Die Quadratur des rot–grünen Kreises

■ Grüne votieren für Neuauflage einer rot–grünen Koalition in Hessen / SPD will allein zurecht kommen

Getrennt bereiteten die Partner von einst den Weg zu den vorgezogenen Wahlen. Joschka Fischer und seine realpolitischen Mitstreiter votierten mit zwei Drittel der Stimmen für eine neue Zusammenarbeit mit der SPD. Voraussetzung ist aber der Ausstieg aus der Plutoniumwirtschaft. Die SPD will das im Prinzip auch, jedoch nicht so eindeutig. Die Forderung, alle Möglichkeiten zur Stillegung der Hanauer Plutoniumschmiede zu nutzen, wollte Krollmann ins Regierungsprogramm nicht übernehmen.

Stilübergreifend ausgestattet, zwischen Postmoderne und Brauereiausstattung, steht das Bürgerhaus des Frankfurter Stadtteils Bergen direkt neben der Hauptstraße. Der Ausflugsort mit seinen Apfelweinschenken hat sich den Bau noch schnell genehmigt, ehe er nach Frankfurt eingemeindet wurde. Zweieinhalb Stunden später als vorgesehen begann dort am Samstag mittag die grüne Schlacht um die Plätze auf der Liste der Landtagskandidaten. Glatteis und Schneematsch hatten die nordhessischen Delegierten auf ihrem Weg durch die Kasseler Berge aufgehalten. In der Eingangshalle hängt eins der neuen Plakate für die Neuwahlen am 5. April. Oberlehrer Lempel hebt den Zeigefinger und verkündet: „Wie wohl ist dem / der dann und wann / die Grünen wieder wählen kann.“ Diese Abwandlung Wilhelm Buschs, an die hessischen Wählerinnen und Wähler gerichtet, klänge treffender mit dem Griff an die eigene grüne Nase: „Wohl ist Grünen dann / wenn jeder Mann sich selber wählen kann.“ Daß der Machtkampf zwischen Realpolitikern und -politikerinnen angesagt war, hatte niemand anders erwartet. Daß sich aber die männlichen Realpolitiker derart kräftig und öffentlich um die vorderen Plätze rangelten, steigerte den Unterhaltungswert der Versammlung. Am späten Nachmittag schleppt sich die Redeschlacht um die Wahlordnung dahin. Die Fundamentalisten fordern ein Drittel der Listenplätze. Die stehen ihnen zu nach der Landeswahlordnung vom Februar 1982. Im Foyer dreht ein Schäferhund durch, er dreht sich im Kreis und beißt sich ausdauernd in den Schwanz. Die Realpolitiker sind gereizt, die Fundamentalisten pessimistisch, einige SPDler stehen belustigt am Rande. Dort haben auch die Jungdemokraten ihren Stand aufgebaut. Ihre Plakate könnten glatt von den Grünen sein. Die interessiert das aber nicht. Der Stand bleibt leer. Die Versammlung hebt den „Minderheitenschutz“ auf. Auch die Rotation ist kein Thema mehr. Um 17.10 Uhr gehen die Scheinwerferlichter an. Punkt 6 der Tagesordnung ist aufgerufen: die Vorstellung der Kandidaten. Ein Antrag, die Kandidaten sollten sich am besten gar nicht vorstellen, wird mit großer Mehrheit abgelehnt. Einer, der sagt, „Altbewerber“ dürfen nur fünf Minuten reden, „Neubewerber“ zehn Minuten, scheitert ebenfalls. Alle dürfen jeweils nur fünf Minuten ans Mikrophon. Das reicht aber aus, um sich gegenseitig madig zu machen. Die Parteiflügel flattern heftig. Die Befragungen sind hochnotpeinlich. Jede und jeder rechnet Sündenregister aus. Der häufigste Vorwurf: Du hast Dich an Deiner Basis so und so lange nicht blicken lassen, bist nicht im Arbeitskreis gewesen, hast das Votum Deines Wahlkreises, Deiner Kreisversammlung usw. usf. nicht. Da nimmt sich der Vorschlag des fundamentalistischen Originals „KDM“ fast freundlich aus. Iris Blaul und Priska Hinz möchten doch bitte mal „zwei Jahre pausieren“. Iris Blaul befindet knapp: „Dafür fühle ich mich noch zu fit.