Resonanzboden

■ Gorbatschows Grundsatzrede auf dem Friedensforum

Drei Tage lang sollten sich die erlauchten Teilnehmer des Forums „Für eine atomwaffenfreie Welt“ aus Ost und West davon überzeugen, daß es Gorbatschow mit seinem Friedenswillen ernst meint. Von Jewtuschenko bis Berthold Beitz, von Sammy Davis jr. bis Arbatow, von der Primaballerina Maja Plisezkaja bis Max Frisch, von Kirchenfüsten bis zu Komponisten und anderen Kapazitäten des Kulturschaffens - man hatte sich erwartungsfroh versammelt. Der Übergang zu einer neuen Epoche stand auf dem Programm. Denn ohne die rasanten Veränderungen in der Sowjetunion wäre man nicht so neugierig gewesen. So hat Gorbatschow einen würdigen Resonanzboden für seine große Rede gefunden. Wer von ihr eine neue außenpolitische Initiative erwartet hatte, mußte mit einer dramatischen Schilderung der Weltlage vorlieb nehmen. Die aber war in ihrem realistischen Problembezug durchaus beeindruckend. Gorbatschow machte es seinen Zuhörern leicht zu verstehen, und die bei Kreml–Reden auftauchende notorische Müdigkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen, auch wenn er keine konkreten Auswege aus der erstarrten weltpolitischen Lage aufzeigte. Gorbatschows List zielt in zwei Richtungen. Er versuchte sich des Wohlwollens westlicher und östlicher Meinungsmacher zu versichern, die auf das politische Klima in ihren Heimatländern Einfluß nehmen können. Und zugleich zog er einen wesentlichen Teil der sowjetischen Intellektuellen an sich, indem er sie frei mit den Kollegen aus dem Westen diskutieren ließ. Sicher kann das allein die amerikanische Regierung nicht überzeugen, in der Abrüstungsfrage der Sowjetunion entgegenzukommen. Ein frei sprechender Sacharow und neue Ansätze in der Menschenrechtspolitik heben noch nicht das Junktim zwischen SDI–Verzicht und Abrüstungsverhandlungen in Teilbereichen auf. Erhard Stölting/Erich Rathfelder