Aufstieg und Fall eines Psycho–Gurus

■ Weil die Italiener zu Okkultismus und charismatischer Persönlichkeit neigen machte „Freud–Nachfolger“ Verdiglione gute Geschäfte / Er bekam jetzt vier Jahre Haft wegen Erpressung, Betrug und Manipulation willensschwacher Menschen

Aus Mailand Werner Raith

Wenn sich Armando Verdiglione zu einem seiner seltenen Lächeln aufrafft, dann, so weiß einer seiner ehemaligen Jünger zu berichten, „muß er zutiefst verstört sein“. Vielleicht ist das Grinsen aber auch ganz normal, wenn er einmal gerade keine seiner imagegepflegten dicken Zigarren im Mund hat - und da er vor Gericht steht, darf er nicht rauchen. Vor Gericht steht er zum wiederholten Mal: Gerade ist der Revisionsprozeß gegen „Italiens charismatischsten Freud–Nachfolger“ (Verdiglione über Verdiglione) abgeschlossen worden. Die Richter hatten offenbar nicht viel für den 42jährigen Psycho–Papst übrig und bestätigten im wesentlichen das Urteil aus erster Instanz von gut vier Jahren Haft: Erpressung, Betrug, Manipulation willensschwacher und entschei dungsunfähiger Personen wurden ihm vorgeworfen. Auf dem Schreibtisch des Vorsitzenden der Parlamentskommission zur Festlegung neuer Normen für psychologische Berufe, Adriano Ossicini, liegen Anträge von genau 734 verschiedenen psychoanalytischen Schulen. Fast alle wollen sich als „legitime Einrichtungen im Sinne Freuds“ profilieren, doch die Behörden sehen bei mehr als zwei Dritteln ganz andere Interessen im Vordergrund. „Die Vorliebe der Italiener für den Okkultismus, für verborgene Kräfte, für Wunder und für charismatische Personen, die diese Wunder vollbringen“, schreibt Panorama, „geht in vielen solchen Zirkeln eine geldträchtige Symbiose ein.“ Bei Verdiglione war das sicher so. Umgerechnet mehr als zwölf Millionen DM soll er mit mehr oder weniger sanften Methoden aus seinen Patienten herausgezogen haben: „Die haben mir das Geld geradezu aufgedrängt“, verteidigt er sich. Kann sein, kann auch nicht sein: Jedenfalls ist mittlerweile davon nur noch ein Restchen von knapp acht Prozent auffindbar, obwohl alles Geld angeblich in gemeinnützige Stiftungen gegangen sein soll. Verdigliones Lächeln ist noch immer da, auch als er das Urteil hört. Aber es ist sichtbar gefroren. „Ich bin zutiefst enttäuscht“, stößt er hervor und beißt sich sogleich auf die Lippen. Wahrscheinlich hatte er sich vorgenommen, überhaupt nichts zu sagen, denn die Sprache gehört zu Verdigliones Schwachstellen: Seit eineinhalb Jahrzehnten hofiert ihn das Aufsteiger–Milieu, konsultieren ihn die feinsten Leute bis hin zur Schwester des Ministerpräsidenten Craxi - doch seinen calabresischen Dialekt ist er nie losgeworden. Und der dient seinen Feinden immer wieder zum Spott. Wahrscheinlich ist es aber gerade der Ausweis solch südlicher Herkunft, der den Aufstieg des Psychoanalytikers im überkandidelten Mailand gefördert hat: Der „Mezzogiorno“ gilt als besonders trächtig für Okkultismus jeglicher Art. Den Menschen werden direkte Beziehungen zu über– oder unterirdischen Kräften nachgesagt, und auf Frauen sollen die Naturburschen auch anderweitig stimulierend wirken, jedenfalls auf diejenigen der „High Society“. Verdiglione hat dieses Image weidlich gepflegt - Brillantine in den Haaren, karierte Jacken mit Goldknöpfen dran, dicke Ringe. Jedenfalls kann der Meister „eine unendliche Reihe hervorragender Persönlichkeiten“ anführen, „die meine Arbeit zutiefst schätzen“. Erbarmungslos beginnt er diese unendliche Reihe bei jeder Gelegenheit zu zitieren: Er hat seine Jünger unermüdlich gesammelt, im In– wie im Ausland, meist in den Zentren der „Verdiglione–Stiftung“ und bei internationalen Kongressen in Tokio, in Jerusalem, in Paris, in New York; Eugene Ionesco gehört dazu, Arrabal, Bukowski, Ellenstein oder Henry–Levy, der aus der „Zugehörigkeit zur Verdiglione“ gleich eine eigene Philosophie machte. Aus dem Ausland kam denn auch die wichtigste Unterstützung für den Gestrauchelten, als ihn im Januar 1985 die Strafverfolger ins Visier nahmen: Von „Inquisition“ war die Rede, von „mittelalterlicher Verfolgung der wissenschaftlichen Freiheit“: eine ganze Seite widmete Le Monde der angeblichen Hexenjagd, Staatspräsident Cossiga erhielt einen indignierten Brief französischer Intellektueller. Auch im Inland wußte Verdiglione ganze Heerscharen auf seiner Seite. Haben nicht 53 italienische Intellektuelle und Politiker öffentlich Hochschätzung für sein letztes Buch ausgedrückt - bis hin zum Ministerpräsidenten Craxi und zu Italiens Dichter Moravia? Heute will kaum einer mehr etwas von der Freundschaft mit dem Guru wissen: Mißerfolg vor Gericht diskreditiert. Verdiglione jedenfalls ist entschlossen, seiner selbsternannten Freud–Nachfolge nun auch noch die Nachfolger „berühmter Märtyrer des Gewissens“ hinzuzufügen. „Gedanken“, hat er dem Staatsanwalt zugerufen, „Gedanken können Sie nicht einsperren.“ „Nein“, hat der darauf gesagt, „aber Betrüger schon.“