Teilerfolg für streikende türkische Arbeiter

■ Nach drei Monaten ist der Streik in der Telefonzentralenfabrik NETAS zu Ende / Die Arbeitgeber machten mehr Zugeständnisse als in der Türkei üblich Die Strategie eines Aushungerns der Streikenden scheiterte an internationaler Aufmerksamkeit / Die Gewerkschaft steht jetzt mit leeren Kassen da

Aus Istanbul Gabi Hart

Auf den Tag genau drei Monate lang hing unter dem großen Firmenschild der Telefonzentralenfabrik „NETAS“ in den Städten Istanbul, Ankara und Izmir das Transparent: „Dieser Betrieb wird bestreikt“. Mittwoch letzter Woche wurde es abgehängt, der längste Streik in der Türkei seit dem Militärputsch 1980 war beendet. Die Arbeiter hatten eine 70–prozentige Erhöhung des durchschnittlichen Stundenlohnes gefordert, erhalten haben sie 40,5 Prozent. Das deckt zwar gerade nur die Inflationsrate, aber immerhin. Die Sozialleistungen wie Kinder– und Kohlegeld wurden von 107.000 türkische Lira auf 225.000 Lira pro Jahr erhöht, das sind etwa 250 DM mehr als zuvor. Auch die Zahl der Stunden, für die Vertrauensleute für Gewerkschaftsarbeit freigestellt werden, ist erhöht worden. Keinen Erfolg hatten sie mit ihrer Forderung nach einer Jahresprämie in Höhe von zwei Monatslöhnen, und über die Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurde auch nicht weiter verhandelt. Wenn der durchschnittliche Monatslohn auch nur gerade ausreicht, um die Mietkosten zu decken, sind die Gewerkschafter doch nicht unzufrieden. Die Arbeitgeber, die lange genug auf stur geschaltet haben, mußten letztlich doch Zugeständnisse machen. NETAS, „Northern Elektronik Telekomünikasyon A.S.“, ist eine Tochter der kanadischen „Northern Telecom“, die zunächst über 51, nach dem Putsch 1980 aber nur noch über 31 Prozent der Firmenanteile verfügte. 49 Prozent hat seitdem die türkische Post– und Telefongesellschaft PTT inne, die restlichen 15 Prozent besitzt die „Türkische Marinestiftung“. 1983 hatte die NETAS einen Auftrag zur Herstellung und Neueinführung digitaler Telefonzentralen erhalten. Für dieses Jahr sind Zentralen mit einer Kapazität von etwa 800.000 Telefonleitungen geplant. Das Patent, bei der NETAS mit billiger türkischer Arbeitskraft ausprobiert, soll gleichzeitig anderen ausländischen Firmen wie Siemens angeboten werden. Auf dem türkischen Markt hat die NETAS nur eine ernstzunehmende Konkurrenz, an der der türkische Staat ebenfalls via PTT über hohe Anteile beteiligt ist, das ITT–Partnerunternehmen Teletas. Teeparties mit Streikbrechern Finanziell wäre es für die NETAS vermutlich rentabler, auf die Forderungen der Streikenden einzugehen und die Maschinen wieder laufen zu lassen. Die etwa 30 Millionen DM, die das Werk jeden Streikmonat an Verlusten einfuhr, hätten ausgereicht, um die finanziellen Forderungen der Arbeiter für ein Jahr abzudecken. Doch hinter der harten Haltung der Arbeitgeber steckten nicht nur finanzielle Interessen. Der staatliche Arbeitgeber wollte die Streikenden aushungern und durch die Statuierung eines abschreckenden Beispiels verhindern, daß der Protest gegen die monetaristische Wirtschaftspolitik von Premier Turgut Özal weiter um sich greift. „Die Arbeitgeber versuchen alles, um den Streik abbröckeln zu lassen“, erklärte denn auch ein Vertreter der Gewerkschaft „Otomobil Is“, in der die NETAS–Arbeiter organisiert sind. „Sie rufen bei unseren Familien an und üben Druck auf unsere Frauen aus. Die veranstalten „Teeparties“ in den Häusern der Streikbrecher und versprechen allen, die die Arbeit wieder aufnehmen, sie zum „Chef“ zu machen. „Keiner der wenigen Angestellten, die den Streik abgebrochen haben, sei jedoch bislang befördert worden. Größer ist die Gefahr, auf andere Weise „befördert“ zu werden: In den Verwaltungsetagen wird über das Datum des Arbeitsantritts eines jeden Beschäftigten genau Buch geführt. Bei den Entlassungen, die im Rahmen geplanter Rationalisierungen anstehen, wird diese Liste dann in umgekehrter Reihenfolge gelesen werden. Gegenüber diesen ungesetzlichen Maßnahmen der Arbeitgeberschaft haben die Arbeiter immer wieder betont, daß sie in keiner Weise den eng gesteckten gesetzlichen Rahmen verlassen wür den - und immer wieder bewiesen, daß selbst diesem Rahmen mit Entschlossenheit und Erfindungsgeist etwas entgegenzusetzen war. „Versammlungen sind verboten“, erzählte einer der Streikposten, „aber als alle 2.650 Arbeiter am 18.11. zur gleichen Zeit die Arbeit niederlegten, da kam es zwangsläufig zu einer Versammlung vor der Fabrik. Die Menschenmasse staute sich halt vor dem Tor.“ Ebenfalls erfolgreich war die Gewerkschaft bei dem Versuch, die Regierung mit ihren eigenen, nämlich den gesetzlichen Waffen zu schlagen: Nach den gültigen Bestimmungen ist es den Streikwachen verboten, Ein– und Auslieferungen zu behindern. Ebenfalls verboten ist es, an den Plätzen streikender Arbeiter fachfremde Kräfte zu beschäftigen. Da sich die in der Produktion beschäftigten Arbeiter ausnahmslos im Streik befanden, hätte theoretisch im Dezember 1986 nichts augeliefert werden können. Als dies doch der Fall war, verlangte die Gewerkschaft nach einem Sachverständigen, der die Situation in den Produktionshallen auf ihre Legalität hin untersuchen sollte. Der Sachverständige kam, untersuchte und stellte fest, daß die aus dem Ausland angelieferten Einzelteile von Praktikanten der naheliegenden Technischen Berufsschule und Putzkräften zusammengesetzt worden waren. Beide wurden als fachfremde Gruppen bezeichnet, die Ausfuhr jeglicher Ware laut Bechluß des Arbeitsgerichts Istanbul vom 13.1.87 verboten. Gewerkschaften, politischen Parteien und anderen gesellschaftlichen Verbänden ist es offiziell untersagt, einen Streik zu unterstützen. Dennoch rissen die „Privatbesuche“ und Telegramme für die „NETAS–Arbeiter persönlich“ nicht ab: Künstler, Intellektuelle, Politiker, Studenten und politische Gefangene sandten ihre Grüße. Der Dachverband „Türk Is“ beschränkte sich allerdings darauf, der Otomobil–Is in einem einzeiligen Brief für ihre Grußnote zur Jahreshauptversammlung zu danken und den Streik zu übergehen. Die Gewerkschaft Otomobil Is, in der die NETAS–Arbeiter organisiert sind, ist eine der wenigen unabhängigen Gewerkschaften, die sich nach dem Putsch neben der offiziell anerkannten Türk Is– Konföderation halten konnten. Als nach dem Putsch 1980 der linke Gewerkschaftsdachverband DISK aufgelöst wurde, wechselten viele DISK–Mitglieder zu der eher rechts angesiedelten Otomobil–Is über, um sich nicht der staatlich sanktionierten Gewerkschaft anschließen zu müssen. Viele Arbeiter wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu Otomobil–Is unter Druck gesetzt, 4.000 wurden deshalb entlassen. Das Verhältnis zwischen den beiden Gewerkschaften ist dementsprechend gespannt. Auch finanziell hat die besser ausgestattete Türk–Is die Streikenden nicht unterstützt. Die Kassen sind leer Die Kassen der Otomobil Is sind schon lange gähnend leer. Zu Beginn des Streiks war ein symbolischer Betrag von 20.000 Lira (50 DM) an die Mitglieder ausgezahlt worden, seither waren die Arbeiter jedoch völlig ohne Einkünfte. Zwar unterstützte die Bevölkerung die Streikenden mit Essen und Spenden, und am 24. Januar fand in Istanbul auch ein gut besuchtes Benefiz–Konzert für sie statt, aber zum Leben reichte das alles nicht. Daß sich die Arbeitgeber mit ihrer Verzögerungstaktik nicht durchsetzen konnten, lag dann auch weniger an der finanziellen Durchhaltekraft der Streikenden als daran, daß der Streik international immer mehr Aufmerksamkeit erregt hatte. Aus dem Ausland angereiste Gewerkschafter waren Augenzeugen geworden, wie Streikende verhaftet wurden und hatten von den Verfahren gegen sie erfahren. Immerhin hat der Erfolg des Streiks seine beabsichtigte abschreckende Wirkung verfehlt. Und schon rüstet die nächste Gewerkschaft, die Petrol Is, zum Ausstand: Nachdem sich die Arbeitgeber geeinigt haben, aufgrund der Tarifauseinandersetzungen im März in 51 Chemiefabriken in den türkischen Großstädten die Arbeiter auszusperren, hat die Petrol Is zu einem Proteststreik aufgerufen.