Altpapierberge und Nachfragetäler

■ Die Nachfrage nach Altpapier hinkt hinter dem Angebot her / Recycling–Betriebe schlagen Alarm / Bonner „Frischpapierlobby“ stärker als politische Versprechen des Umweltministeriums / Öffentliche Verwaltungen fehlen als Abnehmer / Ohne konsequente Altstoffnutzung wird die Recycling–Wirtschaft zum Flop

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Frankfurt (taz) - Den mittelständischen papierverarbeitenden Industriebetrieben, die sich vor Jahr und Tag auf die Verarbeitung von Altpapier zur Papier– und Kartonherstellung spezialisiert haben, geht es schlecht. Zwar ist das Bewußtsein der Bevölkerung für die „Bedeutung der Umwelt“ erheblich gewachsen, doch „mitgewachsen“ seien die Altpapierhalden, die sich inzwischen zu ansehnlichen Bergen türmten. Denn die Nachfrage nach recyceltem Papier, die ist deutlich hinter dem Angebot zurückgeblieben, wie die Solinger Papierfabrik Jagenberg & Cie., eine der wichtigsten, mittelständischen Papier– und Kartonagenhersteller der Republik, die nahezu ausschließlich Altpapier verarbeitet (90 Produktion), jetzt öffentlich machte. 20.000 Tonnen Recyclepapier produzieren die Solinger jährlich. Das Unternehmen erwirtschaftete 1986 einen Umsatz von 45 Millionen DM und beschäftigt rund 200 Menschen. Seit 1985 beträgt nämlich der Anteil des Altpapiers an der Produktion von Papier, die sogenannte Recycling–Quote, konstant 43,5 von den Kommunen „gutwillig“ getrennt gesammelten Papier– und Kartonagemengen in den Herstellungskreislauf rückführen zu können. Die Folge: In den Zwischenlagern stapeln sich tonnenweise die Zeitungen und Zeitschriften, Pizza–Kartons und Rama–Kisten. Schon jetzt müssen die Stadt– und Gemeindekämmerer den Posten „Altpaier“ in den kommunalen Haushalten unter der Rubrik Ausgaben verbuchen. Über eine großangelegte Pressekampagne versuchen denn auch die Solinger zur Zeit, die Recycling–Quote in die Höhe zu treiben. Eine Steigerung der Quote um nur einen Prozentpunkt würde bereits dafür sorgen, daß 100.000 Tonnen mehr Altpapier in den Papier– Produktionskreislauf eingeführt werden könnten. Diese Erhöhung, so Jagenberg & Cie.–Sprecher Rolf P. Hendgen im Gespräch mit der taz, käme allen Beteiligten zugute: „Nicht nur dem Altpapiermarkt, sondern auch der Papierherstellung und ihren Beschäftigten sowie den Kommunen durch Entlastung der Deponien und damit - last not least - dem Bürger.“ Doch mit ihrem „Vorstoß an die breite Öffentlichkeit“ (Hendgen), stieß die Papierfabrik Jagenberg & Cie. beim Verband der Deutschen Papierfabriken (VDP) auf wenig Gegenliebe. Denn die großen Papierfabriken der Republik, die in diesem Dachverband der Papierhersteller das Sagen haben, stellen in der Regel Produkte aus Frischfasern her. Und wer das meiste Geld in die Verbandskasse zahlt, der bestimmt den absatzpolitischen Kurs. Das Nachsehen haben die kleinen und mittelständischen Betriebe, die mehrheitlich Papierrecycling betreiben. Auch Vorstöße der Recycler in Bonn blieben bisher ohne sichtbaren Erfolg. Zwar hat das Bundesumweltministerium den kleinen und mittelständischen Betrieben zugesagt, mit entsprechenden Maßnahmen die „Erhöhung der Akzeptanz von altpapierhaltigen Produkten“ zu forcieren, doch die Lobby der Frischfaserverarbeiter sei - zumindest im letzten Bundestag - außerordentlich rührig gewesen, meinte Hendgen. Wirklich getan habe sich nämlich „absolut nichts“. Doch nicht nur die Lobby der Frischfaserverarbeiter macht den Recyclern zu schaffen. Die Verarbeiter von Altpapier sind nämlich an die Marktgrenzen gestoßen, denn die Einsatzmöglichkeiten von Altpapier richten sich ausschließlich nach den Absatzmöglichkeiten für die aus diesem recycelten Papier herzustellenden Papiere und Kartons. Und solange die Kunden der Papierweiterverarbeiter auf blütenweißen Rohmaterialien bestehen, haben die Anbieter von recyceltem Papier schlechte Karten. Die kleinen und mittelständischen Betriebe appellieren deshalb an die „öffentliche Hand“, mit gutem Beispiel voranzugehen. Denn bisher habe einzig die Deutsche Bundespost ein „vorbildliches Verhalten“ an den Tag gelegt und über eine Änderung der Beschaffungsrichtlinien Recyclepapier zum Einsatz kommen lassen. Nach Auskunft der Bundespost sind ihre Kunden „hochzufrieden“ mit den Telefonrechnungen und Kontoauszügen - mit den dazugehörigen Umschlägen - aus wiederaufgearbeitetem Papier: „Das hat dem Image der Post gutgetan.“ Das krasse Gegenbeispiel zum umweltschutzgerechten Verhalten der Bundespost sei die von der Oberfinanzdirektion Hannover erst kürzlich erfolgte Umstellung der Versandformen für Steuervordrucke, meinte Hendgen empört: „Statt Umschlägen aus Recyclingpapier verwendet man dort jetzt graue Plastikhüllen aus Polyäthylenfolie.“ Ein Sprecher der Oberfinanzdirektion teilte auf Nachfrage zwar mit, daß die Folie „lebensmittelrechtlich unbedenklich“ sei, doch - so Hendgen weiter - stehe weder der Verzehr des Umschlags zur Debatte noch seine Verwendung als Butterbrotpapier: „Die Verbraucher werden diesen Plastikumschlag mit Sicherheit dem allgemeinen Hausmüll zuführen, so daß er auf Deponien landet und dort - im Gegensatz zum Papier - kaum verrottet. Sollten sich die zuständigen legislativen Institutionen der Republik weiter weigern, den Altpapier–Recyclern unter die Arme zu greifen, gehen kleine und mittelständische Verarbeitungsbetriebe schweren Zeiten entgegen. Die ökologisch sinnvolle Wiederaufarbeitung von Altpapier - einst ein Musterbeispiel für rohstoffsparendes „Wirtschaften“ - wird zum Verlustgeschäft werden. Eine dauerhafte Absatzstagnation - bei steigenden Kosten - wird die Recyclebetriebe in den Ruin treiben. Auf anderen Recycle– Märkten, etwa beim Schrott–Recycle, bahnt sich eine ähnliche Entwicklung an, die ein „roll back“ in der gesamten „sanften Wirtschaft“ einleiten könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Denn sollten die Papier– und Eisenschrottberge - und demnächst vielleicht auch noch die Altglasberge - nicht schleunigst „abgetragen“ werden, wird bei den Stadt– und Gemeinderäten, die für die Entsorgung der getrennt gesammelten Abfallmengen immer tiefer in die Taschen greifen müssen, eben diese Getrenntsammlung in Mißkredit geraten. Der Tag, an dem der gesamte Müll wieder in einer großen, grauen Tonne landen wird, ist schon jetzt kein utopisches Datum mehr.