Eine unendliche Koalitionsverhandlung

■ In der laufenden Berichterstattung gehen den Bonner Journalisten die Worte aus, weil die Politiker beim Versuch, den künftigen Kurs der Koalition herauszufinden, seit drei Wochen auf der Stelle treten / Wechselnde Verhandlungsfronten

Aus Bonn Oliver Tolmein

Den Bonner Journalisten gehen bald die Worte aus. In der laufenden Berichterstattung über die Koalitionsverhandlungen sind die Adjektive „zäh“, „mühselig“, „schwierig“, „hart“, „kontrovers“, „uneinig“, „ungeklärt“ und „stockend“ wg. Abgegriffenheit kaum mehr verwendbar. Die Dauerüberschrift „Zähe Koalitionsverhandlungen in Bonn“ trauen sich nur noch die Kollegen von der FAZ zu gebrauchen. Und die Metapher vom „zähen Ringen“ um welchen Kompromiß auch immer, treibt den Leserinnen wohl mehr Schweiß auf die Stirn, als denen, die im Kanzleramt lustlos zum x–ten Mal die Steuerreform auf die Tagesordnung setzen. Dabei hatte vor der Wahl alles so verheißungsvoll geklungen: diesmal sollten eindeutige Absprachen getroffen werden, damit koalitionsinterne Querelen, wie die während des Wahlkampfes um die Innere Sicherheit oder die Außenpolitik, vermieden werden. Aber nicht nur in Sachfragen wollten die Koalitionspartner sich einiger werden, es war auch nahezu unbestritten, daß es personelle Veränderungen geben würde: in den Ministerien, aber auch in der Fraktionsspitze der Union. Geschlossen in die Offensive gehen - das war es, was die CDU–Strategen im Konrad–Adenauer–Haus nach der Wahl wollten. Das Wahlergebnis hat dieses Vorhaben zwar nicht vereitelt, seinen Protagonisten aber den Handlungsrahmen zumindest vorerst erheblich eingeschränkt. Der Grund dafür ist vor allem in der CDU selbst zu suchen: solange die Partei sich nicht im Klaren über die Ursachen für das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 ist, ver harren die beiden Flügel, die traditionellen und die „modernen“ Rechten, in Abwartestellung. Lieber wird nach interpretationsfähigen Fomulierungen gesucht, als daß jetzt unter Zeitdruck (am 11. März ist Kanzlerwahl), die innerparteilichen Kontroversen ent schieden werden. Daß Heiner Geißlers Versuch in den ersten Tagen nach der Wahl das miserable Abschneiden der Union auf das Konto der CSU zu verbuchen, gescheitert ist, er sich nach einer Intervention Kohls sogar für eine heftige Attacke gegen Strauß entschuldigen mußte, deutet an, daß die Ausgangsposition der traditionellen Parteirechten stärker ist als vermutet. Dafür spricht auch die Wiederwahl des Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger, gegen die es vor der Bundestagswahl im Konrad–Adenauer–Haus einige Vorbehalte gegeben hatte. Selbst der FDP, die als eindeutige Gewinnerin aus der Wahl gegangen ist, eröffnet das Ergebnis nur in beschränktem Maße Handlungsspielraum: die Perspektiven für die anstehenden Landtagswahlen sind keineswegs so rosig, und Helmut Kohl hat noch am Abend der Stimmauszählung deutlich zu verstehen gegeben, daß einer zu selbstbewußt auftretenden Bundes–FDP auf Länderebene erhebliche Schwierigkeiten bereitet werden könnten. Außerdem zeigen die Koalitionsverhandlungen selbst, daß die Verhandlungsfronten keineswegs einheitlich sind: in der Diskussion um die Senkung des Spitzensteuersatzes treten FDP und CSU gemeinsam gegen die CDU an, die diese Senkung auf alle Fälle verhindern will, um ihr „soziales Image“ nicht zu beschädigen. In einem Bereich wie „Innere Sicherheit“ gibt es auch in der FDP unterschiedliche Positionen, so daß hier den Vorstößen der CSU unterschiedlich engagiert entgegengetreten wird: die Erleichterung der Einrichtung von Kontrollstellen in Zusammenhang mit der Schleppnetzfahndung konnte so dem Vernehmen nach durchgesetzt werden, die Schaffung einer neuen Strafvorschrift, die den „Aufruf zum Gesetzesboykott“ unter Strafe stellen soll, dagegen nicht. Aus dieser Situation erklärt sich auch, daß etliche Projekte jetzt grundsätzlich beschlossen werden - ihre konkrete Ausformulierung aber auf die nächsten Monate verschobene wird: dazu gehört eine Novellierung des Ausländergesetzes, eventuell ein umfassendes Datenschutzgesetz, aber auch die Strukturreform im Gesundheitswesen. Am Beispiel der Novellierung des Ausländergesetzes zeigt sich, daß heute noch nicht von einem Erfolg des liberaleren oder rechten Flügels der Koalition gesprochen werden kann: während die CSU in Zusammenhang mit dieser Novelle das Asylrecht weiter beschneiden und die Ausweisung erleichtern möchte, intendiert die FDP eine Verfestigung des Aufenthaltsstatus. Am bemerkenswertesten bleibt deshalb - beim aktuellen Stand - die Anfang der Woche erfolgte Neueinrichtung der Arbeitsgruppen „Schutz des ungeborenen Lebens“ und „AIDS“: Zumindest die - als Ergebnis der § 218 Arbeitsgruppe - Verschärfung der Abtreibungspraxis, der auf Drängen Kohls wohl auch die FDP zustimmen wird, solange am Wortlaut des § 218 nichts geändert wird, ist eindeutig ein Zugeständnis an die traditionellen Rechten in der Partei, wie die „Christdemokraten für das Leben“.