Zweifel an Täterschaft der Roten Brigaden

■ Der blutige Überfall auf einen Geldtransporter wurde in Italien sofort politisch genutzt / An der These, die Roten Brigaden steckten hinter den Anschlägen, gibt es jedoch ernsthafte Zweifel / Selbst offizielle Verlautbarungen werden vorsichtiger formuliert

Aus Rom Werner Raith

Für die Presse und die Politiker war schon wenige Minuten danach klar: mit dem mörderischen Anschlag auf den Millionen–Geldtransport von Rom am 14. Februar waren die „Roten Brigaden“ wiedererstanden, nach langer Pause, in der man sie schon „besiegt sah“. Belege dafür schienen sich nach allgemeiner Ansicht schnell zu häufen: der Überfall, bei dem zwei Eskortebeamte getötet wurden, zeigte „völlige Identität“ (so Innenminister Scalfaro) mit der Moro–Entführung 1978; wenige Stunden danach gab es zwei Bekenneranrufe der Roten Brigaden; außerdem sollen zahlreiche, soeben wegen angeblicher Distanzierung vom „Bewaffneten Kampf“ aus der Haft entlassene Ex–Brigadisten mit dem Anschlag in Verbindung zu bringen sein. Zudem haben in dieser Woche auch einige Angeklagte des dritten Großprozesses gegen die Roten Brigaden die „Verantwortung für den Anschlag“ übernommen; gleichzeitig kündigte ein Anrufer bei der Zeitschrift LEspresso ein vierseitiges Schreiben der „Brigate rosse“ an - das aber, obwohl der „Fundort“ nur ein paar Schritte neben der Redaktion lag, unmittelbar zuvor von Beamten der Kriminalpolizei „Digos“ sichergestellt wurde. Viele Gruppen und Interessenkreise versuchten bereits kurz nach dem Überfall, ihr Süppchen mitzukochen. So forderten konservative Politiker, Staatsanwälte und Polizeisprecher die Rücknahme soeben gesetzlich beschlossener Hafterleichterungen für „Abspalter“ vom „Bewaffneten Kampf“. Tatsächlich wurden seit dem Überfall sämtliche weiteren Freilassungen gestoppt; der Christdemokratische Innenminister Scalfaro verkündete, daß es keinen Automatismus mehr geben dürfe, sondern „jeder Fall erneut und unter Beachtung der neuerlichen Vorfälle gewertet werden müsse“. Die sensibleren unter den Politikern blasen jedoch bereits zum Rückzug. Ihre Zweifel scheinen auch mehr und mehr Substanz zu bekommen: so verweist z.B. selbst der federführende Ermittlungsrichter Sicas darauf, daß die meisten bisher zur Ausgangslage hinzugewonnenen Erkenntnisse „in Richtung gewöhnlicher Kriminalität“ führen: die Pistolen wurden von einer Waffendiebesbande in einer Kaserne entwendet; die Methode des Anschlags wurde über ein Dutzend mal auch von Gangsterbanden verwendet. Überdies haben Rote Brigaden bei bloßen Geldbeschaffungsaktionen bisher noch nie getötet; und obwohl einem der Täter die Maske vom Gesicht fiel, konnten die Zeugen in keiner Fotokartei einen ähnlichen Brigadisten oder Sympathisanten entdecken. Auch die Bekenner–Dokumente werfen Fragen auf: die bei den Anrufe einige Stunden nach dem Überfall haben unterschiedliche Namen für die zuständige Gruppe genannt; das für LEspresso bestimmte vierseitige Schreiben ist ein ziemlich naiver Verschnitt aus teilweise sechs bis acht Jahre alten Dokumenten der Roten Brigaden. Die Erklärung der Rotbrigadisten im Großprozeß wiederum kam reichlich spät und weist ihrerseits wiederum kaum Parallelen zu dem Brief an LEspresso auf. Die „weitgehende Aufklärung“, an sich schon für diese Woche angekündigt, wird wohl noch einige Zeit auf sich warten lassen.