London vertagt AKW–Entscheidung

■ Energieminister Walker schweigt sich über den Baubeginn des Druckwasserreaktors Sizewell aus / Labour lehnt das Projekt ab / Von ursprünglich zehn AKWs sollen noch vier gebaut werden

Aus London Rolf Paasch

Es war eine parlamentarische Scharade ohnegleichen, und das im Mutterland der Demokratie. Alle wußten, daß die britische Regierung das geplante Atomkraftwerk von Sizewell bauen lassen will; nur weigerte sich Energieminister Peter Walker am Montag in der Unterhausdebatte zuzugeben, die Entscheidung für Sizewell sei längst gefallen. Er sei gekommen um zuzuhören, erklärte er den verduzten Abgeordneten der Opposition und ließ ihre Argumente gegen den Bau des Druckwasserreaktors (PWR) an der englischen Ostküste ins Leere laufen. So dis kutierten die Volksvertreter denn stattdessen lustlos über den vor zwei Jahren abgeschlossenen Layfield–Report, 3.000 Seiten für und wider die Atomkraft, die am Ende in einem fast uneingeschränkten „Ja“ zu Sizewell gipfeln. Nicht nur, daß die Argumente der Atomkraftgegener im Report kaum Gehör fanden, er ist auch schon seit langem veraltet. Seit seiner Abfassung, so argumentierte die Labour–Opposition, hätten sich nach Tschernobyl und dem Ölpreisverfall die Grundbedingungen für den Bau des amerikanischen Druckwasserreaktors völlig verändert. Der von der Atomindustrie veranschlagte Gewinn für die Nation von 500 Mio. Pfund (rund 1,4 Mrd. DM) hat sich durch die sinkenden Rohstoffpreise in ein abzusehendes Defizit von rund 1.3 Mrd. Pfund verwandelt. „Sizewell“, so formulierte es Labours Energieexperte Stan Orme, „ist eine technologische und ökonomische Sackgasse.“ Trotz neuester Erkenntnisse über erhöhte Leukämieraten in der Nähe atomarer Anlagen versucht die Regierung Thatcher,noch vor den nächsten Wahlen atomare Fakten zu schaffen. Wenn Minister Walker, wie allgemein erwartet, im nächsten Monat seine Zustimmung zum PWR gibt, dann wollen die strahlenhungrigen Tories bis zum Sommer Ausgabenverpflichtungen von 900 Mio. Pfund eingehen. Die Entscheidung für den Bau Sizewells ist von erheblicher Bedeutung. Sie markiert denEinstieg in die nächste Generation von Atomkraftwerken. Vier weitere PWRs sollen nämlich in den nächsten Jahren folgen. Für die Anti–Atomkraft–Bewegung ist diese Planung allerdings schon ein Erfolg. „Wir dürfen nicht vergessen“, erklärte der Atomexperte der „Friends of the Earth“ gegenüber der taz, „daß diese Regierung 1979 mit dem Versprechen an die Macht gekommen ist, zehn neue PWRs zu bauen. Sizewell wäre der erste, aber selbst dieser würde nur im Falle einer konservativen Mehrheit nach den nächsten Wahlen vollendet werden.“