Krebs wuchert durch Atomkraft

■ Britische amtliche Langzeitstudie bestätigt Trend zu überhöhten Krebsraten in der Nähe von Atomanlagen Regierung wollte Studie vor der für heute geplanten Unterhausdebatte über AKW Sizewell zurückhalten

Aus London Rolf Paasch

Eine im Auftrag der britischen Regierung verfaßte medizinische Langzeitstudie unterstreicht bisherige Annahmen über einen positiven Zusammenhang zwischen Krebserkrankungen und Atomanlagen. In neun der zwölf untersuchten „atomaren Umfelder“ in der Nähe von Atomanlagen lag die Zahl der Krebserkrankungen über dem nationalen Durchschnitt. Die bis 1959 zurückgehende Studie weist im einzelnen Korrelationen auf, die sich je nach Alter der untersuchten Bevölkerungsgruppe, Beobachtungszeitraum sowie der Art der Atomanlagen unterscheiden. Während in der Region um die umstrittene WAA von Sellafield eine überproportionale Leukämierate auftritt, liegen bei anderen Atomanlagen andere Krebsarten über dem nationalen Durchschnitt. Bereits der 1984 veröffentlichte „Black–Report“ hatte in der Nähe von Sellafield eine um das zehnfache erhöhte Leukämierate unter Kindern konstatiert, die jedoch angesichts der geringen radioaktiven Emissionen damals als „nicht signifikant“ erachtet wurde. Erst eineinhalb Jahre später stellte sich dann heraus, daß jene Emissionen während der 60er Jahre in Wirklichkeit um das 50fache über den angenommenen Werten gelegen hatten. Auch die öffentliche Anhörung zum Bau einer WAA in Dounreay mußte für die schottische Nordküste wissenschaftliche Zeugnisse einer zehnfach überhöhten Leukämierate gelten lassen. Da die neue, zentimeterdicke Mammutstudie der Atomindustrie nicht wie erhofft ein umwelt politisches Reinheitszeugnis ausstellt, hatte die Regierung Thatcher zunächst versucht, ihre Publikation bis nach der am Montag stattfindenden Atomkraftdebatte des Unterhauses hinauszuzögern. Dort soll über die Inbetriebnahme des neuen Atomkraftwerkes von Sizewell entschieden werden. Eine nichtssagende Zusammenfassung der Krebsstudie von einer Seite Länge sollte den Parlamentariern genügen. Erst der politische Druck von den Oppositionsbänken zwang die Regierung dann doch zur Veröffentlichung des gesamten Berichts. Aber auch im Lager der Atomkraftgegner wurde Kritik an der Studie laut. Mit dem gleichen wissenschaftlichen und finanziellen Aufwand, so vermutet der Atomexperte der Umweltorganisation Steward Boyle, „hätten viel eindeutigere Aussagen erreicht werden können“: „Die haben ja nicht einmal nach dem Richtigen gesucht.“ Foto: ap