Demjanjuk–Prozeß in Jerusalem eröffnet

■ Der mutmaßliche NS–Kriegsverbrecher wurde vor einem Jahr von den USA an Israel ausgeliefert / Hauptstreitpunkt während des Prozesses wird die Identität des Angeklagten sein / Der Demjanjuk–Prozeß ist nicht mit dem Eichmann–Prozeß vergleichbar

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Fünfundzwanzig Jahre nach dem Eichmann–Prozeß ist am Montag morgen vor dem Bezirksgericht in Jerusalem das Verfahren gegen den mutmaßlichen NS–Kriegsverbrecher John Demjanjuk eröffnet worden. In diesem wahrscheinlich letzten Prozeß, in dem zugleich der nationalsozialistische Holocaust dokumentiert wird, muß der 67jährige Angeklagte mit der Todesstrafe rechnen, falls sich herausstellt, daß er mit dem sadistischen Aufseher des ehemaligen Konzentrationslagers Treblinka, genannt „Iwan der Schreckliche“, identisch ist. Demjanjuk soll damals die Gaskammern des in Polen liegenden Vernichtungslagers überwacht haben und für den Tod von 850.000 Gefangenen mitverantwortlich sein. Während des Prozesses sollen über fünfzig Zeugen aufgeboten werden, um zu bestätigen, daß es sich bei dem Angeklagten tatsächlich um „Iwan den Schrecklichen“ handelt. Er wird der Verbrechen gegen das jüdische Volk und die Menschheit sowie der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen einzelne Verfolgte bezichtigt. Die Frage der Identität wird im Mittelpunkt des Prozesses stehen. Der amerikanische Verteidiger des Angeklagten, Marc OConnor, möchte beweisen, daß Israel den falschen Mann vor Gericht gestellt hat. Der Anwalt geht davon aus, daß der von den sowjetischen Behörden zur Verfügung gestellte Ausweis Demjanjuks aus seiner SS–Dienstzeit eine „kommunistische Fälschung“ ist. Gleichzeitig beklagt sich OConnor darüber, daß er keine Möglichkeit hat, die Dokumente zur prüfen, mit denen das Gericht den Identitätsnachweis erbringen will. Demjanjuk, der aus der Ukraine stammt, soll als junger Soldat der Roten Armee in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten sein und sich dort freiwillig zur Ausbildung eines SS–Gehilfen gemeldet haben. Ihm wird vorgeworfen, er habe im KZ Treblinka auf besonders sadistische Weise Menschen gefoltert, verstümmelt und ermordet, bis er im Sommer 1943 zur Bewachung russischer Kriegsgefangener nach Deutschland versetzt wurde. Bei Kriegsende saß er zusammen mit anderen Kollaborateuren in einem Flüchtlingslager ein, bis er in die USA einwandern durfte. 1958 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft und lebte mit seiner Familie als angesehener Kleinbürger in Cleveland, Ohio, wo er bei den Ford–Werken angestellt war. Aufgrund einer Anzeige vor zwölf Jahren wurde Demjanjuk erst 1980 verhaftet und beschuldigt, seine Vergangenheit in der SS beim Einbürgerungsverfahren verschwiegen zu haben. In einem langwierigen Verfahren war ihm schließlich die Staatsbürgerschaft wieder aberkannt worden, nachdem mit Hilfe sowjetischer Dokumente seine Identität mit „Iwan dem Schrecklichen“ belegt war. Israel beantragte daraufhin seine Auslieferung. Seit einem Jahr sitzt Demjanjuk nun bereits in israelischer Haft. Im Laufe der Verhöre stritt er jede Schuld ab und behauptete, mit dem berüchtigten Folterer und Mörder nicht identisch zu sein. Der Prozeß gegen Demjanjuk findet in einem Saal des Jerusalemer „Gebäudes der Nation“ statt, der für eine Viertelmillion Dollar in ein modernes Gericht verwandelt wurde. Um den erzieherischen Wert des Prozesses zur Geltung zu bringen, wird das Verfahren vom staatlichen Rundfunk sowie in Auszügen auch im Fernsehen übertragen. Allerdings wirkt heute, anders als während des Eichmann–Prozesses, das „öffentliche Interesse“ eher künstlich erzeugt. Schon Anfang Dezember schrieb die Zeitung Jediot Ahronot: „Zu einem zweiten Eichmann–Prozeßs kann es nicht kommen. Die Ereignisse liegen zu weit zurück, es ist eine andere Zeit, eine andere Generation. Das hätten diejenigen berücksichtigen müssen, die Demjanjuk herbrachten, um einen Schauprozeß zu veranstalten.“