„Man wird weiter von uns hören“

■ Mit der Bürgerinitiative Lüchow–Dannenberg auf Pressefahrt / Das Gruselkabinett der fertigen Atomanlagen / Zehnjähriges Jubiläum: Anekdoten und gedämpfte Hoffnungen

Aus Lüchow H. Schultze

„Früher einmal waren wir die reichste Bürgerinitiative der Republik. Dann die berühmteste, und nun die älteste - uns gibt es schon seit 13 Jahren.“ Susanne Kamien, die junge Vorsitzende der BI Lüchow–Dannenberg, ist nicht zufrieden. Der kleinste Bus, der am zehnten Jahrestag des „Standorts Gorleben“ eine Gruppe von Journalisten zu einer „Sight–Seeing–Tour“ durch den Landkreis karrt, passiert Langendorf an der Elbe. In diesem Dörfchen, das einst und nun wieder im Raumordnungsplan als Standort für einen Atommeiler ausgewiesen ist, hat sich die Bürgerinitiative gegründet. „Uns wird es auch noch die nächsten zehn Jahre geben“, fährt Susanne Kamien fort. „Zugegeben, es ist ruhiger geworden. Aber zum einen kann man nicht jahrelang mit einer gleichen Intensität Widerstand leisten, und zum anderen sind wir durch die Ereignisse in Wackersdorf ins Hintertreffen geraten. Wenn wir eine Latschdemo in Lüchow machen, ist das für die Presse nicht mehr interessant.“ „Genau“, schimpft Lilo Wollny. „Als Ministerpräsident Albrecht damals Dragahn zum WAA–Standort ernannte und wir erst zu zehnt, dann mit tausend Leuten nach Hannover zogen, sagte uns der NDR, das habe erst einen Nachrichtenwert, wenn wir etwas Spektakuläres machten, zum Beispiel der Frau Ministerin Breuel eine runterhauen.“ „Aber von Veteranentreffen kann hier keine Rede sein“, sagt Undine von Blottnitz, „natürlich wird man weiter von uns hören.“ Die Frauen, „die die BI schon immer regiert haben“ (Susanne Kamien) sind munter wie eh und je. Die Journalisten im Bus beehren: Marianne Fritzen, Ex–Vor sitzende und grüne Kreistagsabgeordnete, Lilo Wollny, Ex–Vorsitzende und grüne Bundestagsabgeordnete, Undine von Blottnitz, Ex–Vorsitzende und grüne Europaparlamentarierin sowie Susanne Kamien und BI–Pressesprecherin Marianne Tritz. Der Mann, der diese Reihe weiblicher Karrieren unterbricht, hat sich wegen Grippe entschuldigt: Hannes Kempmann, Ex–Sprecher der BI und grünes Landtagsmitglied. „Die Männer haben wir immer wieder auf der Strecke verloren, aber die Frauen haben eben Beharrungsvermögen, sie bleiben verbissen auf der Spur des Gegners“, sagt die Europaabgeordnete, die als Landadlige über Jagderfahrungen verfügt. „Aber Bürgerini tiativenarbeit ist ein Kinderspiel gegenüber grünen Fraktionssitzungen“, fügt sie hinzu. Verfolgt von Bundesgrenzschutzautos steuert der Bus das Zwischen– und Endlager an. Die hätten bestimmt nicht so unbehelligt gebaut werden können, wenn man nicht immer wieder durch den Kampf gegen die WAA zuerst in Gorleben und Dragahn abgelenkt gewesen sei, meinen die Aktivistinnen. Die hätte nach alten Plänen schon 1984 in Betrieb gehen sollen: Hier kann sich der Widerstand eine Verzögerung um Jahre anrechnen. Das Zwischenlager jedoch ist fertig, etwa 1.000 Fässer mit schwach– und mittelaktivem Müll strahlen dort vor sich hin - weitere Einlagerungen sind noch durch Gerichtsbeschlüsse gestoppt. Und an der Endlagerstätte, mit Dreifachzaun, Flutlichtanlagen, festinstallierten Wasserwerfern und Videokameras gesichert, wird fleißig gewerkelt. 1992 soll die 2,6 Millionen Mark teure „Erkundung“ des Salzstocks fertig sein, obwohl selbst von der Bundesregierung ernannte Gutachter bescheinigen, der Salzstock sei nicht geeignet. Die letzte Lücke im Plutonium– Kreislauf soll dann noch eine Konditionierungsanlage neben dem Zwischenlager schließen, in der hochaktive WAA–Abfälle und Brennelemente auch aus dem Hochtemperaturreaktor und dem Schnellen Brüter für die Endlagerung zerschnitten werden sollen.