Willy Brandt: „Schont die Grünen nicht“

Sprendlingen(taz) -Außer über einen Witz des Parteivorsitzenden Brandt, in dem er „Molkeminister“ Wallmann als den Breshnew der CDU darstellte, gab es für die 246 Delegierten des Listenparteitages der Hessen–SPD am Samstag nicht viel zu lachen, vor allem nicht für die sozialdemokratischen Frauen. Für sie wiederholte sich auch diesmal wieder das seit Jahren auf dem SPD–Spielplan stehende Drama mit dem Titel „Platzhirschprinzip“, mit dem es die sozialdemokratischen Männer - trotz gegenteiliger Parteitagsbeschlüsse - wieder einmalschafften, die engagierten Frauen von den Futterkrippen fernzuhalten. Der Landesvorstand hatte den Delegierten eine Landesliste zur Verabschiedung vorgelegt, die von den Frauen erbost als „Naturschutzpark für bisherige Mandatsträger“ bezeichnet wurde. Die „Glaubwürdigkeit der SPD in Frauenfragen“ stehe auf dem Spiel, meinten nicht nur Heidi Wieczorek–Zeul und die bisherige Landtagsabgeordnete Heidi Streletz. Auch Wissenschaftsministerin Vera Rüdiger, im „Nebenberuf“ (noch) Beauftragte der hessischen Landesregierung für Frauenangelegenheiten, forderte die Einlösung des sogenannten 25 Bundesparteitag in Nürnberg verabschiedet hatte. Nach dem Beschluß sind bei der Aufstellung von Listen zu Kommunalwahlen, Landtags– und Bundestagswahlen die Frauen zu einem Viertel zu berücksichtigen. Doch an der „Glaubwürdigkeit der SPD“ lag dem Parteitag am Sonnabend nicht allzuviel: Mit satter Mehrheit stimmten die „Platzhirsche“ - unter Führung von Justizminister Herbert Günther - einen Änderungsantrag der Frauen vom Tisch, der der Quotierung zum Durchbruch verhelfen sollte. Eingeschränkte Genehmigung für ALKEM Und noch in einer anderen „Glaubwürdigkeitsfrage“ kehrte die Hessen–SPD bisherige Beschlüsse unter den Teppich der Zeitgeschichte. Daß die Hanauer Plutoniumfabrik ALKEM - nach dem Willen des sozialdemokratischen Wirtschaftsministers Ulrich Steger - noch zehn Jahre lang plutoniumhaltige MOX–Brennelemente herstellen darf, ist seit dem vergangenen Sonnabend offizielle Parteilinie. In seiner Grundsatzrede stellte der mit 232 Delegiertenstimmen (96 „offiziell“ zum Parteivorsitzenden und Ministerpräsidentenkandidaten der Hessen–SPD gekürte Hans Krollmann fest, daß die Landesregierung im Januar eine Entscheidung getroffen habe, die in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht stehe: „Wir genehmigen der Firma ALKEM für eine Übergangsfrist die Verarbeitung einer eingeschränkten Menge Plutonium. In zehn Jahren muß dann Schluß sein mit dieser Produktion.“ Klaus Traube, einst Wegbereiter in der rot–grünen Verhandlungskommission für den Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft, verließ vorzeitig ohne Wortmeldung resigniert den Parteitag. Daß die Problematik der Plutoniumverarbeitung, die zum Bruch der rot–grünen Koalition in Wiesbaden führte, anschließend nicht einmal mehr im sogenannten „Wahlaufruf“ der SPD auftauchte, brachte dann einige Delegierte aus der „linken Ecke“ doch noch in Harnisch. Sie legten einen Änderungsantrag zum „Wahlaufruf“ des Landesvorstandes vor, der zum Inhalt hatte, daß die Landesregierung - sollte es wieder eine unter Führung der SPD sein - alle zur Verfügung stehenden Mittel auszuschöpfen habe, um eine ALKEM–Genehmigung zu verhindern. Mit einiger Mehrheit stimmten die Delegierten diesen Änderungsantrag in den „Wahlaufruf“. Doch Hans Krollmann, der daraufhin noch einmal in die „Bütt“ ging, stellte klar, daß dies lediglich die „Zielvorstellung eines SPD–Parteitages“ sein könne. Er jedenfalls sei nicht bereit, eine solche Passage etwa in einem Regierungsprogramm zu unterschreiben. Grüne schuld am Ende der Koalition Mit dieser Feststellung hat der 57jährige Hans Krollmann die Hürde für mögliche Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen nach dem 5. April äußerst hoch gelegt. Denn zeitgleich zum SPD–Parteitag in Sprendlingen entschieden die Delegierten des Parteitags der Grünen in Bergen– Enkheim, daß die Nichtgenehmigung von ALKEM die Voraussetzung für die Fortsetzung der sozial–ökologischen Koalition zu sein habe. Die „Grünfresser“ aus den Reihen der SPD witterten denn auch Morgenluft. Der Darmstädter Oberbürgermeister Metzger verstieg sich gar zu der Feststellung, daß die SPD ihre Grundsätze verleugnen würde, sollte es im April tatsächlich zu einer Neuauflage der rot–grünen Koalition kommen. Zuvor hatten bereits Holger Börner und Willy Brandt die „Marschrichtung“ festgelegt, obgleich gerade Börner vom gastgebenden südhessischen Bezirk mit einem roten Rücksack beschenkt wurde, den der Parteisoldat „nur zum Wandern“ benutzen dürfe. Börner schob den Grünen die Schuld am Koalitionsbruch in die Schuhe. Die Grünen seien mit dem „Vorschlaghammer“ gegen die „Architektur einer neuen Politik“ angerannt, denn die Erfolge bei der Bundestagswahl seien der Partei zu Kopf gestiegen. Mehrheit jenseits der Union war keine Liebeserklärung „Schont die Grünen nicht“, meinte auch Willy Brandt. Seine Feststellung nach der Hessen– Wahl 1982, daß es eine Mehrheit jenseits der Union gäbe, sei keine Liebeserklärung an die Grünen gewesen, sondern lediglich eine „statistische Randbemerkung“. Auch Spitzenkandidat Hans Krollmann wies den Grünen die Schuld am Koalitionsbruch zu. Der ALKEM–Konflikt sei allerdings „Schnee von gestern“, und die SPD müsse sich jetzt den „Herausforderungen der Zukunft“ stellen: „Wir Sozialdemokraten kämpfen um die Mehrheit.“ Erneut kündigte Krollmann, falls es die SPD alleine nicht „schaffen“ sollte, das Gespräch mit allen demokratischen Parteien an. Der Rest war dann sozialdemokratische Parteitagsregie: Brandt umarmte Börner, Börner umarmte Krollmann und die Troika der alten und neuen Spitzenmänner umarmte sich abschließend wechselseitig. Der Parteitag spendete minutenlag stehend Ovationen. Als zum Abschluß 250 heisere Kehlen das alte Arbeiterlied: „Mit uns zieht die neue Zeit“ anstimmten, fragten sich im Foyer einige SPD–Frauen und -Linke, ob die „neue Zeit“ nicht vielleicht doch bereits an der SPD vorbeigezogen sei. Klaus–Peter Klingelschmitt