piwik no script img

Die Sternenkrieger sind in Eile

■ Aus Angst, der Kongreß würde SDI ohne sichtbaren Nutzen nicht weiter unterstützen, will Reagan mit der Erprobung im Weltall möglicherweise schon Ende dieses Jahres beginnen / Der Preis ist nicht nur 100 Milliarden Dollar, sondern auch ein „zeitlich befristeter Stillstand“ (Reagan) der Genfer Abrüstungsverhandlungen

Von Silvia Sanides–Kilian

Washington (taz) - Die Stationierung von SDI im Weltraum, so wollen es einige überzeugte Sternenkrieger in der Regierung, soll nicht wie ursprünglich geplant, erst zum Jahr 2000 beginnen, sondern bereits 1994. Zu den energischen Vertretern einer vorzeitigen Stationierung - lange bevor alle SDI–Komponenten erforscht und erprobt sind - gehören der frühere Außenminister Alexander Haig und der Atombombenschöpfer Edward Teller. Verteidigungsminister Weinberger und der Chef des SDI–Programms, James Abrahamson. Der Grund für die Eile dieser Herren ist naheliegend. Die Regierung Reagan und damit die unbedingte Unterstützung von SDI durch das Weiße Haus neigt sich ihrem Ende zu. In nur zwei Jahren ist Präsident Reagans Nachfolger bereits im Amt, und durch eine beschleunigte Entwicklung von SDI, so auch Justizminister Edwin Meese in der vergangenen Woche, soll sichergestellt werden, daß „zukünftige Regierungen nicht am SDI–Programm rumpfuschen“. Zudem befürchten SDI–Befürworter, die kurze Aufmerksamkeitsspanne der amerikanischen Öffentlichkeit könnte ihnen ein Schnippchen schlagen. Zwar befürworten heute über siebzig Prozent der Bevölkerung das Reagansche SDI– Programm, doch, so Haig und Teller in ihrem Brief an den Präsidenten: „Wir sind zutiefst besorgt, daß ein SDI–Forschungsprogramm, das keine klaren Resultate für die Verteidigung Amerikas und seiner Verbündeten innerhalb der nächsten zehn Jahre bringt, politisch nicht aufrechterhalten werden kann“. Genfer Verhandlungen ausgesetzt Deshalb ließ Reagan letzte Woche dem Kongreß mitteilen, er werde demnächst entscheiden, ob bereits Ende des Jahres mit der Erprobung einiger SDI–Komponenten im Weltraum begonnen wer den soll. Ebenfalls vergangene Woche unterzeichnete er eine Geheimdirektive, in der er die Unterhändler in Genf anwies, die Verhandlungen zu einem „zeitlich be fristeten Stillstand“ zu bringen. Auf keinen Fall soll über Beschränkungen bei Abwehrsystemen diskutiert werden, mit denen die von den USA angestrebte „erweiterte“ Auslegung des ABM– Vertrags blockiert werden konnte. Ob die Rechnung aufgehen wird, hängt allerdings auch vom Kongreß ab, in dem seit Januar die Demokraten beide Kammern beherrschen. Mit besonderer Sorge beobachten SDI–Befürworter den neuen Vorsitzenden des Streitkräfteausschusses im Senat, Sam Nunn, der den Sternenkriegern kritisch gegenübersteht. In den kommenden Monaten wird SDI während der Haushaltsdebatten für 1988 zweifelsohne einige Hürden nehmen müssen. 5,8 Milliarden Dollar hat Präsident Reagan in seinem Vorschlag zum Haushaltsplan 87/88 gefordert. Das sind ganze sechzig Prozent mehr als für das laufende Haushaltsjahr bewilligt wurden. „Kein perfekter Schutz“ Die Kosten für eine vorzeitige Stationierung von SDI in sieben Jahren schätzt das Pentagon auf hundert Milliarden Dollar. Allerdings, nicht Laserstrahlen oder Killersatelliten, sondern Raketen und Sensoren sollen sowohl auf der Erde als auch auf Satelliten auf erdnahen Umlaufbahnen im Weltraum stationiert werden. Startet Moskau eine Rakete, dann schlagen die Sensoren Alarm, und die von der Wärme der Sowjetraketen angezogenen US–Raketen rammen das feindliche Geschoß oder explodieren in seiner Nähe und setzen es somit außer Kraft. Ein Schirm mit vielen Löchern, wie selbst SDI–Chef Abrahamson gegenüber einer Runde von Wissenschaftlern im Dezember zugeben mußte: „Die anfängliche Stationierung wird keineswegs perfekten Schutz bieten. Für sich allein wird sie nicht einmal abschreckend wirken.“ Die Sowjetunion könnte jede ihrer Raketen zusammen mit zahl reichen Scheinraketen starten, die das Potential an amerikanischen SDI–Raketen rasch absorbieren. Auch die Zerstörung der amerikanischen Sensoren oder der das ganze System steuernden Computersatelliten würde den Sowjets nicht schwerfallen, gab Abrahamson zu. Aber es gelte ja, so der SDI– Chef weiterhin, diese einfache SDI–Version nach ihrer Stationierung zu verbessern und durch Laserstrahlen zu perfektionieren. Doch auch gegen diese Technologien, dies mußte er während einer harten Auseinandersetzung mit einem Ausschuß des Repräsentantenhauses im vorigen Jahr zugestehen, könnte der Kreml Gegenmassnahmen entwickeln, denn so etwas wie eine „endgültige Waffe“ gebe es seiner Meinung nach nicht. So scheint sich der perfekte Schirm, den Präsident Reagan über sein Amerika gespannt sehen möchte, unter dem die Supermächte ihre Atomraketen einstampfen, immer