Testlauf für neues Stromtarifsystem

■ Bundesweiter Großversuch zur Erprobung eines neuen Stromtarifsystems läuft an Die Initiatoren im saarländischen Wirtschaftsministerium wollen einen Anreiz zum Energiesparen schaffen / Ziel ist die Änderung der Bundestarifordnung Elektrizität

Aus Heidelberg Rolf Gramm

Ausgehend von den Saarbrücker Stadtwerken und dem saarländischen Wirtschaftsministerium läuft gegenwärtig ein bundesweiter Großversuch unter dem Titel „Zeitvariabler linearer Stromtarif“ an. Erstmals soll damit in der Bundesrepublik ein Stromtarif getestet werden, der im Tagesablauf unterschiedlich hoch ist und der keinerlei Grundpreis mehr enthält. Von dem neuen System erwarten sich die Betreiber einen Anreiz zum Energiesparen und eine Verringerung von Kraftwerkskapazitäten. Politisches Ziel des Versuchs, so eine Sprecherin der Saarbrücker Stadtwerke, ist es, „Fakten zu schaffen für eine Änderung der Bundestarifordnung Elektrizität, die ein derartiges Tarifsystem gegenwärtig nicht zuläßt“. Etwa 5000 Haushalte sollen an dem 13–Millionen– Projekt beteiligt werden. Das gegenwärtige Stromtarifsystem stammt noch aus dem Jahre 1938. Danach muß zunächst jeder Verbraucher einen Grundpreis bezahlen und zusätzlich einen vom Verbrauch abhängigen Leistungspreis. Mit zunehmendem Verbrauch sinkt der durchschnittliche Strompreis. Das, so der saarländische Wirtschaftsminister Hofmann, widerspreche den Zie len der rationellen Stromanwendung und optimalen Auslastung von Kraftwerkskapazitäten. Bei dem zum Test anstehenden „zeitvariablen linearen Tarif“ dagegen soll der Grundpreis ganz entfallen. Bezahlt werden soll lediglich der tatsächlich verbrauchte Strom und zwar zu Preisen, die mit dem Zeitablauf so va riieren, daß Strom dann billig ist, wenn er wenig abgefordert wird, in Zeiten hohen Verbrauchs dagegen teuer. Mindestens drei Preisstufen - „billig“, „mittel“ und „teuer“ - sind vorgesehen. Dazu soll von einer saarländischen Firma eigens ein Gerät entwickelt werden, das dem Stromkunden anzeigt, welche Preisstufe gerade gilt und wie lange sie dauern wird. Der Stromkunde, erläutert Urs Kalbfuß, Pressereferent des Wirtschaftsministeriums, soll damit in die Lage versetzt werden, seinen Geräteeinsatz so zu steuern, daß er eine möglichst niedrige Stromrechnung zu erwarten hat. „Der Strompreis soll so gestaltet sein, daß sich das Energiesparen lohnt und nur bezahlt werden muß, was man unmittelbar verbraucht“, so Kalbfuß weiter. Der erhoffte energiepolitische Effekt, erklärt die Sprecherin der Saarbrücker Stadtwerke, besteht darin, daß „der Stromkonsum in die Täler verlagert“ wird, und dadurch Kraftwerkskapazitäten eingespart werden können, die bislang zur Abdeckung von Spitzenlasten bereitgehalten werden. Neben zwei saarländischen Stadtwerken haben bislang die Stromversorger aus Kassel, Wiesbaden und Langen ihre Teilnahme zugesagt, Interesse haben zudem Stromunternehmen aus Offenbach, Hamburg, Bremen, Darmstadt und München bekundet. In der ersten Phase des Projekts 1987 sollen die gegenwärtigen Verbrauchergewohnheiten untersucht werden, 1988 soll dann ein Jahr lang unter den neuen Bedingungen das veränderte Verhalten getestet werden. Urs Kalbfuß erwartet durch das neue System Stromeinsparungen bis zu 15 Anstelle der bisherigen Spekulationen könne man nach Ende des Versuchs erstmalig auf repräsentative Ergebnisse über Möglichkeiten des Energiesparens zurückgreifen. Dann sei der Bundestag gefordert, die geltende Bundestarifordnung Elektrizität zu ändern.