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I N T E R V I E W Nicht jeder, der sitzt, nötigt

■ Siegfried Nold, Verteidiger in einem Blockadeprozeß gegen zwei Frauen und zwei Männer vor dem Tübinger Landgericht, zu den Freisprüchen für seine Mandanten / Neue Prozeßtaktik mit vielversprechendem Ergebnis

taz: Euer Prozeß vor dem Tübinger Landgericht ging mit vier Freisprüchen zu Ende. Warum? Siegfried Nold: Die Blockade vor dem Großengstinger Depot für Lance–Kurzstreckenraketen, im Mai 1983, war eine sog. Nadelstichblockade. Nur ein paar Personen blockierten jeweils für kurze Zeit, dann kamen die nächsten. Die Bundeswehr und die Polizei wußten vorher Bescheid und hatten ihren Fahrbetrieb weitgehend eingestellt. Im ersten Verfahren vor dem Münsinger Amtsgericht wurden auch eure Mandanten wegen Nötigung verurteilt. Ja, zusammen mit 30 weiteren Blockadeteilnehmern. Wir, die Verteidiger, waren damals noch Rechtsreferendare und wurden aus der Verhandlung ausgeschlossen. Die Berufungsverhandlung kam dann vors Tübinger Landgericht. Freisprüche wegen der Teilnahme an solchen Blockaden hat es bisher nur selten gegeben. Habt ihr eine neue Prozeßstrategie verfolgt? Bisher wurden Blockierer zwar auch verteidigt, aber diese Verteidigung hängte sich meist an der Frage auf, ob „Sitzen“ überhaupt Gewalt und verwerflich sein kann! Man ist nur selten ins Detail gegangen, Zeugen wurden nur provisorisch befragt. Die Urteile waren dann auch entsprechend gleichlautend: Wer sitzt, nötigt, fertig. Hat der Spruch der Verfassungsrichter vom vergangenen Jahr Einfluß auf euren Prozeß gehabt? Kaum, denn gerade die genaue juristische Betrachtung des Einzelfalls wollten wir ja selbst. Wir wollten das Gericht zwingen, wie in jedem normalen Strafprozeß den genauen Sachverhalt zu ermitteln. Was hat eure Zeugenbefragung von Polizisten und Bundeswehrsoldaten erbracht? Wir konnten nachweisen, daß das Verhalten von Bundeswehr und Polizei ein abgekartetes Spiel war, daß der Polizeieinsatz teilweise Schulungszwecken diente. Polizisten hatten z.B. die Anweisung, mit der Räumung der Blockierer zu warten, bis ein ausfahrender Lkw anhielt bzw. eine „Straftat“ entstand. Wir stellten fest, daß offenbar nicht einmal die Polizei wußte, wann eigentlich eine Nötigung vorlag - wie also sollten das die Demonstran dann einzuschreiten. Wir haben erstmals festgestellt, daß Bundeswehrvorgesetzte ihren Fahrern den Befehl gaben, vor den Blockierern anzuhalten, die Nötigung der Fahrer also von deren Vorgesetzten ausging. Ihr habt deutliche Kritik an der Verteidigung in anderen Blockadeverfahren geübt. Ja, mir ging das bisher zu unauffällig ab. Die Prozesse sind doch wegen der Öffentlichkeit ein Teil der Demonstrationen. Es ist deshalb ganz wichtig, hier politische Argumente vorzutragen und vielleicht sogar Richter betroffen zu machen. Laß ich mich aber auf dieses „Spiel“ ein, dann muß ich versuchen, die Richter ins Unrecht zu setzen, und das erreiche ich sowohl moralisch als vor allem juristisch. Interview: Dietrich Willier

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