mehr zu einem Wettrüsten im Weltraum zu mausern. Kritische Wissenschaftler wie der Physikprofessor Donald Day an der Universität Virginia behaupten darüber hinaus, die kalten Krieger in Washington hätten SDI niemals als Schutzschirm gegen sowjetische Atomraketen geplant. Das System sollte vielmehr von vornherein dem Ausbau der offensiven Vormachtstellung der Amerikaner dienen. Ein amerikanischer Erstschlag nämlich ist weit effektiver, wenn vorher die Beobachtungssatelliten des Gegners ausgeschaltet werden. Die Vermutung von Star Wars– Gegnern, daß SDI–Technologien auch anderweitig als offensive Waffen eingesetzt werden sollen, teilt Day allerdings nicht. Die erschreckende Vision, nach der die Amerikaner mit mächtigen Laserstrahlen aus dem Weltraum sowjetische Städte in Schutt und Asche legen und analog dem nuklearen Winter einen „Star Wars–Winter“ erzeugen, gehört seiner Meinung nach in die Welt der Videospiele. Day, der die Opposition gegen SDI im Bundesstaat Virginia leitet, meint, große Hoffnungen auf den neuen Kongreß und insbesondere den umgestalteten Streitkräfteausschuß setzen zu können. Hindernis ABM–Vertrag So machte Sam Nunn, Vorsitzender des Ausschusses, in den vergangenen Wochen bereits Schlagzeilen, als er sich entschieden gegen eine Neuinterpretation des ABM–Vertrags wandte. Durch eine breitere Auslegung soll nämlich der 1972 mit der Sowjetunion abgeschlossene Vertrag, der die Entwicklung, Erprobung und Stationierung von Weltraumwaffen untersagt, die legale Basis für die beschleunigte SDI– Entwicklung schaffen. Versuche und Entwicklung sowie Stationierung von Systemen, die auf Technologien basieren, die 1972 noch nicht existierten, seien legal, so die Vertreter der breiten Interpretation. Ihnen gehören, neben der SDI–Mannschaft, Präsident Reagan, Verteidigungsminister Weinberger und seit vorletztem Wochenende auch Außenminister Shultz an. Einspruch seitens Großbritannien, der BRD, Kanada und Japan hat die harte Linie der Washingtoner allerdings etwas aufgeweicht: Nach einem Treffen im Weißen Haus hieß es, daß über die Auslegung des ABM– Vertrags erst nach gründlicher Überlegung und Rücksprache mit den Verbündeten entschieden werden soll. Die Opposition gegen Star–Wars, so Day, erhofft sich zumindest, daß SDI in der Hand Nunns zu einem echten Faustpfand für zukünftige Rüstungskontrollverhandlungen wird, und Reykjavik sich nicht wiederholen kann. Doch darf nicht vergessen werden, warnt Day seine Anhänger zuweilen, welche mächtigen Interessen inzwischen hinter SDI stehen. Physiker gegen SDI In der Tat gehören zur Washingtoner Lobby für eine beschleunigte Entwicklung und vorzeitige Stationierung von SDI sämtliche großen Waffenschmieden: Lockheed, TRW, Hughes und IBM. Day ist darüber hinaus überzeugt: Die Aufträge für SDI sind bewußt breit über alle Staaten gestreut worden, so daß die Wahlbezirke möglichst vieler Abgeordneter dem Programm Geld und Arbeitsplätze verdanken. Trotzdem weigern sich zahlreiche Physiker, SDI–Forschung zu betreiben. Jedoch gehen nur fünf Prozent der Star Wars–Gelder an die Universitäten, der Rest fließt regierungseigenen Forschungseinrichtungen und der Industrie zu. So habe es bisher mehr als genug Bewerber für die den Universitäten bereitgestellten SDI–Forschungsgelder gegeben, zumal trotz aller Proteste die SDI–Forschung nicht mit einem Stigma behaftet ist. Es werden nämlich lediglich nicht–geheime Forschungsarbeiten an die Universitäten vergeben, deren militärische Anwendung nicht unbedingt offensichtlich ist oder verleugnet werden kann, da es sich um Grundlagenforschung handelt. Das nächste Ziel der SDI–Opposition unter Wissenschaftlern ist laut Day, Anhänger in den regierungseigenen Forschungsinstituten und in der Privatindustrie zu rekrutieren. So gebe es zum Beispiel bei AT&T bereits eine Liste von Physikern, die sich verpflichtet haben, keine Star Wars–Forschung zu betreiben. SDI populär Die breite Masse der amerikanischen Bevölkerung interessiert sich allerdings kaum für diese Kontroversen um vorzeitige Stationierung von SDI, um technische Detailfragen und Rüstungskontrollverträge. Sie zieht es vor, die ihnen von Ronald Reagan präsentierte Vision von Star Wars weiterzuspinnen. Der Professor für amerikanische Kultur und Massenmedien, Jeff Smith, sieht in diesem populären Bild von SDI eigentümlich amerikanische Eigenschaften reflektiert: Der Glaube an das Gute in der Technik und eine nostalgische Sehnsucht nach der guten, alten Zeit. Die guten, alten Zeiten, in denen Kriege nach Ansicht Reagans „fair“ waren, stramme Jungs an die Front geschickt wurden, und Zivilisten unbehelligt blieben, sind auch für die Amerikaner seit der atomaren Bedrohung vorbei. Sie mit Hilfe von SDI zurückzuholen ist verlockend.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen