Warhol: „Es ist nichts dahinter“

■ Der blasse Pop-Prinz mit der platingrauen Perücke starb im Schlaf in einem Firstclass-Krankenhaus

Gisela M. Freisinger, Warhol-Beobachterin vor Ort, hatte vor einer Woche ein Interview mit dem „Business-Artist“ gemacht. Als wir sie anriefen, überlegte sie, ob sie die taz anrufen sollte. Zusammen mit Victor ging sie dann zur „Factory“ – 19 East 32nd Street. Dort war ein Fernsehteam dabei „zu schießen“ (to shoot). Weil es ein zu „schlechtes Bild“ war, bauten sie jedoch wieder ab. Gisela M. Freisinger sprach dann noch mit einigen „Fabrikmitgliedern“ und fuhr mit Victor zum Krankenhaus.

Ein unendliches Schrillen säbelt durch den Traum. Nein, das Telefon. Blinzeln zum Wecker. 11.10 Uhr. Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher. Hat man in dieser Stadt eigentlich nie ein Recht auf Schönheitsschlaf? Immerhin ist heute Sonntag. „Hallo?“ „Hey, wach auf und sag mir, daß es nicht wahr ist!“ „Wie Bitte?“ „Andy Warhol ist tot.“ Unmöglich. Vor einer Woche noch habe ich ihn bei Nells gesehen, dem derzeitigen Nachtclub schlechthin. Saß da mit einer göttlichen Schönheit und knabberte Nüsse. Wir haben gespottet: da wird der Pop-Prinz wohl wieder seine vielzitierten Pickel bekommen. Gestern Nacht in der Gold Bar haben wir über ihn geredet und über seine Fernsehshow auf MTV: „Andy Warhols 15 Minuten“. Haben das Cabarett-verdächtige Model hinterm Tresen für ihren Auftritt darin beglückwünscht. Sie hat sich mit einem „wow, das macht Spaß“ bedankt und versprochen, daß sie nächstes Mal wieder eine Perfomance machen wird. Nächstes Mal? Es wird kein nächstes Mal mehr geben. Es ist einer dieser unerträglichen Augenblicke, in denen ein „früher“ beginnt. Niemand hat mir soviel über Andy Warhol erzählt wie Victor Bockriss, der seit vier Jahren daran arbeitet, Warhols (unautorisierte) Biographie zu schreiben, und einst zu seinem engsten Freundeskreis in der „Factory“ gehörte. Eine solche Ausdauer überschreitet meine eigene Geduldsgrenze um Lichtjahre. Warum machst du das, Victor, wollte ich einmal von ihm wissen. Solange du an dieser Biographie schreibst, mußt du doch ganz in ihm aufgehen. „Das habe ich schon hinter mir“, war seine Antwort. „Du weißt nicht, wie es ist, mit Andy Warhol zu leben. Der Mann ist so stark, da bleibt kein Platz mehr für dich. Entweder du bist in seinem Bann oder du mußt ganz wegbleiben. Es gibt kein dazwischen.“ Andy Warhol hat sich schon seit den frühen 60er Jahren mit einer Entourage von jungen Schreibern, Künstlern, Musikern, den ersten „Performance“-Artisten und schönen jungen Mädchen umgeben. Mit Baby Jane Holzer, dem ersten „girl of the year“ der Pop- Ära; mit Edi Sedgwick, die später in der Psychiatrie landete, mit Nico, der eiskalten Blondine aus Deutschland, die Sängerin in Velvet Underground wurde, mit Viva und Velvet, die ihren reichen Familien nicht nur die Rolle der dropouts vorspielten, sondern auch – ganz Objekte der Begierde – in Warhols Filmen zu Superstars werden. „Er hat unserem Leben einen Sinn gegeben“, erinnert sich Victor, der zum Teil mit Schauern über dem Rücken der Zeiten vor dem Attentat gedenkt. Als man nie richtig wußte, ob jemand nur drogensüchtig oder nur Genie war, wo russisch Roulette gespielt wurde und der Kunstbegriff an Andy Warhols Bildern durch Einschußlöcher erweitert wurde. Die Nachrichten berichten vom Tode Andy Warhols auf ihre Art. Berichten vom Künstler und Exzentriker, der Suppendosen und Superstars malte, vom Pop-Papst, der ein schüchterner Mann war, aber die Gesellschaft liebte, von einem, der unernst war, aber ernsthafte Kunst machte. Sorry, leider reimt sich das im Deutschen nicht. Todesursache: der problemlosen Gallensteinoperation folge ein problemloser Herzinfarkt. Im Schlaf. Die diensthabende Schwester stellte den Tod am frühen Sonntag morgen fest. Ein schöner Tod. So banal, wie der „König des Banalen“ ihn möglicherweise gar gewünscht hätte. Ein einsamer Tod. Manche Warhol-Ideen sind von der Einsamkeit getragen. Zum Beispiel jene, als er verkündete, er werde eine Restaurant- Kette – „für Leute wie mich“ – eröffnen, in denen sich keiner zu genieren braucht, alleine daherzukommen. Vielmehr sollte es Prinzip sein, daß jeder mit seinem Tablett in einer Nische