppen stutzte den OKD auf das Kreisverwaltungs– Niveau zusammen: Binnen weniger Stunden mußte der Oberkreisdirektor erkennen, daß er keinerlei Rechtsgrundlage hatte, dem Molkezug den Weg zu versperren. Aber sein Machtwort war in den Äther gesetzt, und die Telefone im Emsland liefen heiß. Alte und neue Anti–Atom–BIs, Frauengruppen, Freundeskreise und Grüne formierten sich. Der eine hörte es in Osnabrück um 17 Uhr, rief seine Land–WG in Lingen an, die hatte schon Nachricht von der Bekannten aus Leer. Eine beispiellose Mobilisierung binnen zwei, drei Stunden setzte 300 bis 400 Demonstranten aus dem gesamten Emsland in Bewegung. Um 21 Uhr war der Bahnhof voll; sogar der Junge–Union–Vorsitzende stand auf den Gleisen. Die fünf Bahnpolizisten gaben den Versuch schnell auf, die Ordnung wieder herzustellen. Der Chef der lokalen Schutzpolizei war mit sieben Mann angerückt und konnte ebenfalls nicht viel ausrichten. Kurz nach 23 Uhr verspielte er den Rest seiner Autorität: just eine Minute bevor ein Auto–Transport– Zug am Horizont erschien, hatte er den Demonstranten versichert, es sei kein Bahnverkehr mehr in der Nacht zu erwarten, sie könnten also in Ruhe schlafen gehen. Erst als morgens eine Hunderschaft Bereitschaftspolizei aus Oldenburg angefahren kam, konnten die Molke–Züge Meppen endlich passieren. Nicht nur demonstrationserfahrene Emsländer gingen auf die symbolischen Barrikaden. Der Personalrat der 1.700 Beschäftigten der militärischen Erprobungsstelle hatte schon am Dienstag mittag scharf protestiert. Auch die örtliche CDU schwappte mit auf der Welle des Protestes. Zwar fand Fraktionschef Klemens Blömer die Bemerkung des „OKD“, der das AKW Lingen unter die „Belastungen“ der Region zählte, „nicht ganz glücklich“. Die Erprobungsstelle aber, so stellt er klar, dürfe nicht Müllabladeplatz werden, und die Sache sei „nicht abgesprochen“ gewesen. Der Meppener CDU– Landtagsabgeordnete Jansen deutet an, man habe die Problematik der doch völlig ungefährlichen Molke–Ladung „mit dem Bürger sachlich entschieden“. Der Landwirt und CDU–Ortsvereinsvorsitzende Kirschner hatte schon am Dienstag abend am Bahnhof verkündet, verdünnt würde er die Molke trinken. Das aber, sagt er auf Nachfrage, sei etwas anderes, als sie seinen Schweinen ins Futter zu geben. Das würde er nicht machen, weil die Bevölkerung das nicht akzeptiert.“ Der CDU–Mann ist besonders darüber verärgert, daß die Wissenschaftler keine eindeutigen Angaben machen, was nun zu geschehen habe. Nur so erklärt er sich die Tatsache, daß „die Bevölkerung“ von Sorgen und Ängsten umgetrieben wird. In dem emotional aufgeputschten Molke– Schwung geriet in der Ratssitzung am Donnerstag sogar das geplante Parkhaus für die Meppener Fußgängerzone gleich mit unter die Räder, das die CDU–dominierte Verwaltung längst für beschlossene Sache gehalten hatte: eine handvoll CDUler verhalfen der SPD und den Grünen zu einem Abstimmungssieg, bevor dann der Protest gegen den Molke–Zug einstimmig verabschiedet wurde. Das tote Bahngleis auf der Erprobungsstelle verspricht der Region aufregende Monate. Schon ziehen die ersten fliegenden Händler durch die Kneipen, die den Gästen 15 Gramm schwere Leinen–Säckchen schenken. Strahlende „Wunder–Molke“ steht darangeschrieben.