Von der Lust am Widerstand

Hamburg (taz) - Es war während irgendeines der zahlreichen Sommerlager, die Sonne schien, wir gingen baden. Ganz still war es an dem Teich im Elbholz bei Gartow, der zwischen dem Elbdeich und dem alten Eichenwald liegt, wo die Reiher nisten. Bis Heinz Brandt, der alte Anti–Atom– Kämpfer, der nun nicht mehr lebt, sich wie ein begeistertes Kind in das Wasser warf und die Enten und Schwäne kreischend auseinan derflogen. „Das ist das Paradies“, rief er. „Wir müssen es erhalten.“ Hätte ich diese Szene im Kino gesehen, hätte ich mich von diesem „Kitsch“ abgewendet. Aber die Natürlichkeit dieser Bilder hatte eine ganz einfache, unpathetische Überzeugungskraft. Lüchow–Dannenberg ist eine Landschaft, die einem die Kindlichkeit zurückgibt. Wälder, Wiesen, Weite. Versickernde Elbarme, Sumpfgebiete, Storchennester auf den Dächern. Umso härter kämpft man dann gegen die atomaren Betonbauten hinter NATO– Draht und Flutlicht. In zehn Jahren Gorleben habe ich viele solche Glücksmomente wie an dem Elbholz–Teich erlebt. Jedesmal, wenn ich die Landkreisgrenze passiere, schlägt mein Herz ein wenig höher und ich halte nach alten Spuren, neuen Zeichen Ausschau. Jedesmal meine ich die Spannung zu spüren, die zwischen ruhiger Landschaft und unruhigem Widerstand liegt. Viele, die öfter in Gorleben waren, werden es bestätigen: Dort lauert keineswegs nur der Horror des Atomstaats, sondern auch die kribbelnde Lust am Widerstand. Es war durchaus auch aufregend, als man schon ab der Kreisgrenze von Zivilpolizisten verfolgt wurde: Sie gaben einem das Gefühl, wichtig zu sein, gebraucht zu werden. Es war aufregend, konspirative Treffen mit den Machern des illegalen „Radio Freies Wendland“ zu arrangieren oder mit 2.000 bis 3.000 Frauen nächtens kreischend eine Tiefbohrstelle zu umzingeln. Es war aufregend, in der Polizeistation Lüchow die sorgfältig ausgeschnittenen und zur Weitergabe an die Überwachungsbehörden gesammelten taz–Artikel über Gorleben zu entdecken, oder im Büro der Bürgerinitiative die Route der ersten Atommülltransporte auszukundschaften. „Wenn hier die Atomindustrie nicht so imperialistisch eingebrochen wäre“, hat mir einmal eine Aktivistin gesagt, „wären uns viel Terror und Ohnmacht erspart geblieben. Aber wir hätten uns alle nicht kennengelernt und uns vielleicht zu Tode gelangweilt.“ „Es kommt ja immer mal wieder so ein Moment, wo man sich sagt: lohnt sich das überhaupt, laß doch diese Kuhköpfe, laß die Welt untergehen“, formulierte auch die ehemalige BI–Vorsitzende Marianne Fritzen nach der Räumung der Republik Freies Wendland. „Aber das ist vorübergehend. Man weiß innerlich ganz genau, man kann nicht aufgeben...“ Ute Scheub