Steuerreform: Kritik aus allen Ecken

■ SPD und Grüne beklagen Ungerechtigkeit in Steuerwelt / Auch Bundesverband der deutschen Industrie übt Kritik / Erhöhung indirekter Steuern bereits angedroht / Umweltkatalog von Koalitionspartnern abgehakt

Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Als einen „offenen Skandal“ bezeichnete der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Hans–Jochen Vogel, den jetzt von der Koalition ausgehandelten Kompromiß bei der Steuerreform (siehe taz v. gestern). Die Senkung des Spitzensteuersatzes sei eine „empörende Ungerechtigkeit“, für die die Regierungsparteien bei der bevorstehenden Landtagswahl in Hessen die Quittung erhalten würden. Für die Grünen im Bundestag ist das Verhandlungsergebnis ein klarer „Durchmarsch der Geldsäcke“. Aber auch aus dem Unternehmerlager kam Kritik. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) kritisierte, daß die Körperschaftssteuer etwa für Kapitalgesellschaften von 56 auf 50 Pro zent, dagegen der Spitzensteuersatz von 56 nur auf 53 Prozent runtergeschraubt wurde. Der BDI sieht nun Turbulenzen beim Kapital. Unternehmen, die als Personengesellschaften dem Spitzensteuersatz unterliegen, würden sich seiner Ansicht nach nun verstärkt in Kapitalgesellschaften umwandeln, um den günstigeren Körperschaftssteuersatz in Anspruch nehmen zu können. Mittelstandsverbände hatten hier auch im Vorfeld der Steuerreform für den Fall Verfassungsbedenken angemeldet, daß Spitzensteuersatz und Körperschaftssteuer auseinandergesplittet würden. Berechnungen der grünen Bundestagsfraktion ergeben, daß beispielsweise der Empfänger eines Einkommens von bis zu 8.100 DM durch die Erhöhung des Grundfreibetrages von 4.536 auf 5.500 DM (bis zu dem das Einkommen nicht versteuert werden braucht) sowie durch die Absenkung des Eingangssteuersatzes von 22 auf 19 Prozent nach der neuen Regelung 26 DM pro Monat an Steuern einsparen dürfte. Der Empfänger eines Jahreseinkommens von 200.000 DM dagegen dürfte durch die Senkung des für ihn gültigen Spitzensteuersatzes von 56 auf 53 Prozent knapp 200 DM monatlicher Steuerbelastung einsparen. Zusätzlich käme aber dieser Großverdiener auch in den Genuß der Senkung der unterhalb des Spitzensteuersatzes liegenden „Progression“ (Anstieg des Steuersatzes entsprechend des Einkommens). Der Spitzensteuersatz bezieht sich bei einem solch begüterten Menschen nämlich nur auf die Einkommensteile, die 120.000 DM übersteigen, für die „ersten“ 119.999 DM und 99 Pfennige ist sein Einkommen den jeweils niedrigeren Steuersätzen unterworfen. Das bundesdeutsche Steuersystem ist ein System der „Grenzbelastung“, d.h. für die Ermittlung des jeweiligen Steuerprozentsatzes wird nicht das gesamte Einkommen herangezogen, sondern nur der jeweils die letzte Stufe übersteigende Teil davon. Die Steuerreform soll für die Steuerzahler insgesamt eine Entlastung von 44,3 Milliarden DM bringen. Im Durchschnitt wird nach Regierungsberechnungen jeder Einkommensbezieher um 1.000 DM pro Jahr entlastet werden. 19,3 Milliarden DM sollen durch den Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen finanziert werden, bleibt also unterm Strich eine „Netto“–Entlastung von 25 Milliarden DM. Finanzminister Stoltenberg hat allerdings bereits für den Fall, daß der geplante Subventionsabbau nicht gelingen sollte, die Erhöhung indirekter Steuern angedroht. Mehrwert–, Tabak– oder Alkoholsteuer stehen dann also wieder mal zur Disposition. Die Koalitonsrunde einigte sich gestern auch über die Regierungsvorhaben im Bereich des Umweltschutzes: Kampf der Einwegflasche, weg mit dem ozonschädigenden Treibgas und Hoch dem Abbau der Steuervergünstigungen für „schmutzigere“ Dieselautos sind einige Punkte des gebilligten Umweltkataloges. Strittig ist noch die Einführung der Klagebefugnis der Naturschutzverbände sowie die Verankerung des Umweltschutzes als „Staatsziel“ im Grundgesetz.