Wer befreit Sri Lankas Jaffna–Halbinsel?

■ Neue Großoffensive der Regierung in der tamilischen Guerillahochburg im Norden / Die „Tigers“ können „befreite Zone“ wirtschaftlich nicht sichern / Lebensmittelblockaden sollen den Rebellen schaden / Indien setzt Colombo unter Druck, den tamilischen Regionen innere Autonomie zu gewähren

Von Walter Keller

Der gedämpfte Optimismus, der sich Ende letzten Jahres nach den Verhandlungen zwischen singhalesischen und tamilischen Politikern in weiten Teilen Sri Lankas breitzumachen begann, ist in diesen Wochen vollständig verflogen. Mit einer Großoffensive hab „Liberation Tigers of Tamil Eelam“ (LTTE) erst kürzlich zur befreiten Zone erklärt worden war, ist heftig umkämpft. Im Osten und Nordwesten hat die Regierung ihre Truppenverbände wieder verstärkt, ein über Jaffna verhängter Wirtschaftsboykott hat die Situation für die Zivilbevölkerung zusätzlich verschärft. Die Tigers, so zeigt sich jetzt, sind einer Illusion aufgesessen. Noch Ende letzten Jahres hatte die LTTE medienwirksam die Übernahme von administrativen Aufgaben für das angeblich befreite Jaffna verkündet. Ab Januar sollten Lizenzen für Fahrzeuge ausgestellt, Briefmarken gedruckt und eine spezielle „Tigerpolizei“ zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung auf der Halbinsel eingesetzt werden. Die LTTE glaubte, sie hätte den Bewegungsspielraum des Militärs hinreichend eingeschränkt, um den nächsten Schritt in Richtung eigener Tamilenstaat zu wagen. Andere tamilische Guerillagruppen, die die Tigers kritisierten, wurden kaltgestellt. (siehe Kasten) Blockade am Elephantenpaß Die Gefechte der letzten Wochen liefern jetzt den Beweis dafür, daß sich ein Gebiet wie Jaffna mit Guerillamethoden nur sehr begrenzt sichern läßt. Mit oder ohne Tigers benötigen die rund 830.000 Einwohner des überwiegend trockenen Nordens pro Monat 7.000 Tonnen Reis, 660 Tonnen Zucker, 6,4 Mio Tonnen Kokosnüsse und drei Mio. Liter Treibstoff aus dem Süden, um wirtschaftlich zu überleben. Und genau hier machte die Regierung in Colombo Anfang Februar klar, daß sie nicht gewillt war, den Norden aufzugeben: als erstes wurden die Treibstoff– und Feuerholzeinfuhren gestoppt, inzwischen hat sich der Boykott auch auf Lebensmittel und Medikamente ausgeweitet. In der vergangenen Woche berichtete ein Korrespondent der in Indien erscheinenden Tageszeitung The Hindu, daß sich die Versorgungslage dramatisch verschärft habe. Alle Transporte über Land würden mittlerweile am sogenannten Elephant Pass, einer schmalen Landzunge, die den Zugang zur Halbinsel ermöglicht, abgefangen; lange Schlangen von Lkws hätten sich dort gebildet. Wegen fehlenden Feuerholzes müßte die Bevölkerung vielerorts ihre Mahlzeiten bereits ungekocht essen. Am schlimmsten betroffen seien die zahlreichen Jaffna vorgelagerten Inseln. Neue Luftangriffe Militärisch war die relativ kampflose Zeit der letzten Monate eher eine Ruhe vor dem Sturm als ein Triumph der Guerilla. Die Truppenverbände wurden verstärkt, neue Militärstützpunkte im Norden und Osten errichtet und der bereits eine Milliarde Mark umfassende Verteidigungsetat um weitere 160 Mio. DM aufgestockt. Nach Angaben der indischen Zeitschrift India Today kamen Anfang Februar auch noch zehn Transportflugzeuge vom Typ Yun aus der VR China an. Um die Soldaten bei Truppenverlagerungen vor Anschlägen zu schützen, bediente man sich einer neuen Taktik: Truppentransporte werden jetzt grundsätzlich in privaten Fahrzeugen oder Bussen durchgeführt, in denen auch Zivilisten unterwegs sind. „Reisende werden regelrecht als Geiseln genommen“ berichtete zum Beispiel ein Mitglied eines Bürgerkomitees in Batticaloa an der Ostküste in einem Telefoninterview. Flugzeuge und Hubschrauber der Luftwaffe schüchtern die Bevölkerung wieder mit Bombardements ein. Viele Gebiete wurden von Soldaten durchkämmt. In der im Nordwesten liegenden Provinzstadt Mannar sollen Flüchtlingslager zwangsweise aufgelöst und die Bewohner vertrieben worden sein. 6.000 Tamilen aus der Gegend um Mannar haben bereits die indische Küste erreicht. Eskalation im Osten Auch in der Ostprovinz, die von der Wirtschaftsblockade nicht betroffen ist, kam es nach Informationen des Bürgerkomitees zu Übergriffen der paramilitärischen Einheiten der Sonderpolizei (Special Task Forces). In einem Dorf sollen 150 tamilische Zivilisten ermordet worden sein. Seither wagen es die Bewohner nicht mehr, die Dörfer zu verlassen, die Ernte verdirbt auf den Feldern. Einen Tag danach ermordeten tamilische Guerillas (man vermutet eine Racheaktion wegen des Massakers) ebenfalls im Osten 27 singhalesische Zivilisten. Erst seit wenigen Tagen, als der indische Premier Gandhi den lankanischen Präsidenten Jayewardene ultimativ aufforderte, die Militäroperationen zu beenden, ist vorübergehend wieder Ruhe eingekehrt. Die Regierung in Colombo spricht von einer „zweiwöchigen Kampfpause, um den Soldaten etwas Ruhe zu gönnen“. Vielmehr wird es wahrscheinlich auch nicht werden, denn am Wochenende lehnten die Tigers das am Donnerstag vorgelegte Angebot der Regierung ab. Zu Beginn der neuen Sitzungsperiode des Parlaments in Colombo hatte Jayewardene erklärt, er würde eine generelle Amnestie für inhaftierte Rebellen in Betracht ziehen, wenn diese die Waffen niederlegten und an den Verhandlungstisch zurückkehrten. Die Guerilla bezeichnete dies als Kapitulationsforderung und stellte klar, daß eine Wiederaufnahme der Gespräche nicht vor Beendigung der Blockade und der Offensive in Frage käme.