Tanker SPD auf feministischem Kurs?

■ Auf der Suche nach einem sozialistisch–feministischen Selbstverständnis begaben sich Frauen der Jusos und der AsF auf eine Arbeitstagung / Kritik an verkrusteten Parteistrukturen und einem bornierten Programmentwurf / Mit Optimismus in die lila Zukunft?

Von Gunhild Schöller

„Für unsere Arbeit in der SPD bräuchten wir ein Buch über unsere unbekannten Frauen. Über diejenigen, die schon früher radikale frauenpolitische Positionen hatten. Als feministische Sozialistinnen müssen wir unsere verschüttete Tradition finden. Bislang haben wir uns auf die großen, bekannten, angepaßten Frauen bezogen. Das schlägt uns heute ins Gesicht.“ Sich nur auf eine verschüttete Geschichte beziehen zu können -, das ist ein großes Manko in einer Partei, die so viel auf Tradition hält. 130 überwiegend jüngere Frauen trafen sich zu einer Wochenendtagung unter dem Titel „Sozialistinnen im Spagat - zwischen Frauenbewegung und Arbeiterbewegung?“ Organisiert von den Juso–Hochschulgruppen trafen sich Jungsozialistinnen (nicht alle sind SPD–Mitglieder) und Frauen, die bei der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) mitarbeiten. Das gemeinsame Interesse, in der SPD Frauenfragen viel offensiver anzusprechen - und dafür auch anerkannt zu werden, hatte sie nach Köln zur Tagung geführt. Alle von der Frauenbewegung beeinflußt, schien ihnen der Spagat keine passende Haltung. Feminismus und Sozialismus betrachten sie als zusammengehörig. Sie möchten beides: Sozialistin und Feministin in der SPD sein. „Unanständige“ Themen „Als Mensch und Frau wünsche ich mir einen anderen Umgang der SPD mit diesem Thema.“ Sexualität und sexuelle Gewalt sei für die SPD auch heute noch ein „unanständiges Thema“, so Vera Konieczka, die die Arbeitsgruppe „Sexualität/Gewalt in der Diskussion der deutschen Sozialdemokratie“ leitet. Seit 14 Jahren ist Vera Konieczka Sozialdemokra tin, mittlerweile ist sie es gewohnt, immer die „unangenehmen“ (Frauen–) Themen anzusprechen. 40 Frauen scharen sich im Kreis um sie, schauen sie an und warten. Sie macht einen historischen Exkurs über das Sexualleben und die Ideologien über Sexualität während der Kaiserzeit. Da gab es in der Sozialdemokratie die Theorie, Vergewaltiger kämen nur aus dem Bürgertum. Im Proletariat sei das Sexualleben frei und die Beziehungen basierten ausschließlich auf Liebe, da Eigentum als Heiratsgrund ja keine Rolle spiele. Arbeiterinnen berichteten zwar über Vergewaltigungen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz (so z.B. Adelheid Popp in ihren Erinnerungen) durch Bekannte und Kollegen, aber dies blieb ohne Wirkung auf die traditionell patriarchalen Denk– und Handlungsmuster. Die Arbeiterinnen wurden als „überspannt“ bezeichnet und verloren ihren Arbeitsplatz. Zwar wurde der Frau von der Sozialdemokratie ein eigener Geschlechtstrieb zugestanden - im Gegensatz zur Kirche und zum Bürgertum, die sie ausschließlich als passiv betrachteten -, aber niemals wurde gefragt: Was wünscht sich die Frau? „Auf die Idee, daß sie vielleicht auch mal nein sagen möchte, kam man nicht“, so Vera Konieczka, die als Historikerin zu diesem Thema forschte. Aber was bedeutet dieses Wissen heute? Erst in den letzten fünf Minuten kamen die Teilnehmerinnen der AG darauf, sich zu fragen, was sie tun könnten, um die Tabus in ihrer Organisation zu brechen. „Jede Frau, die das Thema sexuelle Gewalt anspricht, muß sich im klaren sein, was dann passiert. Das ist eine Diskussion, die mich bedroht“, meint eine Teilnehmerin. Aber nichts ist klar, kaum eine hat es schon ausprobiert. Und bedrohlich scheinen auch mehr die Ortsvereinsfürsten und ihre Kumpanen, weniger die Diskussion. Da besteht eher die Gefahr, daß sie gar nicht zustande kommt, sondern von vornherein abgeblockt wird. „In unserem Ortsverein finden kaum inhaltliche Diskussionen statt“, erzählt eine Teilnehmerin, die ich beim Kaffee danach frage, ob sie sich solch eine Auseinandersetzung vorstellen könne. „Da ist es besonders schwierig, solch ein Thema anzusprechen“, sie lächelt mich etwas gequält an und zieht die Augenbrauen hoch. Wie die Ängste überwunden werden könnten - das war an diesem Samstag nachmittag kein Thema. Alles wunderbar? Entschieden und kämpferisch - so wie sie es sich immer wünschen - waren die feministischen Sozialdemokratinnen am Sonntag vormittag. Anke Martiny (MdB), Prof. Annette Kuhn (Historikerin an der