piwik no script img

I N T E R V I E W „Die Volkszählung ist rechtswidrig“

■ Ein Gespräch mit dem Vorsitzenden des Republikanischen Anwältinnen– und Anwältevereins (RAV), Klaus Eschen Der RAV befürwortet einen Boykott der Volkszählung / Datenmißbrauch ist nicht ausgeschlossen

taz: Der RAV ist für einen Boykott der Volkszählung. Die Mitgliederversammlung des RAV hat sich am Wochenende einstimmig für einen Volkszählungsboykott entschieden. Dürfen Anwälte geltendes Recht boykottieren? Eschen: Anwälte sind an das Recht und Gesetz gebunden wie andere Menschen auch. Wir sind aber der Meinung, daß das Volkszählungsgesetz aus mehreren Gründen rechtswidrig, wenn nicht gar verfassungswidrig ist. Ein verfassungswidriges Gesetz ist nicht bindend und ein rechtswidriger Verwaltungsakt. Die Aufforderung, an der Volkszählung aktiv als Zähler oder auch als Gezählter mitzuwirken, muß ja nicht befolgt werden. Nun wird aber von allen Seiten den potentiellen Verweigerern mangelndes Rechts– und Staatsverständnis vorgeworfen. Wie verhaltet ihr euch als Juristen dazu? Wir haben in einer Erklärung darauf hingewiesen, daß z.B. die nach dem § 14 des Volkszählungsgesetzes geforderten Landesge setze, die die strikte Abschottung der kommunalen Verwaltung von den für statistische Aufgaben zuständigen Stellen regeln sollen, noch nicht erlassen wurden. Darüberhinaus ist nicht gewährleistet, daß die Daten - individuell durch einzelne Zähler, oder aber auch die Datenmassen, die erhoben werden - nicht mißbraucht werden. Den Grundsatz, daß man als Bürger dem Staat prinzipiell zu vertrauen habe, akzeptieren wir nicht in dieser Form. Was wirst du persönlich deinen Mandanten raten? Einen Mandanten würde ich auf die Risiken der Volkszählung hinweisen und auf die Rechtswege und tatsächlichen Möglichkeiten, sich gegen die Aufforderung zur Teilnahme an der Volkszählung zur Wehr zu setzen. Du selber und auch viele eurer Mitglieder sind zugleich auch Mitglieder der SPD. Nun hat gerade auch die SPD in Bonn betont, Boykotteure der Volkszählung mißachteten geltendes Recht. Bei dieser Sache mit der Volkszählung müsse man nun „durch“. Was sagst du als SPD–Mitglied dazu? Die SPD kann nicht - was die Rechtsauffassung anbetrifft - ihre Mitglieder binden. Meiner Meinung nach gehen die jüngsten Äußerungen der SPD an den Bedürfnissen statistischer Erhebungen und an den Ängsten der Bevölkerung vorbei. Eine Partei sollte so etwas ernst nehmen und sollte nicht darauf bestehen, ein Gesetz durchzusetzen, gegen das - nach vorsichtigen Schätzungen - mehr als Zweidrittel der Bevölkerung eingenommen sind. Auch wenn ein Gesetz auf verfassungsmäßige Weise zustande gekommen ist und durch parlamentarische Gremien beschlossen worden ist, muß es noch lange kein gutes Gesetz sein. Nicht alles, was rechtmäßig ist, ist richtig. Wir im RAV sind der Ansicht, daß das Ganze viel eher den Charakter hat, die Bevölkerung an massenhafte Datenerhebungen zu gewöhnen und sie in dieser Hinsicht auch zu disziplinieren. Das Gespräch führte Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen