Die Probleme der pax syriana in West–Beiruts Chaos

■ Mit dem Einmarsch in Beirut erntet Syrien die Früchte langfristiger Vorbereitungen / Chaos, Lagerkrieg und Entführung werden jedoch auch zur Verantwortlichkeit gehören

Aus Beirut Joseph Kaz

Mit der militärischen Intervention in Westbeirut kann Syrien zwar einen gewissen Erfolg verzeichen, muß sich jedoch auch neuen Problemen und Verantwortlichkeiten stellen. Die Entsendung von 7.000 Soldaten auf den Schauplatz der Kämpfe zwischen seinen bisherigen „libanesischen Verbündeten“ hat einen vorläufigen Schlußstrich unter einen Konflikt gezogen, der die Autorität Syriens in der libanesischen Hauptstadt und seine Bemühungen um eine „pax syriana“ ernsthaft bedrohte. Aber die Machthaber in Damaskus übernehmen mit ihrem Einmarsch eine Aufgabe, an der sich auch schon andere die Zähne ausgebissen haben. Syrien muß jetzt den Wünschen der internationalen und arabischen Meinung Rechung tragen: Ordnung ins libanesische Chaos zu bringen, die Blockade der palästinensischen Flüchtlingslager zu beenden, die radikal–schiitischen Hizballah in den Griff zu bekommen und für die Freilassung der ausländischen Geiseln zu sorgen. Einen politischen Erfolg kann Syrien allein damit einheimsen, daß seine Soldaten in ein Gebiet eingerückt sind, von wo sie im Jahre 1982 im Zuge der israelischen Invasion vertrieben worden waren. Die Rückkehr syrischer Soldaten ist zudem Ergebnis geduldiger Vorbereitungen. Syriens Einflußnahme im Libanon stützte sich seit Februar 1984 auf die Koalition der Schiitenbewegung Amal, der Drusen sowie kleinerer Linksparteien. Doch dieses Bündnis ist in den Kämpfen der letzten Woche endgültig zerbrochen. Die direkte Invasion erfolgte, um das Enstehen einer neuen Allianz zu verhindern, die von der Ablehnung der Amal, Syriens wichtigstem Verbündeten, zusammengehalten wird. Der militärische Rückschlag von Amal durch eine von Drusenchef Junblatt angeführte Koalition aus Drusen, Kommunisten und der sunnitischen Mourabitoun war zugleich die Geburtsstunde dieser neuen Konstellation.Die Schiitenmilizt sieht sich zunehmender Konkurrenz der pro–iranischen Hizballah ausgesetzt und ist politisch im Libanon völlig isoliert. Bei der neuen Bündniskonstellation handelt es sich im Grunde um eine Wiederauflage der Libanesischen Nationalbewegung, einer Koalition mit guten Beziehungen zur Sowjetunion und PLO– Chef Arafat, dem Erzfeind des syrischen Präsidenten. Die syrische Invasion im Jahre 1976 auf seiten der Christen hatte den Gründer der Nationalbewegung und Vater des jetzigen Drusenführers Kamal Junblatt politisch neutralisiert. Junblatt war entschiedener Gegner einer „pax syriana“ und wurde vier Monate nach dem Einmarsch syrischer Truppen ermordet. Damit haben Vergleiche zwischen der jetzigen Invasion und der von 1976 aber auch schon ein Ende. Syrien kann sich heute im Libanon nur auf machtlose libanesische Moslemführer stützen. Selbst die Hochburgen von Amal– Chef Berri wurden in den syrischen Sicherheitsplan miteinbezogen. Im christlichen Lager begleitet ein allgemeiner Aufschrei die Ausweitung der syrischen Besatzung. Drusenführer Junblatt, vermutlich einer der Verlierer, hat immerhin einen größeren Spielraum gegenüber Syrien durchsetzen können. Syrien muß jetzt auch mit der Feindschaft der Hizballah rechnen. Das Vorrücken der Invasionstruppen in deren Hochburgen dürfte schwierig werden. Es ist erst zwei Wochen her, daß eine Gruppe syrischer Soldaten von Mitgliedern der Hizballah entwaffnet wurde. Schließlich wird von den Syrern nun erwartet werden, das Problem der Palästinenserlager zu lösen, die seit Monaten von Milizionären der Amal umzingelt und deren Bewohner vom Hungertod bedroht sind. Für Syrien sind diese Lager ein Stachel Arafats im eigenen Fleisch. Mit einer Entspannung im Lagerkrieg ist daher nicht zu rechnen. Die palästinensische Hochburg Saida im Südlibanon wird vermutlich die nächste Etappe bei dem Versuch sein, das Land der syrischen Kontrolle zu unterwerfen. Schließlich müssen die Machthaber in Damaskus auch der Erfahrung der Bevölkerung mit ihrer Präsenz in den Jahren 1976 bis 1982 Rechung tragen. In Westbeirut ist die Erinnerung an diese Zeit ausgesprochen schlecht. Auf politischer Ebene hatte die Rückkehr zu friedlichen Verhältnissen nicht durchgesetzt werden können. In militärischer Hinsicht hatten sich die syrischen Truppen in Milizen verwandelt, die sich mit dem palästinensischen Widerstand, den linken Organisationen und der Christen–Miliz anlegten. Westbeirut ist kein Ort, der sich leicht kontrollieren ließe. Schon vor dem Ausbruch des Bürgerkrieges 1975 schlugen sich hier alle möglichen Konflikte im Nahen Osten nieder. In der Zeit der syrischen Truppenpräsenz wurde die libanesische Hauptstadt zur Hochburg der palästinensischen Bewegung. 1982 stießen israelische Soldaten beim Einzug auf Widerstand. Schließlich wurden in den nächsten eineinhalb Jahren die multinationalen Truppen der NATO und deren Partner, die libanesische Armee, vertrieben. Die von Milizen beherrschte Stadt wurde überdies zu einem Zentrum des iranischen Einflusses, der sich mit Entführungen und Attentaten niederschlug. Daher fragen sich die Einwohner Westbeiruts heute, ob die Armee eines Landes, das selbst unter der ökonomischen Krise leidet, wirklich in der Lage sein wird, diesem Zustand ein Ende zu setzen.