Uni Bonn) und Ruth Winkler (Juso–Bundesvorstand) diskutierten über den Irsee–Entwurf für ein neues SPD–Grundsatzprogramm (nach dem Tagungsort der Programmkommission in Irsee, Allgäu, genannt). Anke Martiny, mit sympathischem Kurzhaarschnitt ohne Dauerwelle, im grauen Hosenanzug und mit der obligatorischen Perlenkette über der hellblauen Bluse, steht erst mal auf, damit auch die hintersten Reihen sie noch sehen. Geschickt flicht sie einige wesentliche biographische Daten (drei Kinder, seit 72 im Bundestag) in ihr Statement ein, so daß ich das Gefühl habe, sie doch schon ein bißchen besser zu kennen als die anderen auf dem Podium. Anke Martiny findet alles wunderbar. Da stehe im Entwurf, der ab 1988 das Godesberger Programm ablösen soll, daß die SPD bei sich selbst anfangen und den Frauen in der eigenen Partei mehr Rechte einräumen wolle. Und das fünfte Kapitel mit dem Titel „Frau und Mann: Gesellschaftliche Gleichheit“ ende mit dem schönen Satz - ihre Stimme schwingt optimistisch - „Wer die menschliche Gesellschaft will, muß die männliche Gesellschaft überwinden.“ Wie frau das macht? Das sagt Anke Martiny nicht, und das steht auch nicht im Programmentwurf. Ruth Winkler ist unzufrieden. „In einem Grundsatz–Programm will ich ganz viel Platz für Frauen, nicht nur ein Kapitel.“ Weibliche Lebenszusammenhänge blieben ausgeblendet. „Als Frau mit einem fünfjährigen Kind komme ich in diesem Programmentwurf überhaupt nicht vor.“ Frauenfreundliches Gewand Annette Kuhn, zwar SPD–Mitglied, aber keine Parteipolitikerin, urteilt scharf: „Haben wir es nicht wieder mit einem antifeministischen Programm in einem frauenfreundlichen Gewand zu tun?“ Frauenfragen seien in einem Kapitel zur Rubrik geworden. „Wenn wir diese Rubrik wegfallen lassen, ändert sich gar nichts“, denn die feministischen Kernsätze seien nicht abgeleitet und von den Analysen im Programm getragen. Die Unterdrückung der Frauen durch die Männer aufzugeben, komme als zentrales Ziel nicht vor. „Das ist eigentlich ein sexistischer Text“, wird sie noch schärfer. „Es kommt immer nur der Mensch, der Bürger, der Arbeiter vor. Das ist eine männlich konzipierte Gesellschaft von der Sprache her.“ Es sei dringend nötig, den gesamten Programm–Entwurf Punkt für Punkt durchzugehen. „Satz für Satz müssen die Frauenfragen, die überall fehlen, eingefügt werden.“ Jetzt weiß auch Anke Martiny, wie die Stimmung hier ist, denn sie sieht, wie die Frauen im Saal immerzu bedeutungsvoll nicken und Annette Kuhn applaudieren. Jetzt wird auch sie kritischer und gibt Tips für Strategie und Taktik des feministischen Eingreifens. „Gezielt und abgesprochen als Gruppe müssen zahlreiche Änderungsanträge gestellt werden (der große Programmparteitag der SPD findet 1988 statt). Die Zeit für positive Veränderungen für Frauen in der SPD sieht sie günstig wie nie. „Jetzt ist die entscheidende Periode. Wenn es uns jetzt nicht gelingt, die verkrusteten Parteistrukturen aufzubrechen, dann können wir einpacken. Das öffentliche Bewußtsein ist zur Zeit sehr groß. Die Wahlergebnisse der Grünen spiegeln ihnen das deutlich wieder.“ Ihnen, damit sind die Parteimacker gemeint. Nebenbei plaudert sie ein paar interessante Interna aus: Der Programm–Entwurf sei im wesentlichen von Erhard Eppler geschrieben, der sei Mann und schon über 60. An vieles habe der einfach nicht gedacht. Vehikel und Chance Für die Frauen im Saal ist klar: Dieser Programmentwurf ist für sie als feministische Sozialistinnen unmöglich. Aber - auch darin sind sie sich ohne Diskussion ganz selbstverständlich einig - er ist auch eine Chance. Die Programmdebatte, die überall in der SPD jetzt beginnt, ist für sie ein Vehikel, um endlich über neue Inhalte reden zu können. Sie sind nicht resigniert und nicht entsetzt, sondern optimistisch. Sie streiten sich nicht über Details, denn sie wissen , daß sie als Feministinnen in der SPD verschwindend wenige sind. Sie wissen noch nicht genau wie, aber sie wollen über Gespräche, Debatten und Anträge ein anderes Grundsatzprogramm, das dann für die nächsten 20 Jahre halten soll, durchsetzen. „Diese Programmdiskussion muß ganz hoch gehängt werden“, fordert eine aus dem Publikum, „mit viel Konfliktbereitschaft muß der Kampf erst mal aufgenommen werden, bevor wir die Flinte ins Korn werfen. Wenn wir erkennen, daß wir jetzt gewinnen müssen, falls wir nicht für die nächsten 20 Jahre einpacken wollen - dann müssen wir jetzt ran!“