I N T E R V I E W Grüne innerparteiliche Demokratie

■ Zur bevorstehenden Kandidatenkür befragte die taz Dany Cohn–Bendit und Jan Kuhnert

taz: Am Wochenende wird die hessische Landesversammlung der Grünen ihre Landtagsliste für die vorgezogenen Neuwahlen bestimmen. Nun gibts Streit, weil die Fundis gesicherte Listenplätze und Minderheitsschutz fordern. Dany Cohn–Bendit: Als Delegierte für die Landesversammlung sind die Fundis ja z.B. in Frankfurt entsprechend ihres prozentualen Anteils im Kreisverband gewählt worden. Die Forderung nach gesicherten Plätzen auf der Landesliste ist absurd. Eine Versammlung ist autonom. Erstmal müssen die Fundis - wer auch immer, genauso die Realos - der Mehrheit der anwesenden Delegierten als Landtagskandidaten gefallen, sich als mögliche Kandidaten durchsetzen. Deswegen ist die Forderung nach sicheren Plätzen nur der Anfang einer elenden moralischen Erpressung, die wir bei der Kandidatenkür in Frankfurt bereits vor zwei Jahren zur Genüge erlebten. Sollen nun Minderheiten der Partei repäsentiert sein oder nicht? Natürlich sollen sie repräsentiert sein. Nur, da stellt sich ein grundsätzliches Problem. Zwischen uns existiert hier ein so großes Mißtrauen, daß man sich in der entscheidenden Frage nicht sicher ist. Wird Fundi x oder y, wenn die Mehrheit der Grünen in Hessen eine Koalition mit der SPD beschließt und sich diese nur auf einen Sitz Mehrheit gründet, wird dann der entscheidende Sitz desjenigen Fundis, der eigentlich gegen die Koalition ist, trotzdem für sie stimmen oder nicht. Man muß das Abstimmungsverhalten von Jan Kuhnert im letzten Landtag sehen. Er hat z.B. einen Antrag auf Abwahl von Joschka Fischer durch die CDU mitgetragen. Er hat immer - und das ist ihm unbenommen - argumentiert, daß er das Bündnis aufgrund seiner moralischen und politischen Überzeugung nicht mehr mittragen kann. Mit diesem moralischen Argument können die Fundis oder wer auch immer sagen, sie können, sie werden für die Koalition nicht stimmen, weil das der Einstieg in den Teufelspakt wäre. Dieses Problem ist unlösbar. Jetzt versuchen sie über bürokratische Tricks zu verhindern, daß die Landesversammlung eine Wahlaussage macht, und das, obwohl die Versammlung eine Woche nach der Auflösung des Landtags einberufen werden muß. Gegen solche Bürokratenköpfe, gegen solches Verhalten in der Partei ist Mißtrauen gerechtfertigt. Ich sage das gerade auch, weil ich ein Gegner des imperativen Mandats bin. Ich finde, ein Abgeordneter ist nur seinem Gewissen und seiner Überzeugung Rechenschaft schuldig und nicht einer Partei. Nur in dem Fall ist es die Frage, wie eine Loyalität gegenüber der Mehrheit der Partei nicht infrage gestellt wird. Wenn ein Fundi weiß, daß die überwiegende Mehrheit der Landesversammlung für eine Koalition ist, dann soll er nicht kandidieren, um nicht in die moralische Bredouille zu kommen. Jan Kuhnert, die Aufstellung der Landesliste droht ja schon wieder zur innerparteilichen Zerreißprobe zu werden. Wie soll deiner Meinung nach die zukünftige Landtagsfraktion der Grünen aussehen? Jan Kuhnert: Die Grünen vertreten ja in sich unterschiedliche politische Auffassungen. Das ist ihre Stärke gegenüber den etablierten politischen Parteien. Diese unterschiedlichen Auffassungen müssen auch in der parlamentarischen Arbeit zur Geltung kommen. Ich gehe davon aus, daß der Grundsatz, daß sich Grüne nicht nur für gesellschaftliche Minderheiten einsetzen, sondern auch in ihrer eigenen innerparteilichen politischen Kultur politische Minderheiten nicht unterbügeln, sondern ihnen entsprechenden Entfaltungsspielraum geben. Ich gehe davon aus, daß dies auch bei der Aufstellung der Landesliste beachtet wird. Wenn wir von Kultur reden und von demokratischen Verfahren, nach denen solche Landeslisten erstellt werden, dann gibt es dieses ganz konkrete Problem, für das du ein Paradebeispiel bist. Nehmen wir an, die Wahl geht knapp zugunsten der bisherigen Regierungsparteien aus, sie verfügt über eine Stimme Mehrheit. Ein Fundi sitzt mit dieser einen Stimme im Landtag. Besteht da nicht berechtigtes Mißtrauen, daß einer die innerparteilich gefaßte demokratische Entscheidung außer Kraft setzt? Ich habe im Februar 1984, als das Problem auf mich zu kam, öffentlich erklärt, daß unser Verständnis des vertretens von Minderheitsauffassungen heißt, daß wir die Mehrheitsbeschlüsse der Partei achten müssen. An unserer Stimme darf nicht die Mehrheit im Parlament umgekippt werden. Konkret: Sollte es an der einen Stimme liegen, müssen wir den Mehrheitsbeschluß mittragen. Dies gilt nur, wenn die Partei auch zugesteht, daß die politisch abweichende Meinung trotz Handaufhebens im Parlament artikuliert werden kann. Sollte diese Stimme jedoch nicht erforderlich sein, verlangen wir natürlich von der Partei, daß auch das abweichende Votum im Landtag mit Abstimmungen zum Ausdruck kommen kann. mtm