“ Dorli Rauch, die die Grünen im Zorn verlassen hatte, als der Rotationsbeschluß abgeschafft wurde, hat es schwer, dies zu erklären. Ein Blick über die Schultern fundamentalistischer Delegierter zeigt: Sie ist deren Wunschkandidatin. Gegen 18 Uhr gehen die belegten Brötchen aus und die ersten Wahlurnen durch den Saal. Iris Blaul setzt sich mit 284 Stimmen gegen zwei Mitarbeiterinnen durch. Hartnäckig hält sich das Gerücht, daß der Ex–SPDler Manfred Coppik einen Listenplatz erobern will. Dann steht „das Duell“ an: Joschka Fischer contra Manfred Zieran. Fischer stellt sich lakonisch vor: „Bis zum 9. Februar war ich Umweltminister.“ Seine Eigenwerbung: „Es ist wahnsinnig wichtig, daß wir einen guten Wahlkampf machen.“ Carlo Heppner, der seine Gegenkandidatur mit seinem „Mitleid mit den Kindern“ begründet, präsentiert einen Kleiderbügel, „in vielen Familien ein Folterinstrument“. Heppner, der seit Jahren ein grünes Kinderprogramm fordert, fiel durch. Manfred Zieran fährt schweres Geschütz auf. Er stehe für „die großen Schritte“, nicht für so kleine wie die Erfolge in der Ausländer– oder Frauenpolitik, und „für die Abschaffung des Kapitalismus“. Und dann die unvermeidliche Befragung. Die Frankfurter Schwulengruppe greift Fischer an. Sie verleiht ihm „den grünen Jute–Pariser“ für „die dümmste Bemerkung zu AIDS“. „In diesen Zeiten“, soll er gesagt haben, wolle er Oskar Lafontaine besser „nicht umarmen“. Einer behauptet, die grüne Landtagsgruppe sei „mit der Industrie verfilzt“. Irmgard Kohlhepp, die sich selbst „Apo–Oma“ nennt, geht Zieran an. Sie schilt gegen den neuen Namen der fundamentalistischen Zieran–Gruppe: „Linke in den Grünen“. Einen Stock tiefer, im Lokal „Bierkeller“, hoffen die Fußball– fans auf einen Fernseher. Oben drischt Elmar Diez von der Hanauer Bürgerinitiative gegen alle anderen. Fischer kontert energisch. Er entschuldigt sich. Zuerst bei den Schwulen, dann bei der Hanauer Bürgerinitiative ein bißchen. Ob er sie einmal „eine bescheuerte Fundi–Initiative“ genannt hat, vermag er nicht mehr so genau zu erinnern, schließt das aber nicht aus. Die leidige „Gewaltfrage“ nimmt er ernst. Die 68er Revolte sei nicht gewaltfrei gewesen. Er habe gelernt: „Wer Gewalt ausübt, wird entweder zum Opfer oder lädt schwere Schuld auf sich.“ Manfred Zieran redet lange. Raus aus allem will er, und das sei machbar, Fischer habe es nur nicht getan. Der murmelt: „Dann bin ich dafür, daß du Minister wirst!“ Dann verteidigt er „Gewalt gegen Sachen“ als Widerstandsform, die sich nicht „mit der RAF in eine Ecke stellen“ lasse. Durchsetzen gegen Fischer kann er sich nicht. Ganze 160 von 549 Stimmen bekommt er, Fischer wird mit 384 gewählt. Der Abend geht mit der Vorstellung der Kandidatinnen für Platz drei zuende. Fünf gehen auf das Podium, unter ihnen wieder Priska Hinz. Überraschungskandidatin ist die nach Hessen gezogene Bundestags–Grüne Hannegret Hönes. Am nächsten Mittag sind die Vorstellungen für den vierten Platz noch nicht abgeschlossen. Elf Kandidaten stehen zur Wahl. Copik ist dabei. Heide Platen