verschwindet und sein Mahl vor dem TV verspeist. Nun hat das Fernsehen aus dem Gerücht einen Fakt gemacht, und das Telefon steht immer noch nicht still. Auch der Herr Hilfsredakteur aus Berlin ist dran. Das bringt für ein paar Minuten wohltuende Distanz, weil man seine wirre Betroffenheit in die Ferne abladen kann. Auf meinem Schreibtisch liegt eine Einladung, die mit der Samstagpost ins Haus geflattert kam. Das Design von Andy Warhol. Der Anlaß eine Benefits-Auktion bei Christies für das diamantene Jubiläum der Martha Graham Dance Company. Eine typische New Yorker Idee, veranstalt von typischen New Yorker Kreisen, wo von A (wie Allen, Woody) über P (wie Picasso, Paloma) bis W (wie Warhol, Andy) alle ihre Spendierfreudigkeit für die große alte Dame des Balletts bezeugen. Vor ungefähr einem Jahr, auch anläßlich eines Graham-Benefits, hatte ich Andy Warhol zum erstenmal in Person erlebt. Unter all den Berühmtheiten in glitzernden Abendkleidern und schwarzen Fracks, die sich im kron-beleuchteten Ballsaal des Waldorf-Astoria versammelten, nahm Warhol sich in seiner Jeans und ausgebeulten Lederjacke geradezu wohltuend aus. Warhol, genauso, wie man ihn von den Fotos kennt: blaß und pockennarbig, mit tief aus den Höhlen starrenden Augen, mit platinblond-grauer Perücke, unter der die dunklen Nackenhaare nicht versteckt waren, unbeweglich unter der flanierenden Menge stehend, sich nur – automatenhaft – bewegend, wenn er sein Markenzeichen, die bemalte Kodak vors Auge nahm und – klack – seine Opfer auf Zelluloid bannte. Ich erinnere mich an ein Buch namens „a“, das ich einst meinem zehn Jahre älteren Bruder aus dem Regal geklaut hatte und seiner wütenden Reaktion entnahm, daß es etwas Besonderes sein mußte. Für mich waren an dieser Geschichte um Ondine die Namen, die darin auftauchen, das tollste: Rotten Rita, Sugar Plum Fairy, Taxine, Ingrid Superstar. Alles andere war so unveständlich, daß ich mich nur an zwei skurrile Rätsel erinnern kann. Warum klaut die Duchess 3.000 Pillen und ein Blutdruckgerät und wieso muß Ondine ins Teenager-Bordell? „Ihr Deutsche versteht Warhol viel besser als die Amerikaner, bei euch ist er bei den Intellektuellen anerkannt“, behauptete Viktor. Was mich betrifft, war und bin ich mir da nicht so sicher. Obwohl ich versucht habe, meiner intellektuellen Pflicht nachzukommen. z.B. als ich die marxistische Interpretation von Rainer Crone gelesen habe, derzufolge Warhol ein wahrhaft revolutionärer Künstler ist, weil seine Bilder eine völlige Verdammnis der kapitalistischen US-Gesellschaft sind. Das Geniale an ihm – laut Crone – ist sozusagen, daß er als Wolf im Schafspelz daherkommt, weil sein Image von politischer Unschuld und Naivität geprägt ist. „Wenigstens geht ihr noch theoretisch davon aus, daß jemand noch mehr im Sinn hat als nur Geld zu verdienen. In Amerika ist er überall anerkannt, weil er ein Millionär ist.“ „Aber Victor, er ist doch geldgierig, das sagt er doch selbst.“ Es ist halb vier Uhr nachmittags. Im New York University Krankenhaus erzählt man uns, die Nachrichten seien falsch gewesen. „Er ist nicht bei uns gestorben“, sagt vorwurfsvoll die zuständige Amtsperson. „Gehen Sie mal ins New York Hospital.“ Na, hätte uns aber auch gewundert, wenn er in diese schäbige Unikrankenhaus gegangen wäre. Im NY Hospital hingegen Marmorfußböden und meterhohe Glaseingänge. Eine freundliche und vornehm geschminkte Informationsdame. „Da muß ich in meinem Computer schauen.“ „Das hätte Andy aber gefreut“, ärgert sich Victor. „Nein, tut mir leid, nichts unter W.“ Andrew Warhola, Sohn einer völlig verarmten Bergarbeiterfamilie, die kurz nach der Jahrhundertwende nach Amerika kam und sich in Pittsburgh ansiedelte, starb als Millionär in einem Erster- Klasse-Krankenhaus und ist nicht einmal im Computer registriert. Andy Warhol, der blasse Pop- Prinz....tönt es aus dem Radio des Taxifahrers, der leiser dreht und uns die Geschichte seiner Flucht aus Albanien erzählt. Vor ziemlich genau sechs Jahren war Andy Warhol auf der Beerdigung des Dichters Frank OHara. Der Grabredner Larry Rivers ging dabei so sehr ins Detail über die grausamen Tage vor dessen Tod, daß ihn die Trauergäste lauthals ausbuhten. Andy fand das „sehr pop-ig“. Gisela M. Freisinger