Ein Teilsieg für Wallraff

■ Zwei Passagen „Ganz unten“ müssen geändert werden / 76

Von Jakob Sonnenschein

Düsseldorf (taz) - Im Prozeß Thyssen gegen Wallraff verurteilte die 12. Zivilkammer am Montag in Düsseldorf den Kölner Schriftsteller Günter Wallraff dazu, künftig zwei in seinem Buch „Ganz unten“ aufgestellte Behauptungen über Thyssen zu „unterlassen“. Zwar darf Wallraff die wesentlichen Passagen seines Thyssen–Kapitels unbeanstandet weiter verbreiten, in zwei von sieben Klageanträgen folgte das Gericht aber teilweise dem Antragsteller Thyssen. Wallraff darf nun nicht mehr behaupten, daß Thyssen „schon seit längerer Zeit die Stammbelegschaft abbaut und über Subfirmen billigere, willigere und schneller zu heuernde und auch zu feuernde Leiharbeiter einstellt“. Ferner muß es Wallraff zukünftig unterlassen, zu schreiben, daß Leiharbeiter „in Kenntnis verantwortlicher Thyssen–Mitarbeiter... unter gesundheitsbedrohender Staubbelastung ohne Atemschutzmasken, die ihnen überdies von verantwortlichen Thyssen– Mitarbeitern verweigert würden, arbeiten“. Die kontroversen Zeugenaussagen zu diesem Thema bewertete das Gericht zugunsten von Thyssen. Von einer „Verweigerung“ könne nicht die Rede sein. Zwar hätten Zeugen ohne Staubmasken gearbeitet, aber dies sei ihnen selbst zuzuschreiben, denn an 65 Ausgabestellen habe man sich Masken auf dem Werksgelände abholen können. Daß einige der türkischen Zeugen über diese Ausgabestellen nichts wußten, komme keiner „Verweigerung“ gleich. Die von Wallraffs ehemaligen Kollegen vor Gericht wiedergegebenen Äußerungen von Thyssen–Mitarbeitern, Staubmasken seien überflüssig und es ginge auch ohne, könne man ebenfalls nicht als systematische Verweigerung durch Thyssen–Verantwortliche darstellen. Mit einer ähnlichen Argumentation gab das Gericht auch dem ersten Klageantrag statt. Man könne nicht behaupten, Thyssen habe systematisch die Stammbelegschaften abgebaut und durch Leiharbeiter ersetzt, sondern der Belegschaftsabbau sei Folge der allgemeinen Stahlkrise gewesen. Weiter verbreiten darf Wallraff dagegen, daß Leiharbeiter bei Thyssen gegen alle Schutzvorschriften ohne Helme, Sicherheitsschuhe und Handschuhe arbeiten mußten und oftmals zu verbotenen Doppel– und Dreifachschichten „bewegt“ wurden. Auch die Passagen zu den „krankmachenden Arbeitsbedingungen“ im Qxygenstahlwerk blieben unbeanstandet. Thyssen–Sprecher Lutz Dreesbach bewertete den Ausgang des Prozesses noch im Gerichtssaal als „Halbe–Halbe“–Entscheidung, obwohl das Gericht während der Urteilsbegründung ausdrücklich auf die 76:24 des Gerichtes und sprach von einer „Verhöhnung meiner türkischen Arbeitskollegen“. Allein die deutschsprachige Ausgabe des Buches, das inzwischen in 18 Sprachen übersetzt wurde, hat sich bis heute 2,5 Mio mal verkauft. Das Verbot gilt nur für noch nicht hergestellte Exemplare. Kommentar Seite 4