Brasilien zeigt den Banken die Zähne

■ Mit einem befristeten Zinsmoratorium will Brasilien die Gläubigerbanken unter Druck setzen / Nächste Woche beginnen neue Umschuldungsverhandlungen / Dramatische Verschlechterung der Handelsbilanz

Von Gabriela Simon

Kurz vor Beginn neuer Umschuldungsverhandlungen hat die brasilianische Regierung ihre Gangart gegenüber den internationalen Gläubigerbanken deutlich verschärft. Wie das brasilianische Fernsehen am Donnerstag abend meldete, wird Brasilien seine Zinszahlungen an die ausländischen Gläubiger für 90 Tage einstellen. Die fälligen Zinsen sollen solange in der brasilianischen Währung, dem Cruzado, bei der Zentralbank deponiert werden. In dieser Zeit will die brasilianische Regierung gegenüber den internationalen Banken ein Umschuldungsabkommen durchsetzen. Das befristete Zinsmoratorium Brasiliens ist der Auftakt zu den wahrscheinlich schwierigsten und konfliktreichsten Umschuldungsverhandlungen seit Jahren. Wenn Finanzminister Dilson Funaro und Zentralbankpräsident Francisco Gros in der kommenden Woche in die USA reisen, um die Gespräche mit den Gläubigern aufzunehmen, werden sie die Bankenvertreter mit weitreichenden Forderungen konfrontieren. Brasiliens Regierung will nicht nur, wie bereits im vergangenen Jahr, Umschuldungen ohne das - sonst obligatorische - Abkommen mit dem IWF durchsetzen. Zusätzlich wird sie auf deutliche Entlastungen bei den Zinssätzen drängen. Brasilien, mit einem Schuldenberg von 108 Milliarden Dollar größter Schuldner der Dritten Welt, konnte im Sommer letzten Jahres ein umfangreiches Umschuldungsabkommen ohne formelle Übereinkunft mit dem IWF erreichen. Noch im Januar dieses Jahres gelang es den brasilianischen Unterhändlern, im „Pariser Club“, dem Zusammenschluß der öffentlichen Gläubiger, ebenfalls unter Umgehung des Währungsfonds, ein Umschuldungsabkommen zu unterzeichnen. Inzwischen hatte sich aber die außenwirtschaftliche Situation Brasiliens dramatisch verschlechtert. Statt der angestrebten zwölf Milliarden Dollar Handelsbilanzüberschuß wurden 1986 nur 9,5 Milliarden erreicht. Im Januar wies die Handelsbilanz mit einem Plus von 105 Millionen Dollar das schlechteste Ergebnis seit 1982 auf. Da allein die Zinszahlungen Brasiliens an die ausländischen Gläubiger jährlich knapp zwölf Milliarden Dollar betragen, sackten die Devisenreserven Brasiliens in den letzten Monaten rapide ab. Ende vergangenen Jahres waren sie auf das niedrigste Niveau seit dem Krisenjahr 1982 gesunken. Damals hatte Brasilien den Canossagang zum IWF antreten müssen. Das Gespenst der Zahlungsunfähigkeit tauchte wieder auf. Schon Ende November letzten Jahres waren angesichts der sich verschlechternden Handelsbilanz drastische wirtschaftspolitische Maßnahmen ergriffen worden. Der bis dahin im Rahmen des Cruzado–Plans verfügte generelle Preisstopp wurde durch deftige Preisaufschläge bei einer Reihe wichtiger Konsumgüter durch brochen. Auf diese Weise sollte Nachfrage abgeschöpft, und damit auch die Handelsbilanz entlastet werden. Ende Dezember beschloß die Regierung ein Importverbot für 2.300 Produkte - eine Maßnahme, die 1982 schon einmal in Kraft gesetzt, zwei Jahre später aber wieder aufgehoben worden war. Gleichzeitig wurde damit begonnen, den Cruzado gegenüber dem Dollar regelmäßig abzuwerten. Inzwischen hat die Abwertungsrate des Cruzado ein Prozent pro Tag erreicht. Mit all diesen Maßnahmen wurde aber der Cruzado–Plan und mit ihm der Preisstopp endgültig zu Grabe getragen. Preiserhöhungen, laufende Abwertungen und die - angesichts der wachsenden Inflationserwartungen - in astronomische Höhen ansteigenden Zinssätze, führten zu einer Erhöhung der Produktionskosten und damit zu einem starken Inflationsdruck. Die Unternehmer drohten schließlich mit einer Kampagne des „zivilen Ungehorsams“, mit Preiserhöhungen auch ohne staatliche Erlaubnis und mit kurzfristigen Produktionsstreiks. Anfang Februar wurde der Cruzado–Plan schließlich offiziell beerdigt. Seitdem existieren drei verschiedene Warenkategorien: Grundnahrungsmittel, deren Preise nach wie vor eingefroren sind, eine Gruppe von 300 Produkten, deren Preise nur mit Einwilligung der Regierung steigen dürfen, und schließlich die restlichen Waren, deren Preise sich auf dem Markt bilden. Von einer „Rückkehr zum freien Markt unter der Aufsicht der Regierung“ sprach Finanzminister Funaro. Aber daß die Aufsicht der Regierung die Entwicklung zu einer dreistelligen Inflationsrate noch in diesem Jahr verhindern kann, daran glaubt heute in Brasilien kaum noch jemand. Aus dem Finanzministerium selbst verlautete, daß die Regierung die Kontrolle über die Inflation verloren habe. Allein für die ersten drei Monate dieses Jahres wird mit einer Rate von 55 Angesichts dieses Nachgebens der Regierung gegenüber den Forderungen der Unternehmerverbände hat der linke Gewerkschaftsverband CUT noch für Februar einen neuen Generalstreik angekündigt. Wenn die brasilianische Regierung in den anstehenden Umschuldungsverhandlungen nicht wesentliche finanzielle Erleichterungen durchsetzen kann, wird sie tatsächlich zu einer harten Sparpolitik umschwenken müssen. Das jetzt Zinsmoratorium hat insofern auch politische Signalfunktion nach innen. Ein einseitiges Zinsmoratorium als Reaktion auf den außenwirtschaftlichen Druck und die damit verbundene wirtschaftspolitische Umorientierung wird seit den Preiserhöhungen im November nicht nur von den linken Gewerkschaften, sondern auch von Teilen der Regierungspartei PMDB gefordert. Auf der anderen Seite können insbesondere die US–Banken durch die Aussetzung der Zinszahlungen von einer Milliarde Dollar monatlich spürbar unter Druck gesetzt werden.